Kapitel 52

Zwischen Liebe und Enttäuschung

Janine und ich sahen uns am Montagmorgen wieder, wo wir gemeinsam zur Schule fuhren. Ab diesem Morgen war zwischen ihr und mir wieder alles in Ordnung und ich bemerkte, dass Janine ihre komische Einstellung, die sie zwischenzeitlich hatte, abgelegt hatte.

Am Mittwoch dieser Woche traf sich Janine mit der Gruppe. Sie sagte mir vorher Bescheid, obwohl ich dies gar nicht gefordert hatte. Ich war aber froh, dass sie in ihren Planungen berücksichtigt hatte, dass der Donnerstag für unsere Beziehung nach Möglichkeit reserviert war. Mir war es ja vor allem am Wochenende wichtig, dass man eine gemeinsame Planung hatte, weil die Zeit hauptsächlich für Janine und mich gedacht war, besonders, wenn wir am Donnerstag durch die Schule keine gemeinsame Zeit hinbekamen und wir uns an unsere Abmachung, mindestens einmal die Woche gemeinsam Zeit zu verbringen, halten wollten.

Am Freitag lud Janine mich zu sich nach Hause ein. Wir einigten uns darauf, dass ich nur am Freitag bei ihr übernachtete, weil sie den Sonntag für ihre schulischen Vorbereitungen nutzen wollte. Das fand ich absolut in Ordnung, weil ich natürlich nicht wollte, dass Janines Leistungen in der Schule schlechter wurden. Der Freitagabend war sehr schön, weil mich Janine ganz romantisch verführte… Am Samstagabend fuhr ich nach Hause und ließ Janine mit ihrer Mutter allein. Den Sonntag nutzte ich ebenfalls für das Erledigen meiner Hausaufgaben und entspannte zu Hause bei dem immer noch ziemlich kalten Wetter.

Am Donnerstag der nächsten Woche war der Monatswechsel, wir hatten den April erreicht. Janine und ich machten aus, dass sie am Freitag zu einem Treffen von Jeremias‘ Freunden ging – ich musste ihr auch entgegenkommen, da sie sich sonst irgendwann von mir herumkommandiert fühlen musste. Dafür blieb sie von Freitagnacht bis zum Sonntag bei mir, was ich wieder ganz toll fand. Meine Idee, sie nach Möglichkeit von diesen Treffen abzuholen und gemeinsam die Nacht zu verbringen, war zumindest ein kleiner Trost, wenn ich sie den restlichen Abend über nicht sehen konnte. Unsere Probleme hatten sich stabilisiert. Ich hieß zwar ihre Freunde weiterhin nicht gut, aber immerhin lief es wieder deutlich besser insgesamt.

In der nächsten Woche begannen die Osterferien. Innerhalb der Woche sahen Janine und ich uns gar nicht, wir hielten allerdings natürlich trotzdem regelmäßig Kontakt. Janine wollte die Zeit für die Schule nutzen, weil nach den Ferien noch einige Klausuren anstanden. Ich konnte ihr Verhalten einerseits nachvollziehen, andererseits übertrieb sie in meinen Augen ziemlich. Dieses Lernprogramm zog sie ja leider nicht nur in der ersten Woche durch, sondern führte das auch in der zweiten Woche fort, was mich ziemlich ärgerte. Das Wochenende der ersten Ferienwoche stand aber immerhin komplett unter dem Zeichen von Janine und mir. Ich war – so hart das klingen mochte – wirklich froh, dass das Treffen der Gruppe, welches ursprünglich für den Freitag vorgesehen war, ausfiel. Ich hatte immer noch eine kleine Hoffnung, dass Janine endlich wieder „normal“ wurde und endlich einsah, auf wen sie sich da eingelassen hatte.

Auch die zweite und direkt wieder letzte Ferienwoche zog von dannen und es war zu erwarten – Janine wollte sich am Freitag schon wieder verabreden und fragte mich, ob es denn in Ordnung war, wenn sie zu dem Treffen ging. Ich stimmte dem zu, aber auch wegen der Tatsache, dass Janine am Samstag bei mir übernachten sollte. Da Petra das gesamte Wochenende über weg war, nutzte ich die Möglichkeit und lud Tim für den Freitag zu mir ein. Er war gegen 17 Uhr da und brachte ein Laptop zum Spielen mit, sodass wir in meinem Zimmer ziemlich die Seele baumeln ließen und sehr viel quatschten, was für unsere Freundschaft wirklich enorm wertvoll und wichtig war. Der Schwerpunkt der Gespräche beinhaltete natürlich das Verhältnis zwischen Janine und mir, welches sich ja in letzter Zeit wesentlich gebessert hatte.

Ich meinte, als wir kurz Pause machten, zu ihm: „In letzter Zeit geht es eigentlich wieder besser zwischen Janine und mir. Es ist zwar manchmal ein wenig komisch – und ich weiß einfach nicht, warum -, aber an sich ist es soweit alles echt in Ordnung.“ – „Das ist doch schön zu hören.“ – „Wie läuft es eigentlich zwischen Anna und dir?“ – „Wir haben uns in die Beziehung eingelebt. Ich bin mir sicher, dass das zwischen ihr und mir auch noch viele, viele Jahre halten kann. Ich bin extrem glücklich mit ihr, und ich weiß, dass sie dies mit mir auch ist. Also von daher haben wir, glaube ich, gute Aussichten, lange zusammen zu bleiben.“ – „Wenigstens sieht es bei einem Pärchen richtig gut aus.“ – „Denkst du denn etwa, dass das mit Janine nicht mehr halten wird?“ – „Na ja… ich weiß nicht. Seitdem sie sich mit den Typen da trifft, hat sie sich ein Stück weit mir gegenüber gewandelt und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass die sie in irgendeiner Form manipulieren.“ – „Na ja, sieh das alles nicht so hart. Es ist normal, dass man sich verändert, wenn man neue Leute kennen lernt. Manchmal bemerken andere das mehr, manchmal weniger. Mache dir nicht allzu große Sorgen, ihr kriegt das schon wieder hin. Man verändert sich allgemein auch so in einer Beziehung, das passiert halt.“ – „Mal schauen. Ich weiß derzeit einfach nicht, wie ich richtig mit Janine umgehen soll. Es ist zwischen ihr und mir irgendwie komisch geworden.“ – „Wie soll ich das verstehen?“ – „Es ist komisch, wenn wir die Zeit miteinander verbringen… Wir gehen nicht mehr so liebevoll miteinander um, wie wir es noch vor ein paar Monaten getan haben.“ – „Hm, ich weiß nicht, aber so wirklich ist mir das bisher bei euch nicht aufgefallen. Klar sehe ich euch nicht in jeder Situation, aber ich habe eigentlich sonst nichts bemerkt.“ – „Ich kann mich auch irren, aber irgendwie ist das alles derzeit ein wenig verkrampft.“ – „Sei entspannter. Wenn du ein wenig lockerer wirst, ist sie das auch und euer Verhältnis zueinander auch wieder entspannter. Vergiss auch nicht, dass ihr in der letzten Zeit einfach viel wegen des Alkohols aneinandergeraten seid.“ – „Ja, ich weiß. Und das zweite Streitthema waren diese Leute. Wie siehst du die eigentlich? Also, was hältst du von denen?“ – „Na ja, ich hatte dir doch gesagt, dass die früher mit Drogen in Verbindung gebracht worden sind. Ich war auch nicht so sehr von denen begeistert, allerdings glaube ich, dass die zumindest so weit in Ordnung sind, dass die Janine in Ruhe lassen. Aber wenn Janine wirklich so viel trinkt, wie du das sagst, ist das ein bisschen bedenklich.“ – „Sie will sich ja von mir oder wahrscheinlich anderen auch nichts sagen lassen, weil sie das ja alles wesentlich besser weiß und regeln kann. Aber wie viel sie regelt, sehen wir ja – nämlich nichts, weil ich primär derjenige bin, der für sie zuständig ist und auf sie aufpasst, wenn es nicht ihre Mutter macht. Und ich bin immer derjenige, der es ausbaden darf, wie daneben sie sich benommen hat. Zudem bin ich derjenige, der ihren Zustand ertragen muss, obwohl mir das alles andere als einfach fällt, weil mich das einfach immer wieder an den Fall mit meinem Onkel erinnert.“ – „Na ja, reg dich ein bisschen ab, ich sehe schon, dass dich dieses Thema ziemlich aufwühlt.“ Er hatte Recht.

Er sagte weiter: „Weißt du, ich bin mir sicher, dass sich Janine wesentlich mehr freuen würde, wenn du noch ein bisschen mehr auf sie zugehst.“ – „Aber das tue ich ja schon, indem ich damit einverstanden bin, dass sie eine Hälfte des Wochenendes mit diesen Vollidioten verbringt.“ – „Na ja, eigentlich ist es ja nun Janines Entscheidung, wie sie ihre Zeit verbringt. Du bist nicht ihr Vater oder so was, aber ich weiß, dass für dich ja auch zählt, dass ihr zusammen seid.“ – „Ja, na klar zählt das. Wenn sie nur machen würde, worauf sie Lust hat, bräuchten sie und ich in gar keiner Beziehung sein, weil es einfach keine Beziehung wäre. Ich verlange ja auch keine regelmäßigen Treffen und ich verlange auch nicht, dass wir jedes Wochenende komplett verbringen müssen, das wäre vermutlich auch einfach viel zu viel, aber ehrlich gesagt fände ich es schön, wenn sie mir eine höhere Priorität geben würde als diesen Typen… Ich fühle mich fast so, als hätte ich die gleiche Wichtigkeit wie die.“ – „Na ja, du musst halt akzeptieren, dass das ein Teil ihrer Freunde ist.“ – „Pah! Freunde… So, wie ich das mitbekomme, vernachlässigt sie ihre Schulfreundschaften auch mittlerweile ganz schön. Mit Sabrina hat sie sich doch immer so gut verstanden und die beiden haben sich ja auch öfters gesehen. Jetzt habe ich vor kurzem mit Sabrina gesprochen und sie sagte, dass sie mit Janine schon seit einer Weile nicht mehr so richtig gesprochen hat. Ganz zufälligerweise wurde der Kontakt erst geringer, als sie anfing, sich mit den anderen zu treffen.“ – „Du solltest mit Janine nicht zu streng sein. Sie will doch auch nur ihre Grenzen austesten und ich denke, sie wird bald bemerken, ob es ihr was bringt und nicht.“ – „So wirklich wohl fühl ich mich dabei logischerweise nicht.“ – „Das kann ich verstehen. Hör zu, du hast doch sturmfrei. Ich hätte eine Idee, mit der du Janine sicherlich überraschen kannst.“ – „Und die wäre?“ – „Um Janine zu zeigen, dass du ihre Aktionen unterstützt und es akzeptierst, wie sie ihr Leben verbringt, kannst du sie – heute noch – einfach überraschen.“ – „Aha, und wie soll ich das heute noch machen?“ – „Hat sie gesagt, wann die Feier zu Ende ist?“ – „Sie meinte, gegen ein Uhr soll Schicht im Schacht sein. Es klang mir danach, dass die Feier regulär nicht länger als diese Uhrzeit gehen würde.“ – „Ok, das ist doch perfekt.“ – „Wieso?“ – „Geh sie abholen und nimm sie mit zu dir nach Hause.“ – „Ich soll was?“ – „Du hast schon richtig gehört: Überrasche sie! Wenn sie bemerkt, dass du das akzeptierst und ihr noch eine Freude machst, indem du sie abholst, kann ich mir gut vorstellen, ist das auf jeden Fall ein Pluspunkt, den du dir damit wieder verdienst.“ – „Hm, eigentlich ist die Idee nicht schlecht. Ehrlich gesagt bin ich bloß zu faul, bei dem Wetter und um diese Uhrzeit noch rauszugehen. Abgesehen davon sind wir gerade verabredet. Ich will dich nicht plötzlich doch nach Hause schicken, nur, weil ich Janine abhole.“ – „Das musst du wissen, ich zwinge dich zu nichts, aber ich kann mir vorstellen, dass Janine wieder etwas anders – positiver – darauf reagiert, und das willst du doch eigentlich nur damit erreichen… Und was hier passiert, das sei euch überlassen. Ich verschwinde einfach vorher, das ist doch kein Problem. Wir haben ja trotzdem den ganzen Abend zusammen verbracht.“ Wir grinsten und ich meinte: „Ich glaube, das ist eine wirklich gute Idee. Ich kann das ja einfach machen.“ – „Wenn du willst, begleite ich dich zumindest bis zum Ort der Feier. Mein Laptop und so kann ich ja super transportieren, das nehme ich einfach alles wieder mit.“ – „Das finde ich super, wenn du da noch mitkommst. So können wir bis dort auch noch weiter quatschen.“ – „Siehst du, klingt doch super!“

Janine hatte mir immer von sich aus jedes Mal den Ort geschickt, an dem sie gerade war, wenn sie sich mit Jeremias und seinen Freunden traf. Ich fand das toll, dass sie das machte, damit ich einfach Bescheid wusste, wo sie gerade war. Zehn Minuten, bevor Tim und ich beim Ort der Feier ankamen, schrieb ich Janine eine Nachricht, dass ich spontan vorhatte, sie abzuholen und sie mit zu mir zu nehmen, damit wir dort übernachten konnten. Sie schrieb mir sehr fehlerbehaftet zurück, was für sie sehr ungewöhnlich war, auch wenn ich immerhin verstand, dass ich einfach unten vor dem Hauseingang warten sollte, weil sie bald herunterkommen würden.

Tim und ich standen wenigen Minuten unten vor der Haustür von Jeremias‘ Wohnhaus, als Janine mithilfe von Jeremias und einem anderen seiner Freunde nach unten gebracht wurde. Sie wurde leicht von den beiden gestützt, was in mir ein gehöriges Sorgen- und Gefühlschaos auslöste. Ich meinte deutlich hörbar: „Süße!“

Ich nahm Janine an die Hand, sodass sie zu mir kam. Bevor ich sie küsste, bemerkte ich ihre Alkoholfahne. Ich verkniff mir den Kommentar und dementsprechend auch den Kuss. Ich sah Jeremias, der den anderen erklärte, dass Janine und ich zusammen waren und schaute Jeremias an, der meinen Blick – leicht finster, wütend und keineswegs positiv – durch den Lichtschein der Straßenlampe gesehen haben musste. Bevor ich etwas sagte, meinte Tim, der schon erahnen konnte, dass ich kurz vor dem Platzen war: „Danke, dass ihr sie bis nach unten gebracht habt. Manchmal ist man ja wirklich ein bisschen wackelig auf den Beinen. Wir hatten ihr geschrieben, dass wir sie spontan abholen würden, von daher gehen wir einfach zu dritt jetzt weiter.“ Jeremias sagte: „Ja, kein Problem, gerne. Wir hätten sie sonst gleich nach Hause gebracht, weil sie allein wohl den Weg nicht mehr gefunden hätte, und das Risiko wollten wir nicht eingehen.“ Das Einzige, was für die Leute sprach, war genau diese Aktion: Wenigstens wollten sie, dass Janine heil nach Hause kam.

Die beiden gingen wieder ins Haus und nach oben. Ich schaute Tim an, der meine kleine Träne im Auge garantiert gesehen hatte. Er packte den Arm um meine Schulter und meinte: „Hey, nimm es nicht so schwer, ich weiß, was du jetzt denkst, und ich weiß, dass du verdammt sauer und enttäuscht bist.“ – „Ja, genau das ist der Fall.“, flüsterte ich ziemlich leise, da ich davon ausgehen musste, dass Janine auch weiterhin halbwegs im Besitz ihrer geistigen Kräfte war. „Ich denke, es ist wahrlich das Beste, wenn wir sie jetzt zu dir bringen.“ – „Zu mir? In dem Zustand?“ – „Es ist einfach das Beste, weil ich es ihr ersparen will, dass ihre Mutter sie so sieht.“ – „Ehrlich gesagt würde ich es ihr wirklich gönnen, dass ihre Mutter sie so sieht, weil ich nämlich sehr wahrscheinlich davon ausgehe, dass ihre Mutter gar nicht weiß, wie viel ihre Tochter wirklich trinkt… Vielleicht lernt sie endlich daraus, dass es nichts bringt, so viel zu trinken.“ – „Hey, ich weiß, dass du sauer bist. Nimm sie einfach mit zu dir und wenn du willst, bleibe ich auch noch über Nacht da, sofern dir das nichts ausmacht.“ – „Meine Tante kommt erst morgen Abend wieder. Darum macht mir das nichts aus, wenn du bleibst. Du hast mir jetzt schon so oft geholfen…“ – „Kein Ding, dafür sind wir gegenseitig da.“ – „Hey!“, kam es auf einmal von Janine, die wir ungewollt wie ein Tier behandelten, weil wir sie im Gespräch ignorierten, obwohl sie direkt neben uns stand.

Wir drei fuhren wieder zu mir und Janine erzählte ein paar wenige Sätze, aber ihr intellektuell zu folgen, fiel vermutlich nicht nur mir ziemlich schwer. Phasenweise gingen Tim und ich mit ihr wie ein kleines Kind um, was sich für mich einfach völlig falsch anfühlte. Bei mir angekommen, richtete ich mein Zimmer her, sodass Janine dort mit mir nächtigen konnte. Als ich Tim fragte, wo er denn übernachten möchte, bot ich ihm das Gästezimmer an, was er auch annahm, weil er natürlich nicht im Zimmer von Janine und mir schlafen wollte. Er wollte nicht stören und ich fand das Verständnis, das er für diese gesamten Situationen – vor allem mit Janine – aufbrachte, einfach nur phänomenal… Ich konnte das definitiv nicht.

Janine konnte noch halbwegs vernünftig laufen, doch beim Umziehen musste ich ihr im Badezimmer wieder helfen. Sie hatte ja auch keine Wechselkleidung bei, aber zumindest hatten wir Janines Schlafkleidung bei mir für spontane Übernachtungen gebunkert und zusätzliche Wechselkleidung lag auch bereit. Ihre Tageskleidung roch, wie ich bemerkte, ätzend nach Qualm, was ich doch recht merkwürdig fand. Ich war mir nicht sicher, aber es konnte theoretisch sein, dass Janine auch noch mit dem Rauchen anfing. Ich hatte wirklich Angst, dass sie damit angefangen haben könnte. Mir war klar, dass ich mit Janine nicht zusammenbleiben konnte, sofern sie mit dem Rauchen angefangen hatte. Ich wollte für sie hoffen, dass es nur Jeremias war, der geraucht hatte… Oder vielleicht ein gewisser Teil der Gruppe, sodass sich der Qualm in ihrer Kleidung abgesetzt hatte. Ich wollte nicht glauben, dass der Rauch von Janine selbst stammte. Aber wie gesagt: Wenn sie wirklich mit dem Rauchen angefangen haben sollte, wusste ich, dass ich die Beziehung beenden würde, weil das für mich ein Ausschlusskriterium war.

Janine legte sich ziemlich problemlos schlafen und wirkte dabei ein wenig klarer, ich gab ihr einen Kuss auf die Wange. Anschließend griff ich mein Smartphone, schaltete das Licht aus und ging nach draußen, wo ich mich im Wohnzimmer auf den Sessel setzte. Tim saß gegenüber von mir. Ich meinte: „Ich muss noch ihrer Mutter schreiben, dass sie bei mir übernachtet. Sonst macht sie sich auch nur unnötige Sorgen und das kann ich ja nun vermeiden.“ – „Ja, mach das lieber gleich, sonst vergisst du es noch. Aber das ist ein guter Plan.“ Ich schrieb die Nachricht und meinte: „Ach ja, dein Bett muss ich ja auch noch beziehen. Ich habe das ganz vergessen.“ – „Hey, ist okay. Wenn du mir die Sachen einfach gibst, beziehe ich das Bett selbst. Brauchst du nicht machen, ist schon in Ordnung.“ – „Das ist lieb von dir, danke.“ – „Kein Problem.“ Ich gab ihm die Sachen und wir wünschten uns ebenfalls eine gute Nacht, worauf er im Gästezimmer verschwand.

Ich griff mir meinen Bademantel, streifte ihn mir über und ging nach draußen auf den Balkon, wo ich wieder in den Himmel schauen wollte. Leider konnte ich mir keine der Sternenbilder ansehen, die Janine mir gezeigt hatte, ich hätte es in diesem Moment irgendwie emotional gebraucht. Es war leider stark bewölkt und das Wetter sah nicht besonders gut aus. Zudem fing es nach etwa zehn Minuten an, zu regnen, sodass ich mich bis an die Balkontür zurückziehen musste, um nicht noch nass zu werden, da der Balkon zur Hälfte nass wurde. Das alles mit Janine – der Stress, die Sorgen wegen des Alkohols – wurde mir einfach zu viel. Es wuchs mir über den Kopf. Janine bedeutete mir alles und ich konnte einfach nichts daran ändern, dass sie sich so gehen ließ. Es tat mir in der Seele weh. Mir liefen, als ich da an dieser Tür stand, ein paar Tränen herunter, weil es einfach wirklich schmerzte. Ich stand vermutlich ziemlich lange auf dem Balkon, was auch daran lag, dass mich keiner holen kam. Janines Sensor, zu spüren, wenn ich nicht mehr neben ihr lag, war dieses Mal vermutlich durch ihren Alkohol abgeschaltet.

Um kurz nach neun am nächsten Tag erwachte ich leider schon, sodass ich ziemlichen Schlafmangel hatte. Ich rechnete irgendwie damit, dass Janine bereits vor mir auf war – dies war aber nicht so, was ich gar nicht schlecht fand, da sie somit zumindest ihren Rausch hoffentlich ausschlafen konnte. Als ich im Badezimmer war und mich soweit frisch gemacht hatte, kam Tim leise aus seinem Zimmer. „Morgen, bist du schon lange wach?“ – „Na ja, bin etwa seit 20 Minuten wach. Ist also nicht das Problem.“ – „Ah, ok. Wenn du Hunger hast, können wir ja was essen. Ich glaube kaum, dass Janine in den nächsten ein oder zwei Stunden aufstehen wird und falls doch, wird sie bestimmt nichts runter bekommen. Zumindest war es das letzte Mal so, als sie nach einem Alkoholrausch morgens aufgewacht ist.“ – „Ja, ist okay, ich komme gleich mit. Kannst du mir zumindest dein Deo und so was kurz leihen, damit ich nachher wenigstens halbwegs frisch nach draußen gehen kann?“ – „Klar. Kein Problem.“

Mit einer gar nicht so schlechten Laune ging ich in die Küche, in der ich den Frühstückstisch vorbereitete. Tim und ich aßen in Ruhe und redeten mehr oder minder ausgelassen. Dabei war es fast zu erwarten, dass das Thema wieder in Richtung Janine und der gestrige Abend ging. Er meinte: „Ich hätte ja nicht gedacht, dass sie auf diesen Abenden wirklich so viel trinkt.“ – „Siehst du jetzt, warum ich so oft schon sagte, dass ich ihr und den Typen nicht so wirklich bei dieser Sache über den Weg traue? Ich gehe immer noch ziemlich fest davon aus, dass sie sie zum Trinken animieren und will nicht wissen, was da wohl passiert, wenn sie betrunken ist.“ – „Glaubst du etwa, dass sie auch solche Aktionen bringt, wie sie damals mit dem Tanga gebracht hat?“ – „Na ja, ich kann es natürlich nicht sagen, aber ich denke, zuzutrauen wäre es ihr, wenn ich rückblickend die gesamten Abstürze von ihr betrachte.“ – „Denkst du nicht, dass sie sich zumindest so weit unter Kontrolle hat, dass sie das lässt? Einfach schon wegen dir, weil sie ja im Alkohol scheinbar auch weiß, dass ihr zusammen seid.“ – „Na ja, wie gesagt, ich weiß es nicht und ehrlich gesagt will ich es, glaube ich, gar nicht wirklich wissen, weil ich sonst wieder nur vor Wut platze und das wäre wohl alles andere als gut. Ich traue mich ja schon gar nicht zu fragen, was da an diesen Abenden passiert, weil ich damit rechne, dass sie mir entweder sagt, sie weiß es nicht – sprich, sie war zu alkoholisiert – oder mir entgegnet, dass da überhaupt nichts passiert sei, was ich aber auch nicht richtig glauben will.“ – „Hm, das ist echt zu einer schwierigen Sache zwischen Janine und dir geworden.“ – „Weißt du, ich habe mich ja gestern gar nicht direkt schlafen gelegt, als wir uns eine gute Nacht gewünscht haben. Ich bin noch für eine lange Weile auf den Balkon gegangen und habe ganz in Ruhe und nur für mich nachgedacht. Selbst wenn es geregnet hat, war das ganz gut. Danach bin ich immer wesentlich entspannter.“ – „Was hast du denn konkret überlegt? Die ganzen Sachen, die Janine in der letzten Zeit falsch gemacht hat oder was meinst du?“ – „Ja, das unter anderem. Ich habe meine eigenen Fehler durchdacht, ihre Fehler hinzugezogen und zumindest eine Einsicht erlangt, die ich hoffentlich nicht bald umsetzen muss.“ – „Und die wäre?“ – „Es kann so nicht weitergehen. Sehen die nächsten Monate auch so aus, wird das Konsequenzen haben und das sind nicht mehr nur irgendwelche kleine Streitigkeiten zwischen ihr und mir. Da geht es an das Fundament von uns beiden… an unsere Beziehung.“ – „Das ist heftig.“ – „Ja, ich weiß, und es tut mir in der Seele weh. Aber ich weiß einfach nicht mehr, was ich machen soll. Sie lässt, was das Thema angeht, so gut wie gar nicht mehr mit sich reden. Wenn ich mit ihr nicht den Kompromiss ausgehandelt hätte, dass wir ihre Treffen mit der Gruppe und die Treffen zwischen ihr und mir von der Menge her ausgleichen, wäre es heute bestimmt so, dass sie so gut wie kein Wochenende für mich Zeit hätte und garantiert die Gruppe ihrer eigenen Beziehung vorziehen würde.“ – „Glaubst du wirklich, sie würde so weit gehen?“ – „Ich weiß nicht, ob ich es ihr zutrauen kann, aber ich weiß nur, dass sie genau mit dieser Art und Weise vor kurzem anfangen wollte. Da hat sie sich mit der Gruppe am Freitag getroffen und ich wollte allerdings auch Zeit mit ihr verbringen, doch mich hat sie abgewiesen und gesagt, dass ich ihr zu spät Bescheid gegeben hätte, obwohl das bisher noch nie das Problem war. Aber ich habe in einem ernsten Gespräch mit ihr ausgemacht, dass wir es ausgeglichen halten. Solange dies der Fall ist, habe ich ihr gesagt, dass ich damit kein weiteres Problem habe, wenn sie sich mit den Chaoten trifft. Das Thema Alkohol ist aus der Diskussion herausgelassen, weil das ein ganz eigenes Problem an sich ist.“ – „Ich weiß. Wir kennen uns ja nun auch schon seit einer Weile, aber kannst du dich einfach nicht damit anfreunden, dass Janine gerne einen über den Durst trinkt? Das machen ja nun – leider muss ich auch sagen – viele Menschen, dass sie aus bestimmten Gründen Alkohol trinken und auch manchmal etwas zu viel… Ich muss dir sagen, wenn du es mit dem Alkohol ein wenig lockerer sehen würdest, liefe das zwischen dir und Janine wohl ein bisschen harmonischer, als es jetzt derzeit läuft.“ Ich ließ Tims Satz sacken und hörte ein Geräusch vom Flur kommen, welches ich nicht identifizieren konnte. Ich vermutete, dass es Janine war, die unser Gespräch belauschte. Auf jeden Fall wusste ich: Sollte sie gelauscht haben, konnte sie Tims wie auch meine Reaktionen mitgehört haben und ich wollte mich ihr gegenüber nicht ganz so abfällig benehmen, da ich sie einfach total liebte. Mir war es nicht angenehm, sollte sie das Gespräch mitbekommen haben. Nach dem Frühstück machte Tim sich fertig und fuhr los nach Hause. Die Sachen für das Frühstück ließ ich noch eine Zeit lang liegen, falls Janine nicht all zu spät wach werden würde.

Im Wohnzimmer bemerkte ich, dass wir drei am Abend zuvor durch unsere Schuhe offenbar etwas Dreck gemacht hatten, sodass ich den Sauger griff und kurzerhand das gesamte Wohnzimmer saugte. Als ich mit dem Saugen fertig war, hörte ich auf einmal: „Bärchie?“ Ich drehte mich um und sah Janine, die mit verwuschelten Haaren am Flur stand, der zum Schlafzimmer von Petra, zum Gästezimmer und zu meinem Zimmer führte. Ich lächelte und sah sie ebenfalls grinsen. Sie meinte recht leise: „Ich schaue dir immer wieder gerne dabei zu, wenn du sauber machst.“ Ich grinste breit und fragte: „Geht es dir soweit wieder gut?“ – „Ich habe leichte Kopfschmerzen, aber ansonsten ist es okay, ja.“ Es waren für einige Sekunden Stille und sie fragte: „Wieso bin ich eigentlich hier aufgewacht und nicht bei mir zu Hause?“ – „Ich wollte dich gestern Abend überraschen und habe dich abgeholt. Tim kam gestern Abend, besser gesagt heute früh, auch mit, als ich dich abgeholt habe. Und er hat letzte Nacht auch hier geschlafen.“ – „Aber doch nicht in deinem Zimmer, oder?“ – „Nein, er hat im Gästezimmer geschlafen. Das wäre ja platzmäßig schon gar nicht in meinem Zimmer gegangen.“ – „Okay.“ Wieder entstand eine merkwürdige Pause in unserem Gespräch und sie fragte mich: „War ich gestern… wieder sehr betrunken?“ – „Du kannst nicht daran erinnern, oder? Schließlich weißt du ja auch nicht, dass du hier bei mir übernachtet hast. “ – „Nein, ich kann es nicht.“ – „Ja, du scheinst gestern wieder sehr viel getrunken zu haben. Du konntest zwar noch recht vernünftig laufen und so, aber wirklich viel mitbekommen hast du nicht mehr. Dass wir uns ganz kurz geschrieben haben, bevor ich dich abgeholt habe, weißt du auch nicht mehr, oder?“ – „Nein. Tut mir leid, dass ich dir deine Überraschung so vermiest habe.“ – „Es ist schon okay.“

„Weiß meine Mutter eigentlich, dass ich bei dir die Nacht verbracht habe?“ – „Ja, sie weiß Bescheid. Ich habe ihr heute Morgen eine Nachricht geschickt, in der ich gesagt habe, dass ich dich als Überraschung mit zu mir genommen habe. Sie hatte heuten Morgen darauf geantwortet, wie ich später gesehen hab und war dankbar, dass ich ihr geschrieben hatte.“ – „Das ist lieb von dir.“ Sie kam näher zu mir und ich blieb steif stehen, weil ich nicht wusste, was Janine genau wollte. Als sie mir andeutete, mich umarmen zu wollen, ließ ich dies zu. Wir standen eine lange Weile so und sagten nichts. Es war eigentlich wirklich schön, nur wusste ich nicht, wie lange ich Janine dies noch verzeihen konnte. Je öfters ich sie in solch einem Zustand sah, desto schlimmer wurde es.

Ich räumte anschließend den Sauger weg – Janine ging in mein Zimmer – und widmete mich dem Gästezimmer, welches Tim wirklich schon vorbildlich verlassen hatte. Er verwendete nichts in diesem Zimmer, sodass sich die Arbeit von ihm natürlich in Grenzen hielt, aber wenigstens war er so nett und hatte die Bettsachen direkt wieder abgezogen, sodass ich mich nicht um mehr kümmern musste, als die Bettwäsche in die Waschmaschine zu stecken. Ich ging wieder in mein Zimmer, wo Janine bereits ebenfalls so nett war und so gut es ging das Zimmer geputzt hatte. Ich verlangte dies keineswegs von ihr, aber ich glaubte, sie tat dies als Wiedergutmachung des letzten Abends. Ich küsste sie dafür.

Da ich ein wenig Körperkontakt wollte, meinte ich: „Leg dich auf den Bauch hin, Süße.“ Das tat sie auf meinem Bett und ich setzte mich vorsichtig auf ihren Hintern, worauf sie mich fragte: „Willst du mich etwa verführen?“ Wir schmunzelten ein wenig, aber ich sagte ehrlich: „Weißt du, ich dachte, es wäre einfach ganz gut, wenn ich dich ein bisschen massiere. Ok?“ – „Ja, das find ich gut.“ Ich hatte wirklich nicht vor, mit ihr zu schlafen, weil mir einfach danach nicht war. Die Situation zwischen ihr und mir entspannte sich in diesen Momenten, aber sie war nicht so gut, dass mir der Sinn nach Sex war. Ich wollte mit der Massage bezwecken, dass sie und ich ein wenig wieder zueinanderfanden, weil unser Verhalten zueinander ein wenig distanziert war. Wir hatten dieses merkwürdige Verhalten jedes Mal, wenn einer von uns – primär in letzter Zeit ja leider sie – Scheiße gebaut hatte und es daher zu Unstimmigkeiten zwischen ihr und mir kam. Mit der gegenseitigen Massage bemerkte ich, dass wir unsere normale Verbundenheit deutlich wiederhergestellt hatten, was mir persönlich sehr wichtig war. Allerdings redeten wir nicht über den Streitpunkt, der mittlerweile dauerhaft vorhanden war – ihre Neigung zu sehr viel Alkohol.

Nach dem langen Massageakt fragte sie mich: „Ähm…“ – „Ja?“ – „Hast du was dagegen, wenn ich heute über Nacht noch hierbleibe? Wir hatten das ja ursprünglich ausgemacht, dass ich heute hier übernachte.“ – „Nein, natürlich habe ich nichts dagegen. Ich freue mich doch, wenn wir Zeit miteinander verbringen können.“ Wir küssten uns und ich war von Janines Frage erstaunt. Ehrlich gesagt musste ich mir auch eingestehen, dass ich Janine wegen ihres Zustandes nicht nach Hause gehen lassen wollte. Ich fühlte mich nicht wohl dabei, weil ich erwartete, dass Melanie komisch auf Janines Anblick reagieren würde, sofern Janine an diesem Samstag noch nach Hause gegangen wäre. Dadurch, dass Janine auch an diesem Tag nicht nach Hause ging, hatte sie auch einen weiteren Tag lang keine Wechselkleidung, aber wir hatten glücklicherweise genügend Kleidung von ihr bei mir gebunkert. Das waren zwar nun nicht gerade ihre Lieblings-Kleidungsstücke, aber da musste sie jetzt nun durch.

Am Abend kuschelten wir noch eine lange Zeit lang. Petting oder geschweige denn Sex gab es nicht. Janine schlief an diesem Abend früh ein – 21 Uhr etwa -, während ich mich gegen Mitternacht schlafen legte. Den Großteil der Zeit an diesem Abend verbrachte ich mit Fernsehschauen.

Am Sonntag weckte mich Janine gegen zehn Uhr. Sie hatte für mich Frühstück vorbereitet, welches sie mir ans Bett brachte. Ich fand das sehr lieb von ihr und mir war auch klar, dass sie dies ebenfalls als Chance für eine Wiedergutmachung nutzen wollte. Es war sehr schön und sehr lieb von ihr vorbereitet, aber so viel, wie mittlerweile vorgefallen war, konnte ich dies alles nicht einfach so vergessen. Selbst ein Frühstück ans Bett konnte da auch nicht wirklich viel bewirken.

Den restlichen Vormittag und Mittag über verbrachten wir ebenfalls mit Kuscheln, bis ich Janine nach Hause brachte. Da sich Janine in ihrer Kleidung für Notfälle nicht besonders wohlfühlte, zog sie sich die Kleidung vom Freitag an, auch wenn diese immer noch deutlich nach Rauch roch. Sie sah wirklich sehr sexy aus. Gleichzeitig kam mir der Gedanke, warum sich Janine so hübsch machte, während sie auf den Geburtstag ging. Was ich ja von Janine wusste und kannte, war die Tatsache an sich, dass sie bei bestimmten Anlässen sich hübscher machte, um einfach einen gepflegten Eindruck zu hinterlassen. Aber ich musste zugeben, dass dieses Outfit für diesen Abend doch schon zu übertrieben war, weil es einfach zu tiefe Einblicke gewährte, die normalerweise nur mir gewährt wurden. Diese Entdeckung machte mich erneut ein Stückchen eifersüchtiger, als ich es schon war. Diese gesamten Treffen mit der Gruppe und auch die Ungewissheit machten mich ziemlich eifersüchtig auf die Leute, mit denen sich Janine regelmäßig traf. Das Problem war, dass ich an dieser natürlichen Eifersucht leider auch nichts ändern konnte. Im Gegenteil: Durch Janines Verhalten und den Geschehnissen wurde es eigentlich sogar noch schlimmer. Ich war mir ziemlich sicher, dass Janine davon überhaupt nichts mitbekam. Sie war in letzter Zeit ziemlich blind geworden, was meine Bedürfnisse und Wünsche anbelangte. Primär hatte ich das Gefühl, dass sie sich auf die Gruppe konzentrierte und ich damit nur die zweite Wahl war, was bisher im Laufe der Beziehung nie der Fall war. Dieser Umstand tat mir einfach in der Seele weh. Meiner Ansicht nach durfte es einfach nicht sein, dass sich wegen ein paar Leuten unsere Beziehung so veränderte. Den restlichen Sonntagnachmittag verbrachte ich mit schulischen Angelegenheiten. Abends ging ich früh schlafen.

Janine sagte mir am Montag, dass am Mittwoch wieder ein Treffen organisiert worden wäre. Abgesehen von meinem standardisierten Hinweis, dass sie wegen der Schule nicht bis all zu spät in der Nacht wegbleiben konnte, nahm ich dies einfach so hin, dass sie sich mit denen traf. Zudem erzählte mir Janine, dass ihre Mutter von Mittwoch auf Donnerstag über Nacht wegblieb, was in mir nur noch mehr die Sorge vergrößerte. Ich hoffte nicht, dass sie das Treffen vielleicht sogar bei sich zu Hause veranstaltete. Es hing auch mit meinen Privatsachen zusammen, die bei ihr lagen, auch wenn sie diese ja normalerweise in einem Fach verstaut hatte.

Der Montag wie der Dienstag verging, und da ich am Mittwochnachmittag ausnahmsweise recht viel Zeit hatte, fragte ich Tim spontan nach einem Treffen. Er stimmte zu und wir gingen Billard spielen. Wie so oft quatschten wir sehr viel, allerdings gab es nichts mehr, was er und ich bezüglich des Falls Janine und Alkohol bereden konnten, sodass ich ihn auch darum bat, das Thema für die nächsten Tage oder Wochen nicht anzusprechen, weil ich eben nicht so positiv darauf reagierte.

Janine schrieb mir im Laufe des Mittwochabends immer wieder, dass sie noch auf der Feier war. Dass sie selbst um kurz nach 21 Uhr immer noch auf der Feier war, beunruhigte mich, sodass ich ihr nur schrieb, dass ich bald ins Bett gehen würde. Sie las meine Nachricht aber leider nicht, sodass ich mit ziemlichen Sorgen und einer weiteren Nachricht wirklich ins Bett ging und ihr eine gute Nacht wünschte. Ich rechnete bereits vorher damit, dass sie etwas Schlafmangel in Kauf nehmen würde, ich hoffte einfach, dass sie heil nach Hause kommen würde. Ich ließ den Ton meines Smartphones wie immer an und schaltete ihn noch lauter als sonst, damit ich notfalls reagieren konnte, falls Janine mich wirklich anrufen würde.

Der Donnerstagmorgen begann für mich alles andere als gut. Ich hatte Pech am laufenden Band. Direkt beim Aufstehen – mit quasi noch geschlossenen Augen – trat ich unvorbereitet auf meine Hose, die offenbar von meinem Stuhl in der Nacht heruntergerutscht war. Durch meinen – im wahrsten Sinne des Wortes – Fehltritt verdrehte ich mir fast den Fuß, weil ich keinen Halt hatte und fast hinflog. Während ich in der Wohnung umherging, war meine Geschicklichkeit beim Gehen anfangs so miserabel, dass ich mit meinem Körper an manche eckigen Dinge – wie zum Beispiel Schränke – mit Wucht heran stieß, was auch dementsprechend wehtat. Ich bekam zudem in der Zeit, in der ich zu Hause war, kaum was zu essen, weil unser derzeit einziges Brot verschimmelt war – ich konnte nur Müsli essen – und ich am Morgen noch zusehen musste, vorher zum Bäcker zu kommen, damit ich zumindest etwas zu Essen in der Schule hatte. Spätestens an dem Punkt, an dem ich ziemlich viel Wasser im Badezimmer herumspritzte, weil ich beim Duschen nicht richtig aufgepasst hatte, war für mich klar: Das konnte ein ziemlich bescheidener Tag in deinem Leben werden.

Mit etwa fünf Minuten Verspätung flitzte ich zum Bäcker, anschließend zur Bushaltestelle, wo Janine bereits auf mich wartete. Erst dort fiel mir auf, dass ich gar nicht mehr auf mein Smartphone geschaut hatte, ob sie mir geantwortet oder zumindest die Nachrichten gelesen hatte. Es spielte für mich aber auch keine Rolle. Ich war einfach wirklich froh, sie zu sehen, da ich zumindest auf ein bisschen Nähe und Verständnis hoffen durfte, selbst wenn es nicht mehr die riesige Menge aus den ersten Monaten unserer Beziehung war. Da ich es recht eilig hatte, nahm ich sie an die Hand und zog sie vorsichtig mit nach unten zu den U-Bahn-Gleisen, weil ich die Begrüßung genauso gut auch unten mit ihr machen konnte. Ich küsste sie und stellte dabei geschockt fest, dass sie eine Fahne hatte! Im Verlauf der über einjährigen Beziehung mit Janine konnte ich eindeutig sagen, wenn Janine normalen Mundgeruch hatte, was äußerst selten vorkam. Es war eindeutig – der Geruch ihres Atems war keineswegs normaler Mundgeruch. Ich konnte mir auch deswegen sicher sein, weil sich Janine normalerweise immer die Zähne putzte, bevor sie zur Schule ging. Sie war halt – und das fand ich toll – ein sehr gepflegter Mensch.

Ich schaute sie mit garantiert funkelnden Augen an – meine Laune hatte nun wirklich den Tiefpunkt erreicht – und fragte recht laut: „Du willst doch nicht etwa betrunken zur Schule gehen?!“ Ich war wirklich sauer und gerade dadurch, dass schon alles an diesem Tag schiefgelaufen war, wurde ich noch wütender und aggressiver. Sie schaute mich an und sagte nichts. Es war mir egal, dass auf dem Bahnhof ein paar Jugendliche und Erwachsene standen, die zu uns rüber schauten. Ich war so sauer, dass ich das einfach gekonnt ignorierte.

Sie zog mich möglichst unauffällig ein wenig in Richtung des Ausganges, sodass wir unter uns waren. Ich meinte, dieses Mal zumindest etwas leiser, folgendes: „Bist du denn bescheuert? Wie kannst du denn betrunken zur Schule gehen?“ Es war mir ebenfalls egal, dass ich in diesem Moment etwas beleidigend wurde. Aber mir war klar, dass ich auf normale Art und Weise bei Janine nichts mehr bewirken konnte. Janine entgegnete mir darauf, fast flüsternd: „Bärchie… bitte reg dich nicht so auf.“ – „Wieso sollte ich mich nicht aufregen? Wieso sollte ich das nicht tun?“ – „Mensch, hör mal, gestern-“ Ich unterbrach sie und ließ sie nicht zu Wort kommen, weil ich in diesen Momenten einfach mehr als auf 180 war: „Das kann doch echt nicht wahr sein, dass du jetzt schon innerhalb der Woche anfängst, Alkohol zu trinken! Jetzt reicht es dir nicht mehr am Wochenende, sondern auch während der Schulzeit!“ – „Bitte sei nicht böse… Das war ja auch überhaupt nicht so vorgesehen. Ich weiß auch nicht, ich habe gestern einfach vergessen, dass heute wieder Schule ist.“ In diesen Momenten schaute ich das erste Mal am heutigen Tag Janine direkt in die Augen und bemerkte, dass diese rot unterlaufen waren. Man sah ein wenig die feinen Äderchen. Selbst wenn Janine gepflegt wie immer umherlief, konnte man beim genaueren Schauen schon bemerken, dass sie nicht ganz auf der Höhe war.

Ich fragte sie: „Hast du heute schon genau in den Spiegel geschaut?“ – „Na ja, schon, heute Morgen…“ – „Hast du da auch gesehen, wie deine Augen aussehen? Wie lang hast du letzte Nacht geschlafen?“ – „Ich weiß nicht genau… Was ist denn mit meinen Augen?“ – „Die sind rot unterlaufen! Wie viel hast du geschlafen?“ Sie sagte nichts darauf und ich erwiderte: „Sei verdammt noch mal ehrlich!“ – „Ich habe… letzte Nacht eigentlich gar nicht geschlafen.“ Das war wie ein Schlag in die Magengrube. Mein Mund klappte dabei regelrecht auf. „Du hast was?“, meinte ich erneut laut, sodass sie mich wieder versuchte, zu beruhigen, was aber kläglich scheiterte. Ich fragte: „Wieso hast du nicht geschlafen?“ – „Na ja, das Treffen… ging halt so lange… Wir haben eine lange Zeit miteinander verbracht. Ich habe vergessen, dass heute Schule ist… und ich bin da wahrscheinlich für ein bis zwei Stunden eingeschlafen.“ – „Was?“ – „Das war ja nun wirklich nicht geplant.“ – „Was ist mit deiner Mutter?“ – „Die hat von alledem ja gar nichts mitbekommen können. Die kommt doch erst heute Mittag wieder… hat woanders übernachtet. Das hatte ich dir doch erzählt.“ – „Das kann doch echt einfach nicht wahr sein!“ Sie sagte nichts, ich fasste mich nach einigen Sekunden ein wenig und fragte vorwurfsvoll: „Dir ist schon klar, in was für eine Situation du dich da gebracht hast? Die hätten, während du geschlafen hast, was weiß ich was mit dir machen können!“ – „Ich habe großes Vertrauen zu denen, die machen so was nicht und haben es ja auch nicht gemacht.“ – „Du weißt, dass ich diesen Idioten nicht über den Weg traue!“ – „Das sind keine Idioten!“ – „Ich verlange von dir, dass du nach Hause gehst und dich ausschläfst, in dem Zustand kannst du nicht in die Schule gehen!“ – „Das kann ich nicht machen. Wie soll ich meiner Mutter das erklären? Die Entschuldigung kann ich mir selbst schreiben, aber sie sieht ja, dass ich zu Hause bin.“ – „Erkläre mir das nicht, daran bist nur du selbst schuld! Gehe nach Hause, das ist das einzig Vernünftigste, was du jetzt zumindest noch tun kannst.“ – „Das geht nicht. Ich gehe in die Schule, ich schaffe das schon den Tag über.“ Ich hörte, dass die U-Bahn in den Bahnhof einfuhr. Ich sagte: „Was du jetzt machst, soll mir einfach egal sein… Du weißt scheinbar immer am besten Bescheid, was für dich das Richtige ist. Ich steige jetzt in die Bahn und fahre zur Schule, weil ich sonst bald zu spät käme.“ – „Aber… was soll ich denn jetzt machen?“ Ich drehte mich weg von ihr und stieg in die U-Bahn. Ich drehte mich nicht mehr um. Nachdem der Zug fuhr, schaute ich mich zumindest im Waggon um, und stellte fest, dass Janine zumindest nicht in meinen Waggon – auch nicht in dem hinter mir – eingestiegen war.

Beim Aussteigen bemerkte ich, dass sie überhaupt nicht in den Zug gestiegen war. Ich hatte die Hoffnung, dass sie vielleicht doch noch zur Vernunft gekommen war und sich auf dem Weg nach Hause begab. Sie stellte diese Scheiße an, also musste sie diese auch ausbaden… und wenn es in der Form war, dass sie ihre Mutter anlügen musste.

Ich ging – mit gemischten Gefühlen – zur Schule. Einerseits sagte mir mein Ego, dass ich absolut richtig gehandelt hatte und mich nicht für das Stehenlassen zu rechtfertigen hatte. Andererseits sagte ich mir, sie war meine Freundin und trotz der Notlage hätte ich sie unterstützen müssen, was ich aber nicht tat. Ich fühlte mich daher eher sogar schlecht, dass ich einfach gegangen war, weil das alles andere als Zusammenhalt war. Es nagte an mir, dass ich ihr nicht half. Wahrscheinlich lag es aber auch einfach daran, dass ich es aufgegeben hatte, ihr wirklich zu helfen. Ich konnte ihr nicht mehr helfen, sofern sie sich nicht helfen lassen wollte. Sie hörte nicht auf meine Ratschläge, wollte immer alles selbst besser wissen – tja, ich konnte und wollte auch nicht mehr helfen, weil es nichts gebracht hatte.

In der Schule erzählte ich Tim direkt das Vorgefallene und er war gewissermaßen erschrocken wie auch erstaunt. Er stärkte mich aber auch in dem Gedanken, das Richtige getan zu haben, weil er meinte, dass mein Appell an sie, nach Hause schlafen zu gehen, die einzig richtige Entscheidung war, was man in der Situation machen konnte. Um kurz vor acht trat Janine in den Klassenraum und setzte sich neben mich. Ich war wirklich erstaunt. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich hatte gedacht und auch gehofft, dass sie nach Hause gefahren war. Diese Lüge gegenüber ihrer Mutter war wohl das geringste Übel, da sie ihre Migräne durchaus als Argument hätte nennen können, selbst wenn es nicht gestimmt hätte.

Wir saßen zwar nebeneinander, aber wir wechselten fast kein Wort miteinander – und das den ganzen Schultag über. Erst am Ende des Schultages – Janine sah nicht besser aus – redeten wir ein paar Worte auf dem Rückweg von der Schule nach Hause. Sie meinte: „Siehst du… habe ich den Tag doch herum gebracht, ohne eine Entschuldigung zu benötigen.“ – „Und ich denke weiterhin, dass es eigentlich wesentlich besser gewesen wäre, wenn du nach Hause gefahren wärest. Klar, du hättest deine Mutter angelogen, aber zumindest wärest du so zu ein paar Stunden Schlaf gekommen…“ – „Na ja, jetzt haben wir den Tag ja doch noch geschafft. Ausruhen kann ich mich heute ja trotzdem noch. Ich muss mich nur an die Hausaufgaben heransetzen, danach lege ich mich direkt schlafen… Ach ja, der Vortrag… oh nein.“ – „Den musst du auch noch machen, oder?“ – „Ja, der Englisch-Vortrag… Wieso habe ich mich dafür nur freiwillig gemeldet? Verdammt…“ – „Süße.“ – „Hm?“ Wir waren auf dem Bahnsteig und blieben stehen. Als wir uns direkt in die Augen schauten, sagte ich: „Ich möchte mich dafür entschuldigen, dass ich heute Morgen einfach so abgehauen bin und dich dastehen gelassen habe. Das tut mir leid. Das macht man nicht, ich hätte für dich da sein müssen.“ – „Entschuldigung angenommen.“ Wir umarmten uns und sie sagte: „Aber ich habe schon verstanden, dass du vorhin sauer auf mich warst und deshalb gegangen bist.“ Ich sprang über meinen Schatten, als ich ihr vorschlug: „Wenn du willst, komme ich vorbei und helfe dir mit den Hausaufgaben, wo ich halt kann. Je früher du fertig bist, desto mehr kannst du dich ausruhen. Du siehst ziemlich müde aus.“ – „Das ist lieb von dir. Würdest du das wirklich für mich machen?“ – „Na klar. Musst mir nur sagen, wann ich bei dir sein soll. Wir machen das, so gut es geht, zusammen, ok?“ – „Ja… Wenn du willst, sei doch so um halb vier bei mir.“ – „Ja, ist in Ordnung.“ Wir küssten uns kurz – es kam einfach so über uns – und stiegen in die Bahn.

Nach dem Aussteigen verabschiedeten wir uns und ich lief nach Hause. Um Zeit zu sparen, wartete ich mit Janine nicht auf ihren Bus. Zuhause aß ich, machte mich ein wenig frisch und fuhr mit meinen Schulunterlagen zu Janine. Ich musste an dieser Stelle anmerken, dass ich mich von selbst dazu entschlossen hatte, etwas lockerer auf sie zuzugehen. Tim hatte durchaus Recht mit seiner grundlegenden Kritik in meine Richtung, dass ich definitiv ein Teil des gesamten Problems war. Zumindest stand für mich fest, dass Janine verstanden hatte, dass sie sich solch einen Ausrutscher nicht mehr erlauben durfte. Die Lehrer wunderten sich bestimmt, dass Janine an diesem Tag so ruhig im Unterricht war. Janine war in vielen Fällen immer noch die beste und es war einfach total merkwürdig, wenn die beste Schülerin der Klasse plötzlich verstummt war…

Ich kam bei Janine an und mich begrüßte zuerst Melanie, die scheinbar unbedingt mit mir sprechen wollte. Ich ahnte, wieso sie mit mir sprechen wollte. Sie fragte mich, wieso Janine an diesem Tag so fertig aussah. So war ich zwischen der Wahrheit, die ich kannte und einer Lüge hin und her gerissen. Ich entschied mich zwar für eine Notlüge, allerdings einer, die trotzdem einen gewissen Wahrheitsgehalt beinhaltete: „Ich weiß es nicht so genau. Ich habe heute in der Schule auch bemerkt, dass sie so komisch aussieht.“ Beinahe hätte ich mich verplappert und erzählt, was Janine mir verraten hatte. Allerdings musste ich zugeben, dass es richtig war, dass Melanie sich in diesen Fall einschaltete. Es war vermutlich zwar nur mehr oder weniger Zufall, aber Janine musste lernen, dass sie mit solch einer Art von Verhalten im Leben nicht weiterkommen konnte. Melanie war sehr großzügig und ruhig, das wusste ich im Laufe der langen Zeit, aber sie konnte auch sehr deutliche Worte sprechen, die zwar nie in einer hohen Lautstärke, allerdings dafür ziemlich eindringlich sein konnten. Anschließend fügte ich hinzu: „Am besten ist es, denke ich, wenn du selbst mit ihr darüber redest. Ich finde das nicht so toll, dass wir hinter ihrem Rücken gerade reden.“ – „Ja, du hast Recht. Ich werde sie nachher, wenn du gehst, darauf ansprechen.“ Ich nickte und klopfte an Janines Zimmertür. Normalerweise machte ich das eigentlich nicht, weil Janine festlegte, dass ich als Einziger einfach ohne zu klopfen ihr Zimmer betreten durfte, aber an diesem Tag hatte ich eher das Gefühl, zu klopfen. Es kam kein Zeichen, sodass ich mir nichts dabei dachte und einfach die Tür öffnete. Dort sah ich Janine – mit dem Kopf auf ihrem Schreibtisch. Sie war eingeschlafen. Ich musste zugeben, dass sie mir wirklich leidtat. So gut wie keinem, und schon gar nicht meiner eigenen Freundin, wollte ich diesen körperlichen Zustand, wie Janine ihn aktuell hatte, zumuten. Allerdings musste Janine da nun durch, und zwar mehr oder minder allein.

Ich schloss die Tür hinter mir und rüttelte leicht an Janine. Nach rund einer Minute öffnete sie ein wenig ihre Augen und hob ihren Kopf hoch. „Ah… Bärchie…“ Sie konnte kaum reden vor tiefer Müdigkeit. „Hey, ich hatte mir schon gedacht, dass das passieren wird. Du bist einfach zu müde, um heute irgendetwas hinzubekommen.“ – „Ne, ich muss das schaffen… Morgen ist der Vortrag.“ – „Wenn du willst, sage ich den Vortrag morgen ab. Aber du musst dafür natürlich auch zu Hause bleiben.“ – „Aber ich will eigentlich nicht fehlen.“ – „Man, Janine, denkst du etwa, einer der Lehrer könnte jemals wirklich sauer auf dich sein? Du hast dir solch einen guten Namen in der Schule gemacht, dass die darüber recht locker hinwegsehen. Es gibt doch kaum Lehrer mittlerweile, die dich nicht kennen.“ – „Ja, diesbezüglich hast du ja Recht.“ – „Siehst du. Wenn du diese Nacht ausschlafen würdest, bist du morgen hoffentlich wieder fit und kannst dich wieder an die Aufgaben machen. Außerdem hast du das Wochenende. Wäre das nicht eine Idee?“ – „Eigentlich schon, ja.“ – „Na ja, überlege es dir einfach. Wir können ja die normalen Hausaufgaben zumindest anfangen und schauen weiter.“ – „Ja, das finde ich gut.“ Janine kam nur schwerfällig in Gang. Als sie soweit wieder vernünftig bei allen Sinnen war, begannen wir die Hausaufgaben. Besser gesagt sah es folgendermaßen aus: Ich übernahm Janines Arbeitsbögen in unseren Fächern, die wir gemeinsam hatten, während Janine an ihrem Vortrag in Englisch bastelte. Als ich meine eigenen Arbeitsbögen fertig gestellt hatte, kopierte ich die Lösungen auf ihre Bögen. Somit hatte sich ein größerer Teil ihrer Hausaufgaben schon erledigt. Ihr Vortrag dauerte lange – fast zu lange. Am Abend gegen 21 Uhr fuhr ich nach Hause und Janine war mit ihrem Vortrag und den restlichen Hausaufgaben, die ich nicht übernehmen konnte, schon fertig. Bei der Verabschiedung küssten wir uns kurz, umarmten uns lang und ich ging nach Hause. Mir fiel bei der Verabschiedung, speziell bei der Umarmung auf, dass sie fast im Stehen eingeschlafen war. Daher riet ich ihr, sich nun möglichst schnell schlafen zu legen.

Ich ging mit gemischten Gefühlen nach Hause. Einerseits war ich immer noch bitter von ihr enttäuscht, dass sie innerhalb der Woche sich solch einen Absturz geleistet hatte. Andererseits konnte ich dies ein bisschen nutzen, um ihr nach den ganzen vielen Streitigkeiten wenigstens ein wenig näher zu kommen. Die Nähe war zwar aufs Wesentlichste beschränkt, sprich mehr als Küssen und Kuscheleinheiten gab es nicht, aber immerhin, es gab eine gewisse Annäherung. Ziemlich erschöpft von dem Tag ging ich gegen 22 Uhr schlafen.

Am nächsten Morgen war ich mir nicht sicher, ob ich beim Bus auf Janine warten sollte. Da sie mir nicht Bescheid gab, ob sie nun kam oder nicht, blieb ich einfach bei unserer Absprache und wartete am Bus zur normalen Zeit wie immer. Da Janine im ausgemachten Bus nicht drin war, sie auf meine Nachricht nicht reagierte und auch der darauffolgende Bus Janine nicht beinhaltete, fuhr ich allein zur Schule. Ich war froh, dass sie zu Hause geblieben war. Meiner Ansicht nach war es richtig, dass sie das tat. Um ihr auch zu zeigen, dass ich an sie dachte, suchte ich vor Beginn der ersten Stunde unseren Lehrer und sprach ihn darauf an, dass Janine von einer Erkältung umgeworfen wurde und sie daher logischerweise den Vortrag nicht halten konnte. Mir war klar, dass er darüber nicht allzu glücklich sein konnte, weil der Vortrag über die vollen 45 Minuten gehen sollte und unser Lehrer damit eigentlich nichts zu tun gehabt hätte, als sich ein paar Notizen über den Vortrag zu machen. Aber zumindest – ich hatte es Janine schon vorhergesagt – hatte er totales Verständnis und sagte, dass ich ihr eine gute Besserung bestellen und ihr ebenfalls Bescheid geben sollte, dass sie den Vortrag gerne an einem anderen Termin halten konnte.

Der Tag verging wie alle anderen auch. Als ich zu Hause war, rief ich Janine an. Sie ging nicht ans Telefon, was mich jetzt nicht weiter irritierte, sie rief mich immer zurück, sobald sie den Anruf bemerkte. Ich ließ locker eine halbe Stunde vergehen und probierte es wieder. Janine ging wieder nicht ans Smartphone. Ich schrieb ihr eine Nachricht: „Süße, ist alles ok? Rufst du mich an, wenn du kannst?“ Mir wurde angezeigt, dass sie gerade online war, sodass die Wahrscheinlichkeit, dass sie gerade aufs Telefon schaute, ziemlich hoch war. Ich verstand die Situation nicht so ganz.

Nach einer weiteren halben Stunde rief ich auf dem Festnetz an, wo Melanie ans Telefon ging. Als ich sie darum bat, mich zu Janine weiterzureichen, wurde Melanie ganz merkwürdig und flüsterte leise: „Ich glaube, sie möchte aktuell nicht mit dir reden, Marc. Sie ist irgendwie ziemlich komisch aktuell, nachdem ich gestern mit ihr gesprochen habe.“ – „Wie hat sie denn reagiert, als du gestern-“ Melanie unterbrach mich durch hektisches Flüstern: „Sie kommt gerade aus dem Bad.“ Sie legte direkt auf, ohne sich zu verabschieden und ich verstand die Welt nicht mehr.

Aus welchem Grund wollte Janine nicht mit mir sprechen? Was hatte ich denn jetzt schon wieder angestellt? Ich half ihr gestern aufopferungsvoll und sich mit dieser Art bei mir bedanken – das war nicht Janine, zumindest nicht die, die ich wirklich kennen und lieben gelernt hatte. Ich hatte die Hoffnung, das Wochenende vielleicht mit Janine verbringen zu können. Je öfter ich Janine im Laufe des Tages anrief, desto mehr schwand allerdings meine Hoffnung. Sie hatte das Handy aber weiter angeschaltet. Mit verwirrten Gedanken ging ich an diesem Freitag nicht all zu spät schlafen, schlief aber ziemlich schlecht, weil ich einfach nicht wusste, was los war und mich das selbst im Schlaf verfolgte.

Am nächsten Morgen aß ich in Ruhe mein Frühstück und probierte wieder über Janines Smartphone, da ich Melanie nicht wieder auf die Nerven gehen wollte. Dieses Mal war es allerdings aus, was einerseits wegen eines leeren Akkus automatisch passiert sein konnte, andererseits aber auch die Konsequenz eines absichtlichen Ausschaltens gewesen sein konnte. Ich wusste nicht, woran ich war. Ich verstand es nicht, weil Janine normalerweise immer mit mir darüber sprach, wenn sie irgendwie verabredet war oder für längere Zeit unerreichbar sein wollte. Mir war klar, dass etwas absolut nicht stimmte.

Am Nachmittag, nach meinem typischen Wocheneinkauf, fuhr ich zu Janine und klingelte an der Haustür, weil ich da zumindest noch die größte Chance hatte, ihr vielleicht zu begegnen. Ich klingelte mehrere Male und hörte auch Geräusche aus der Wohnung kommen, aber es öffnete mir keiner die Tür. Eines wusste ich zumindest: Wenn Melanie zu Hause war, öffnete sie immer die Tür, wenn es klingelte, sodass ich davon ausging, dass Janine vermutlich allein zu Hause war. Ich war enttäuscht und verletzt. Mein erster Ansprechpartner war direkt wieder Tim, den ich am Abend anrief. Er konnte sich wie immer keinen Reim darauf bilden und sagte mir, dass er auch einfach nicht mehr weiterwusste, was das Thema Janine betraf. Er wunderte sich genauso wie ich über die Verhaltensweisen von ihr. Nur war der feine, kleine Unterschied, dass sie mir extrem viel bedeutete und es mich daher sehr schmerzte, was mit ihr geschah und wie sie mit mir umging.

Ich ließ es an diesem Abend, nochmals bei Janine anzurufen, so auch am nächsten Tag, weil ich es einfach aufgegeben hatte. Spätestens in der Schule sollte ich Janine wieder begegnen und mir war klar, dass ich sie deutlich konfrontieren würde. An diesem Sonntag schrieb ich ihr zumindest eine Nachricht, dass sie den Vortrag an einem anderen Tag halten durfte und keine Sorgen haben musste, diesen am Montag direkt halten zu müssen. Ich sah im Laufe des Abends zumindest, als ich den Chat mit Janine geöffnet hatte, dass sie meine Nachrichten vom Wochenende mittlerweile gelesen hatte. Eine Antwort bekam ich dennoch nicht.

Am nächsten Morgen wartete ich beim Bus auf Janine – sie kam nicht. Das verwunderte mich wirklich, weil ich das nun nicht erwartet hatte: War sie weiterhin noch krank oder erschöpft? Umso größer war meine Überraschung, als ich in den Unterrichtsraum, in dem Janine und ich gemeinsam die erste Stunde hatten, hineinkam: Janine saß da bereits auf ihrem Platz! Mit einem ziemlich verwunderten Blick ging ich langsam zu ihr und setzte mich neben sie. Ich sagte recht schüchtern und zurückhaltend: „Guten Morgen… Süße.“ Nach ein paar Sekunden, in denen wir uns direkt in die Augen schauten, meinte sie: „Morgen.“ Ich überlegte, wie ich das Gespräch mit ihr anfing und fragte: „Hast du meine Nachrichten gelesen?“ – „Ja, habe ich.“ Ich konnte Janine nicht einschätzen. Ich war mir nicht sicher, ob sie nun eher höflich oder aggressiv gestimmt war. „Schön. Ich habe versucht, dich das ganze Wochenende über zu erreichen. Was war los?“ Ich musste direkt werden, ein Herumgerede half da meiner Meinung nach nicht. „Ich wollte nicht mit dir reden.“ – „Aber wieso das denn?“ – „Das fragst du auch noch?“ Okay, ich wusste, Janine war nicht wirklich höflich gestimmt – und wenn sie es war, spielte sie es exzellent. „Ich war am Donnerstag bei dir, hab dir noch geholfen… Ich dachte, ich tue dir damit was Gutes, indem ich dir deine Arbeit abnehme, aber, dass mir so gedankt wird, damit hatte ich nicht erwartet.“ – „Ja, da sprichst du das Thema genau an. Der Donnerstag… Bevor du mir geholfen hast, hast du doch direkt die Gunst der Stunde genutzt und mit meiner Mutter gesprochen. Da dachtest du wohl, ich durchschaue das nicht, was?“ Der Vorwurf, den sie mir machte, tat extrem weh. Es war einfach nicht gerechtfertigt von ihr, mir das zu unterstellen.

„Du hast zwar Recht, dass es ein Gespräch zwischen deiner Mutter und mir gab, aber glaubst du etwa, das war freiwillig?“ – „Wie du merkst, gehe ich davon aus, ja.“ – „Du irrst dich dabei aber mächtig, Süße. Deine Mutter hat mich angesprochen und nicht ich sie.“ – „Und wieso sollte ich dir das glauben? Außerdem wusste sie, dass etwas überhaupt nicht mit mir stimmte. Von wem wohl?“ Das fand ich schon fast frech und zugleich auch gewissermaßen dumm oder naiv. Sie war dieses Mal wirklich total auf dem Holzweg.

„Hast du schon darüber nachgedacht, dass deine Mutter dich anschaut, wenn sie dir begegnet? Hast du vielleicht daran gedacht, dass deine Mutter sofort gesehen hat, dass es dir nicht gut ging? Wieso unterstellst du mir, dass ich deiner Mutter erzählt hätte, was vorgefallen ist? Deine Mutter wusste nichts. Sie hat nur gesehen, dass es dir scheinbar nicht gut ging und hat mich darauf angesprochen. Da habe ich nur gesagt, dass mir dies in der Schule zumindest auch aufgefallen sei, ich aber nicht wüsste, woran es lag. Ich habe ihr auch gesagt, dass ich es nicht in Ordnung finde, dass sie mich hinter deinem Rücken darauf anspricht und sie daher mit dir persönlich reden soll. Das war alles, was ich gesagt hatte. Ich habe zu dir gehalten.“ Während dieser gesamten Sätze war Janine still und schaute mir direkt in die Augen. Sie wusste, dass sie im Unrecht war. Ich log sie nicht an. „Stimmt das?“, fragte sie recht vorsichtig, worauf ich mit dem Kopf nickte und letztlich hinzufügte: „Es läuft derzeit einfach alles total schlecht zwischen dir und mir, Janine.“ Ich drehte mich weg und schaute in meiner Tasche nach meinen Unterlagen, die ich für die erste Stunde des Schultages brauchte. Als ich soweit alles auf den Tisch hatte, küsste mich Janine auf die Wange und meinte: „Ich weiß auch nicht, an was das liegt, dass wir derzeit nur aneinandergeraten. Ich glaube dir.“ Ich fand es schön, dass Janine zumindest einsah, dass sie mit ihrer Meinung absolut falsch lag. Allerdings wurde für mich klar, dass keine heile Welt mehr zwischen Janine und mir war. Für mich war das eine Art Waffenstillstand, der allerdings immer wieder schnell revidiert werden konnte. Ich wusste einfach nicht mehr, wie ich der Beziehung von Janine und mir auf die Sprünge helfen konnte. Nichts half mehr. Da wollte ich schon nett und zuvorkommend sein und nun war es auch wieder falsch. Ich war zum Scheitern verurteilt.