Kapitel 20

Operation

Wir gingen zum Einkaufen los und ich spürte beim Tragen des Einkaufs auf dem Nachhauseweg, dass ich unangenehme Schmerzen an der rechten Seite hatte. Ich erzählte Petra auch davon, die mich gleich recht besorgt anschaute und mir sagte, dass wir das beobachten sollten. Am Sonntag war dieser unangenehme Schmerz etwas stärker geworden und wir entschieden uns dazu, das noch maximal einen Tag zu beobachten. Ich erledigte meine Hausaufgaben tagsüber, an denen ich fast acht Stunden saß, sodass ich Janine letztlich absagen musste. Sie schrieb mir, dass es auch nicht schlimm war, weil sie selbst wohl auch noch einiges zu erledigen hatte. In der darauffolgenden Nacht schlief ich schlecht, weil mich meine Schmerzen an der Seite immer wieder aus dem Schlaf rissen. Am nächsten Morgen war der Schmerz schon stechend, sodass ich direkt in aller Früh zum Hausarzt fuhr und mich untersuchen ließ. Petra kam ausnahmsweise sogar mit, was ich zunächst nicht so ganz verstand. Mein Hausarzt meinte nach wenigen Minuten, dass ich sofort ab ins Krankenhaus müsste, da mein Blinddarm vermutlich entzündet sei. Mir rutschte das Herz in die Hose und nun verstand ich auch, warum Petra direkt mitkam, weil sie so was vermutlich geahnt hatte. Wir bestellten uns ein Taxi und fuhren direkt zur Notaufnahme, die sich direkt und ohne Verzögerung um mich kümmerten, obwohl einige andere Leute noch vor mir dran gewesen wären. Als die Untersuchungen abgeschlossen waren und mir der Verdacht des Hausarztes bestätigt wurde, wurde schleunigst ein Operationstermin in der nächsten Stunde ausgemacht. Ich war nervös, weil ich das alles nicht kannte und Sorge vor der Narkose hatte – zusätzlich war mein Hunger mittlerweile ziemlich groß, weil Petra mir am Morgen bereits riet, lieber nichts zu essen. Sie blieb, bis ich in den OP geschoben wurde und sagte mir, dass sie nach Hause fahren und ein paar Dinge für mich holen würde, da ich für wenige Nächte ja nun im Krankenhaus bleiben musste.

Die Narkose war glücklicherweise viel harmloser, als ich befürchtet habe, und die Ärzte tricksten mich erstaunlich schnell aus, sodass ich die auf mich zukommende Narkose gar nicht bemerkte und einfach wegschlief.

Janine erzählt:

Bei unserem Spaziergang am See in der Nähe vom Bowlingcenter sagte er mir noch, dass er sich einfach noch nicht hundertprozentig sicher war und Angst um unseren Kontakt hatte, wenn es zwischen uns doch nicht funktionieren sollte… Ich war über seine ehrlichen Worte völlig erstaunt und spürte aber, dass er viele Gefühle für mich haben musste. Das stellte er noch unter Beweis, als er mich beim Verabschieden einfach küsste! Mein Herz klopfte fast bis zum Hals und für ein paar Sekunden konnte ich gar nicht mehr klar denken.

Direkt nach dem Kuss schaute ich Marc völlig begeistert an und musterte ihn einfach ausgiebig, als er sich kurz von mir wegdrehte und nach dem Bus schaute. Seine breiten Schultern, die ich zum Ankuscheln super fand, sowie seinen knackigen Po fand ich echt toll. Generell mochte ich es, dass Marc schon um einiges größer als ich war, weil ich mich bei ihm damit sicher fühlte. Er wirkte trainiert, obwohl er überhaupt kein Fitnessstudio besuchte und auch sonst kein besonderes Training machte.

Mir wurde, als Marc in den Bus steigen wollte, bewusst, dass ich ihn nicht nur in meiner Nähe haben, sondern ihn richtig spüren wollte. Ich wurde richtig hibbelig und musste mich zurückhalten, als ich Marc zur Verabschiedung noch kurz küsste. Am liebsten hätte ich ihn an Ort und Stelle festgehalten und ewig mit ihm weiter geknutscht… Als er im Bus saß, überkam es mich einfach und ich schrieb ihm, dass ich ihn liebte. Er schaute mich nach dem Lesen meiner Nachricht aus dem Bus an und flüsterte irgendetwas, was ich von seinen Lippen aber nicht ablesen konnte. Ich schrieb ihm, was er mir sagen wollte, aber er machte daraus ein Geheimnis… Er ärgerte mich aber auch, wo er nur konnte!

Als Marc mit dem Bus wegfuhr und ich auf meinen Bus wartete, schrieb ich Tim direkt eine Nachricht und erzählte ihm, was passiert war. Er freute sich sehr und gratulierte mir. Er schrieb aber auch, dass ich es trotzdem langsam angehen lassen sollte. Er wusste von Marc, dass er sich sehr schwer mit solchen Dingen tat. Ich bekam Marc den ganzen restlichen Tag über nicht aus meinem Kopf und konnte daher auch an diesem Tag meine Hausaufgaben einfach nicht erledigen. Ich war drauf und dran, Marc abends noch anzurufen oder anzuschreiben. Aber er sagte mir ja, dass er noch viel zu erledigen hatte, deswegen hielt ich mich zurück, auch wenn es wirklich schwer war.

Am Sonntag bekam ich nur eine kurze Nachricht von Marc, dass er einfach keine Zeit finden würde, weil er noch so sehr mit den Hausaufgaben zu tun hatte. Sonst hörte ich aber nichts von Marc, was ich irgendwie schade fand. Ich hatte irgendwie erwartet, dass er mir wenigstens irgendetwas tagsüber schreiben würde, aber das tat er leider auch nicht. Da meine Laune am Sonntag nicht besonders gut war, schrieb oder rief ich ihn auch sonst nicht weiter an. Ich freute mich dafür umso mehr auf den Montag, an dem ich Marc wieder sehen würde.

Doch ich wurde am nächsten Morgen bitterlich enttäuscht. Ich hatte mir morgens so viel Zeit wie fast nie genommen, um mich für Marc hübsch zu machen, aber als ich an der Bushaltestelle ankam, stand er nicht da und er kam auch kurz danach nicht. Ich fuhr daher irritiert zur Schule, in der er aber auch nicht war. Tim wusste auch nichts, als ich ihn fragte, sodass ich mir Sorgen machte. Auch um acht war Marc nicht da und ich versuchte ihn in der ersten großen Pause anzurufen. Er ging aber nicht an sein Smartphone. Als ich es mittags probierte, war das Ergebnis genauso. Ich verstand das nicht mehr und rief bei ihm zu Hause auf dem Festnetz an, bei dem aber auch keiner herankam. Was war mit Marc los?

Ich machte mir ziemliche Sorgen, die Tim mir zu nehmen versuchte. Aber letztlich wusste er doch genauso wenig wie ich, was mit ihm los war. Auch in der zweiten großen Pause erreichte ich Marc nicht und ich probierte es direkt nach der Schule immer wieder. Ich machte mir große Sorgen, weil das einfach nicht zu Marc passte. Irgendwann am späten Nachmittag war ich drauf und dran, bei ihm vorbeizufahren. Ich probierte es aber erneut auf seinem Handy und hatte Erfolg: „Hey… du hast angerufen?“ – „Endlich gehst du ran! Ist alles ok mit dir?“ – „Ich… habe gerade Schmerzen an der Seite und… fühle mich ziemlich… fertig.“ – „Oh Gott, wo bist du? Brauchst du Hilfe?“ – „Nein… es ist alles gut. Ich wurde wegen meines Blinddarms operiert.“ – „Du bist im Krankenhaus? Wieso hast du nichts geschrieben?“ – „Ich… habe einfach nicht daran gedacht. Es ging einfach alles schnell. Ich sehe, du hast zwölf Mal angerufen?“ – „Wo liegst du? Kann man dich besuchen kommen?“ – „Weiß ich gerade gar nicht… Ich bin erst seit einer halben Stunde wach. Ich schreibe dir, wo ich liege… sobald ich es weiß, ok?“ – „Ja, mach das aber auch wirklich! Ich habe mir den ganzen Tag riesige Sorgen um dich gemacht!“ – „Entschuldige… Das war nicht meine Absicht. Aber so oft musst du wirklich nicht anrufen, ich melde mich schon.“ – „Ich habe mir halt einfach Sorgen um dich gemacht! Jetzt ruhe dich schön aus… Hörst du?“ – „Klar, mach ich.“

Mir fielen einige Steine vom Herzen, zumindest die Gewissheit zu haben, dass mit ihm alles in Ordnung war. Ich schrieb Tim direkt nach meinem Anruf, damit auch er Bescheid wusste. Marc schrieb mir seine Zimmernummer etwa eine Stunde später und fügte noch hinzu, dass es wohl heute mit einem Besuch schwierig werden würde. Ich hätte mir die Zeit genommen, auch wenn sie eigentlich nicht hatte. Obwohl das Halbjahr fast zu Ende war, übertrieben unsere Lehrer mit den Hausaufgaben…

An diesem Abend schrieb ich zumindest einige Nachrichten mit Marc. Ich wäre am liebsten selbst an diesem späten Abend noch zu ihm ins Krankenhaus gefahren, weil ich ihn in meiner Nähe haben wollte. Auch, als Marc mir nicht mehr antwortete, weil er vermutlich schon schlief, dachte ich die halbe Nacht weiter an ihn… Am nächsten Morgen bekam ich dafür direkt die Strafe, weil ich völlig übermüdet war und in der Schule nichts auf die Reihe bekam. Die Stunden wollten einfach nicht rumgehen… Ich fuhr direkt nach der Schule zu Marc ins Krankenhaus und hatte dafür einen ziemlich langen Weg vor mir, weil das Krankenhaus in einem völlig anderen Bezirk lag.

Marc erzählt:

Als ich wieder wach wurde, war mir leicht schwindelig und ich spürte ein Unwohlsein in der rechten Körperhälfte. Ich brauchte ein paar Minuten, um zu verstehen, dass ich im Krankenhaus war. Ich schreckte in diesem Moment kurz ein wenig auf, worauf ich den Schmerz umso stärker spürte, aber auch, dass der Schwindel nicht zu unterschätzen war.

Ich lag in einem Zweibettzimmer und auf der anderen Seite, mir direkt gegenüber, lag ein schwarzhaariger Junge, der etwa so alt wie ich wirkte. Er bemerkte, dass ich ihn beobachtete und entgegnete mir ein freundliches „Hi“. Ich grüßte ihn ebenfalls und bemerkte, dass offenbar etwas mit seinem Bein war. Ich fragte ihn: „Was ist mit deinem Bein?“ – „Ich bin ganz dämlich gestürzt und ein paar Stufen dabei heruntergefallen… Das Ergebnis siehst du hier. Der Gips stört mich jetzt schon übel, weil das darunter einfach kitzelt und ich gerne drankommen wollen würde. Ich bin übrigens Felix.“ – „Ich bin Marc. Das mit deinem Bein ist echt Mist. Wie lange wirst du das Teil tragen müssen?“ – „Noch ziemlich viele Wochen. Aber immerhin komme ich übermorgen schon raus.“ – „Na immerhin etwas. Wie lange bin ich hier schon drin? Ich habe das nicht mitbekommen, dass sie mich reingeschoben haben.“ – „Vielleicht eine halbe Stunde oder so. Was hast du?“ – „Sie haben mir gesagt, dass mein Blinddarm entzündet gewesen sei.“ – „Oh Backe… Aber so schlimm ist es auch nicht, du kommst wahrscheinlich auch in zwei oder drei Tagen wieder raus. Mein Vater hat das vor einigen Monaten erst gehabt.“

Petra betrat das Zimmer und meinte erfreut: „Hey, du bist ja wieder wach! Alles ok?“ – „Ich fühle mich noch ganz schön schlapp, aber sonst ist, denke ich, alles ok.“ – „In deinem Schrank habe ich vorhin schon einige Dinge reingepackt, damit du hier Sachen zum Anziehen hast. Außerdem habe ich den Ton deines Telefons ausgeschaltet, es hat vorhin ständig geklingelt. Ich kann mir vorstellen, wer dich die ganze Zeit versucht hat, zu erreichen…“ Sie zwinkerte mir zu und mir fiel auch auf, dass ich Janine und Tim gar nicht Bescheid gegeben hatte!

Nach einer Weile, als auch noch die Schwester hereinschaute und Petra sich für diesen Tag verabschiedet hatte, schaute ich auf mein Telefon und wurde plötzlich mit etlichen Nachrichten und Benachrichtigungen über verpasste Anrufe überflutet. Alter, zwölf verpasste Anrufeeinzig und allein von Janine? Was zur Hölle? Gerade, als ich diese Details überblickte, klingelte mein Telefon erneut, sodass ich direkt ranging und mit Janine telefonierte, die ziemlich besorgt klang. Im Gespräch sagte ich ihr auch vorsichtig, dass sie so oft nicht hätte anrufen müssen, aber sie tat dies einfach mit ihren Sorgen ab, was ich teilweise auch verstehen konnte. Mir wurde in diesem Moment nur bewusst, dass Janine zukünftig sicherlich regelmäßig Bescheid wissen wollte, wenn was mit mir nicht stimmte. Darüber hinaus verstand ich auch so langsam, dass das Maß an Kommunikation, welches uns verbinden sollte, noch wesentlich größer als bisher werden würde… wobei ich mich fragte, ob ich das wirklich in dem Ausmaß wollte. Aber nun gut, ich musste manche Sachen halt einfach so hinnehmen, wenn ich mehr von Janine wollte.

Felix fragte neugierig: „Deine Freundin?“ – „Nicht so richtig… also eher noch nicht, glaube ich. Aber wir haben uns schon mehr als einmal geküsst.“ – „Oho, es fehlt doch bestimmt nicht mehr viel?“ – „Wir sehen uns aktuell halt sehr viel und verstehen uns eben richtig gut. Sie ist mit mir in einer Klasse. Darum hat sie sich große Sorgen gemacht, als ich heute nicht in die Schule kam und sie auch nichts von irgendwem erfahren hat.“ – „Meine Freundin wäre aber auch so, wenn sie etwas länger nichts von mir hört.“ Wir schmunzelten und begannen ein sehr langes Gespräch, als würden wir uns schon über viele Jahre kennen. Ich erzählte ihm dabei auch vom Verlust meiner Eltern, was mir total guttat. Mir kamen dabei auch nicht mehr die Tränen, was mir zumindest zeigte, dass ich etwas besser damit umgehen konnte, wenn ich es wollte. Er erzählte mir im Gegenzug, dass er mit seiner Freundin, obwohl schon recht viele Monate zusammen, bisher kaum Nähe austauschen konnte. Dabei war aber nicht er das Problem, sondern eben sie, da sie irgendwie verklemmt sei. Ich hatte den Eindruck, dass er mir am liebsten noch detaillierter von ihr erzählt hatte, aber es aus irgendeinem Grund zurückhielt. Ich fragte daher auch nicht weiter nach, auch wenn es mich wirklich interessierte – auch, weil ich zwischendurch begann, darüber nachzudenken, wie das wohl zwischen Janine und mir zukünftig aussehen würde…

Felix war ähnlich alt wie ich und ging in die gleiche Klassenstufe, ebenfalls in die elfte. Seine Schule war näher in seiner Wohnregion, da er schon in einer ganz anderen Ecke unserer Stadt wohnte.

Am nächsten, sehr frühen Morgen, kam die Visite herum, die sich nach meinem Befinden erkundigte. Meine Schmerzen an der Seite waren weiterhin unangenehm und spürbar, aber immerhin konnte ich mich sehr vorsichtig bewegen und auch das Zimmer zwischendurch verlassen. Das Essen war, wie von Felix angesprochen, eine Katastrophe, aber wenn man Hunger hatte… Am sehr frühen Nachmittag bekam Felix plötzlich Besuch von einem hübschen Mädchen mit dunkelbraunem Haar. Die beiden küssten sich und Felix stellte sie mir nur kurz als Sarah vor.

Ich verließ, während die beiden Zeit verbrachten, das Zimmer, da ich sie einfach nicht stören wollte. Außerdem wollte ich Felix einen Gefallen tun, da er einfach nicht die Gelegenheit nutzen konnte, das Zimmer zu verlassen, weil er immer noch ans Bett mehr oder weniger gebunden war. Ich setzte mich in den Bereich, in dem Patienten Gäste empfangen konnten, und schaute durch das einzige Fenster nach draußen. Meine Gedanken machten eine Reise… und bleiben erwartungsgemäß bei Janine stehen und der Frage, wie ich meine generelle Angst, was eine Beziehung betraf, überwinden konnte. Janine wirkte mir insgesamt gesehen so viel reifer als ich in diesen Dingen, während ich mich sonst im Alltag einfach sehr gut zurechtfand.

Ohne Vorwarnung hielt mir plötzlich jemand die Hände vors Gesicht und ich erkannte Janines kleine, zarte Finger, an denen sie wie gewöhnlich zwei Ringe trug. Ich drehte mich um und schaute in Janines Gesicht, welches mich gleich direkt wieder anzog… Sie war für ihre Verhältnisse sehr geschminkt und zum ersten Mal musste ich feststellen, dass sie mir zu starkgeschminkt war. Sie erregte mich zwar sehr, wenn sie ihre Augen betonte und dabei einfach verführerisch ausschaute, aber dieses Mal war es doch zu viel, auch wenn es toll ausschaute. Janine war aber nicht allein, sie hatte Tim direkt mitgebracht, der mich fragte: „Na, alles gut?“ – „Ja, alles ok so weit.“ Ich stand sehr vorsichtig auf und konnte mir ein leises „Ah“-Geseufze nicht verkneifen, worauf Janine direkt fragte: „Hast du Schmerzen?“ – „Ja, immer wieder. Aber die Ärzte meinten, das sollte in ein paar Tagen weg sein. Sie meinten auch, im Bestfall kann ich morgen schon direkt wieder nach Hause, auch wenn ich trotzdem noch sehr langsam machen soll.“ – „Das ist doch super!“, entgegnete sie mir. Direkt, nachdem ich aufstand, umarmte mich Janine ganz vorsichtig und gab mir einen Kuss auf die Wange. Tim gab mir ausnahmsweise die Hand, weil unsere Umarmungen sonst sehr kräftig waren und er vermutlich Sorge hatte, mich womöglich noch dabei zu verletzen…

Wir drei verbrachten etwa eine Stunde in diesem Gästeraum, bis Tim sich verabschiedete, weil er noch mit Anna verabredet war. Janine blieb erwartungsgemäß länger und erzählte mir von den letzten Schultagen, in denen wohl noch einiges abgegangen war. „Tut mir leid, dass ich dich gestern so oft angerufen habe.“, entgegnete mir Janine mitten in unserem Schulthema. „Schon in Ordnung. Ich weiß doch, warum. Ich bin auch selbst schuld, dass ich dir nicht Bescheid gegeben hatte. Mir tut es leid, dass du morgens wohl allein beim Bus auf mich gewartet hast.“ – „Das war nicht schlimm. Ich habe mir halt einfach Sorgen gemacht.“ Sie kuschelte sich, so gut es ging, im sitzenden Zustand an mich, und wir genossen so einfach noch weitere 90 Minuten, bis Janine sich leider auch verabschieden musste, weil sie noch Hausaufgaben hatte… Dass drei Tage vor dem letzten Tag des Halbjahres und vor den Winterferien wirklich noch Hausaufgaben ausgepackt wurden, passierte echt nur in unserer Klasse. In allen anderen Parallelklassen waren die Lehrer wesentlich fairer, wie ich von einigen anderen Schülern mitbekommen hatte.

Bei der Verabschiedung drückten wir uns sehr vorsichtig und schauten uns wieder einige Zeit lang an. Dieses Mal knisterte es nicht so gewaltig wie sonst, da einfach die Situation mit dem Krankenhaus alles andere als romantisch war. Janine empfand wohl dasselbe, sodass wir uns gegenseitig einfach einen Kuss auf die Wange gaben und sie von dannen zog. Mir fiel erst, als Janine von mir ging, auf, dass sie zusätzlich zu der vielen Schminke an diesem Tag auch hohe Absatzschuhe trug, mit denen man sie definitiv auch in einigen Metern Entfernung hörte. Aber immerhin wirkte ihr Gang auf diesen Schuhen schon wesentlich sicherer als vor wenigen Wochen beim Ball. Ich war aber erstaunt, dass ich sie vorhin nicht bemerkt hatte. Offenbar war ich so in meine Gedanken vertieft beim Schauen aus dem Fenster, dass ich diese Geräusche einfach ausblendete.

An diesem Abend quatschten Felix und ich wieder eine lange Weile, sodass es reichlich spät wurde und uns klar war, dass die Strafe am nächsten Tag auf uns warten würde… Genauso kam es auch: Pünktlich um sechs war die Visite bereits am Start, sodass wir beide eigentlich erst in diesem Moment aufwachten. Die Ärzte schienen sich darüber zu amüsieren, dass wir gerade erst wach waren – mir wurde zumindest gesagt, dass ich noch eine Nacht im Krankenhaus bleiben musste, da sie noch abschließende Untersuchungen mit mir durchführen wollten. Aber sie gaben mir die Gewissheit, dass ich im Normalfall morgen bereits wieder nach Hause konnte. Ich schrieb dies Janine direkt per Nachricht, worauf sie mir zurückschrieb, dass es doch eine gute Nachricht sei – ich hatte mir aber natürlich gewünscht, schon heute wieder nach Hause zu dürfen… Sie fügte leider noch die Nachricht an, dass sie es an diesem Mittwoch nicht schaffen würde, mich besuchen zu kommen, weil sie ihrer Mutter nach der Schule half, die Wohnung auf Vordermann zu bringen und wohl einiges auf- und umzuräumen. Ich fand es schade, weil der Tag im Krankenhaus schon wirklich langweilig war, auch wenn Felix und ich uns gegenseitig oftmals von der Langeweile abhalten konnten.

An diesem Tag kam mich überraschenderweise Christian besuchen, der die Krankenhaus-Information von Petra erfahren hatte. Ich hatte schlichtweg vergessen, ihm zu schreiben, weil ich mich einfach noch daran gewöhnen musste, dass mein leiblicher Vater wirklich noch lebte. Ich wusste, das würde von allein kommen, wenn ich ihn nur regelmäßig genug sehen würde, woran er und ich ja definitiv arbeiteten. Dass er an diesem Tag noch vorbeischaute, hob meine Stimmung auf jeden Fall deutlich. Ich erzählte ihm in kurzen Auszügen von den Neuigkeiten um Janine und mir – seine Reaktion war sehr positiv und er meinte, dass das alles eben doch sehr positiv klingen würde. Außerdem sagte er mir, dass er sie gerne kennen lernen würde, sobald sich Zeit fand. Den Wunsch wollte ich ihm früher oder später gerne erfüllen.

Am nächsten Tag wurde ich wie versprochen entlassen, hatte aber noch als Auflage, dass ich diese Woche nicht mehr zur Schule gehen dürfte. Das war problematisch, weil ich mein Halbjahreszeugnis schon gerne entgegennehmen wollte! Ich bat Janine darum, meinen Klassenlehrer zu fragen, ob es ausnahmsweise ok war, worauf dieser leider meinte, dass ich bis nach den Winterferien warten musste, da er das Zeugnis keinem mitgeben durfte.

Ich tauchte mit Felix Kontaktdaten aus, weil wir uns einfach prächtig verstanden und uns versprachen, auch regelmäßiger etwas zusammen zu unternehmen. Petra hatte sich ausnahmsweise extra frei genommen, um mich nach Hause fahren zu können, wofür ich ihr ziemlich dankbar war. Ich hätte sonst auch einfach den Weg mit den Bahnen und Bussen nach Hause angetreten, aber da ich durch meine Übernachtungen schon ein paar mehr Sachen vor Ort hatte, war das so wesentlich komfortabler. Was war ich froh, dass ich wieder zu Hause war – ich hatte den Eindruck, dass das Krankenhaus einem selbst nur noch kränker machte, als man es schon war. Überall dieser sterile, wenig persönliche Eindruck – es fühlte sich nach Massenabfertigung an.

Ich schrieb Janine eine Nachricht, dass ich nun am Donnerstag wieder zu Hause war. Sie antwortete mir darauf ein „Toll!“ und fragte mich gleich, ob wir uns am Freitagabend nicht direkt sehen wollten. Ich war mir nicht so sicher, weil die Ärzte im Krankenhaus zu mir meinten, dass ich es zumindest ein paar wenige Tage noch ruhig angehen lassen sollte. Letztlich verabredeten wir uns für den kommenden Montag anstatt des Freitages, wir hatten schließlich Ferien und genügend Zeit. Wenn es nach Janine gegangen wäre, hätte sie direkt das gesamte Wochenende mit und bei mir verbracht, aber ich bremste sie bewusst ein wenig aus, weil ich nicht wollte, dass es mir gleich zu viel wurde. Ich wollte definitiv mehr Zeit mit ihr verbringen, um zu schauen, wie eine Beziehung funktionieren könnte, aber ich wollte es eben nicht gleich völlig überstürzen.