Zeit zu zweit
Am nächsten Vormittag erwachte ich wieder sehr spät gegen elf Uhr. Als ich sah, wie spät es war, stand ich sehr zügig auf, da ich mein Zimmer auf Vordermann bringen musste – in den letzten Wochen war es regelrecht zu einem Schlachtfeld mutiert. Ich war die ersten fünf Minuten am Herumwuseln, als ich glücklicherweise kurz auf mein Smartphone schaute und eine Nachricht von Janine vorfand: „Guten Morgen! Du, mir geht es überhaupt nicht gut, ich habe seit heute Morgen immer wieder Kopfschmerzen und meine Nase läuft auch… Wahrscheinlich hätten wir doch auf den Bus warten sollen. Ist es ok, wenn wir unser Treffen verschieben?“ Ich rief sie einfach an und ausnahmsweise weckte ich sie auf. Sie klang niedlich verschlafen und hatte kaum geistige Orientierung in dem Moment, bis sie nach einigen Momenten wieder klarer wurde. Das Gespräch ging recht kurz, weil ich auch wollte, dass sie weiterschlafen konnte, da es ihr ja offenbar wirklich nicht gut ging. Sie war mir dankbar, dass ich mit einer Verschiebung kein Problem hatte. Zumindest räumte ich trotz allem mein Zimmer auf, da es wirklich wieder fällig war und ich es eigentlich gerne ordentlich hatte, weil ich somit zum Beispiel viel besser Hausaufgaben erledigen konnte.
Am Sonntag traf ich mich spontan zum zweiten Mal mit Christian, der wieder zu uns nach Hause kam. Petra war auch bei diesem Treffen wieder mit dabei und es lief wieder erstaunlich gut. Ich tat mich zwar mit der Vorstellung sehr schwer, dass Christian mein leiblicher Vater sein sollte, aber mir wurde klar, dass ich Zeit brauchte, um die Bedeutung von ihm richtig zu verstehen. Ich wusste auch nicht, ob ich ihn jemals wirklich als meinen leiblichen Vater würde betrachten können, das musste einfach die Zeit zeigen. In jedem Fall konnte ich auch beim zweiten Treffen Vertrauen aufbauen, auch, weil er offen und ehrlich meine Fragen beantwortete. Mich interessierte vor allem, warum er sich nicht noch mehr gegen meine Mutter und Matthias aufgelehnt hatte, als diese ihn aus meinem Leben einfach ausschließen wollten. Er sagte mir darauf, dass er nahe vor juristischen Schritten stand, aber er gab nach, weil er nicht wollte, dass ich durch einen womöglich langanhaltenden Streit noch Schaden davon hätte tragen können, gerade, weil ich ja noch ein ganz kleines Kind zu der Zeit war. Auch das konnte ich durchaus gut nachvollziehen.
Am Montag stand wieder Schule auf dem Programm und Janine war erstaunlicherweise nicht da. Sie schrieb mir, dass die Erkältung sie ziemlich hingerafft haben würde und sie daher vermutlich noch ein paar Tage nicht zur Schule kommen würde. Sie fehlte die ganze Woche und da ich zuvorkommend sein wollte, ließ ich mir von den ganzen Tagen alle Unterlagen doppelt aushändigen. Ich fuhr am Freitagnachmittag als Überraschung kurz bei Janine vorbei und überreichte ihr an der Wohnungstür die Unterlagen. Sie war völlig ungeschminkt, hatte verwuschelte Haare und sah einfach knuffig aus. Ihr war das zutiefst peinlich, dass ich sie so sehen durfte, während ich ihr aber sagte, dass mich das überhaupt nicht störte. Obwohl ich eigentlich Abstand zu Janine halten wollte, weil sie immer noch nicht vollständig fit war und ich mich nicht anstecken wollte, kam sie ohne Vorwarnung strahlend aus der Wohnung und umarmte mich als Dankeschön richtig fest, was ich intuitiv doch zuließ, weil ich sie nicht wegstoßen wollte.
Am Montag der nächsten Woche, wir hatten schon Mitte Januar, fragte mich Janine in einer der Pausen: „Du, was machst du denn in den nächsten Tagen?“ – „Ich bin am Freitagabend mit Christian verabredet, aber sonst hätte ich Zeit. Wieso fragst du?“ – „Schön! Was hältst du davon, wenn wir unser Treffen von letztens nachholen? Wollen wir uns Samstag sehen und du bleibst bei mir über Nacht?“ Allein bei dem Gedanken kribbelte in mir schon wieder alles. „Also… ähm, ich weiß nicht.“ – „Warum denn nicht? Du hast doch Zeit? Oder hast du keine Lust?“ Sie schaute verwundert und ihr Selbstbewusstsein, welches in letzter Zeit eigentlich wesentlich stärker geworden war, brach schon wieder wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Ich antwortete ihr: „Ja, doch, natürlich habe ich Lust und Zeit habe ich ja auch. Ich habe nur wegen der Übernachtung überlegt.“ – „Wenn dich das stört, können wir die Übernachtung auch natürlich sein lassen und treffen uns einfach so?“ Ich bemerkte, wie Tim, der gerade in meinem Sichtfeld war und etwas hinter Janine stand, standhaft den Kopf nickte, dass ich wohl die Übernachtung auch akzeptieren sollte. Ausnahmsweise hatte er aber schon Recht – wie sollte ich herausfinden, ob das mit Janine funktionieren konnte, wenn ich keine Zeit mit ihr verbrachte?
„Doch, deinen Plan machen wir so. Ich komme zu dir und übernachte bei euch.“ – „Das ist prima!“ – „Was wollen wir denn an diesem Tag machen? Hast du schon eine Idee?“ – „Wieso gehen wir nicht ins Kino? Wenn du willst, könnten wir ja auch vorher noch etwas bummeln gehen zum Beispiel.“ – „Klingt gut, so machen wir das. Wann soll ich da sein? 15 Uhr?“ – „Da braucht offenbar wieder jemand seinen Schönheitsschlaf?“ Ich pikste ihr daraufhin in die Seite, worauf ein kurzes gegenseitiges Ärgern entstand, bis sie meinte: „Ok, ok, ich gebe auf. 15 Uhr klingt gut.“ Sie lächelte wieder über die volle Breite und verzog sich kurze Zeit später in Richtung Toilette. Tim kam zu mir und sagte: „Gut gemacht.“ – „Du musst wirklich nicht alles kommentieren, was du mitbekommst.“ Ich schaute ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an und meinte: „Doch, sonst kriegst du das mit Janine ja niemals auf die Reihe. Ganz ehrlich, ich fände das schade, wenn das zwischen euch nichts wird, weil das eigentlich total offensichtlich ist. Ihr passt unheimlich gut zusammen, ihr ergänzt euch richtig gut. Wenn du nicht so ein Feigling wärest, hättet ihr schon viel, viel weiter sein können.“ – „Ich bin im Gegensatz zu dir kein Draufgänger, der sich einfach die Frau nimmt, die er toll findet. Du warst doch bei Anna kein Stück besser, du bist ihr doch auch monatelang hinterhergerannt, bis sie bemerkt hat, dass sie dich auch toll findet.“ Ich zwinkerte ihn an und er meinte: „Das ist doch was ganz anderes.“ – „Ja, ja, rede dich jetzt aus der ganzen Geschichte raus, wie oft du bei ihr vergeblich versucht hast, was zu bewirken.“ Damit bekam ich ihn zu fassen, auch wenn die Vergleichbarkeit wirklich nicht gegeben war. Bei den beiden war es umgedreht: Anna wusste über Monate nicht, ob sie wirkliches Interesse an Tim hatte. Tim ließ bei Anna nicht locker, obwohl es im gleichen Zeitraum zwei weitere Mädchen gab, die Interesse an ihm hatten, welches er aber eben nicht erwiderte. Dass er bei Anna so viel Energie investierte, erzählte er mir erst vor wenigen Wochen. Ich war erstaunt, dass er mir nicht schon während des Kennenlernens von Anna erzählte, aber ich war ihm auch nicht böse, da ich davon ausging, dass er in solchen Hinsichten teilweise wie ich war – die Dinge anfangs mit sich selbst auszumachen, um sich nicht noch mehr verrückt zu machen.
Die Schultage vergingen schnell und mittlerweile hatte das blinde Verständnis zwischen Janine und mir ein so großes Maß erreicht, dass ein Außenstehender vermutlich direkt dachte, dass wir zusammen waren und die Nähe nur eben nicht so sehr zeigten. Teilweise führte das auch zu der absurden Situation, dass wir manchmal den gleichen Kommentar gleichzeitig von uns gaben oder der eine das sagte, was der andere just im gleichen Moment dachte. Diese Zufälle waren gruselig und häuften sich in den paar Tagen bis zum Wochenende. Am Freitagabend traf ich mich mit Christian, zum ersten Mal außerhalb meines Zuhauses und zum ersten Mal allein, weil wir in einem Restaurant was essen gingen. Er hatte es vorgeschlagen und mich auch eingeladen, was ich wirklich nett von ihm fand – ich spürte aber auch, dass er das wirklich gerne machte und mich damit in keiner Form beeinflussen oder beeindrucken wollte. Er erzählte mir in diesem Treffen, dass er mit seiner Frau zusammenleben würde, mit der er schon einige Jahre verheiratet war. Parallel dazu erzählte ich ihm von Janine und dem ganzen Chaos, welches dort seit einigen Monaten herrschte. Er sagte mir auch, nachdem ich viele Details erwähnt hatte, dass Janine es wohl vom ersten Eindruck her wirklich ernst meinen würde. Er fragte sich aber auch, warum ich es nicht gleich richtig mit ihr versucht hatte, nachdem ich zwei Mal geküsst hatte, und ich konnte ihm nur den gleichen Grund liefern, den ich bisher immer lieferte: Ich hatte Schiss und wusste nicht, ob ich das alles wirklich wollte. Christian und ich machten aus, dass ich bei einem der nächsten Treffen zu ihm nach Hause kommen würde, um seine Frau kennen zu lernen. Ich wollte das in jedem Fall Schritt für Schritt angehen und nicht überstürzen, aber den grundlegenden Plan fand ich schon absolut in Ordnung. Ich war definitiv interessiert daran, sein Leben weiter kennenzulernen.
Als ich am nächsten Vormittag aufstand, freute ich mich schon ziemlich auf Janine. Vor allem spürte ich an diesem Tag besonders, dass allein meine Erinnerungen an die letzten Begegnungen in der Schule und auch beim Winterball sehr schnell dafür sorgen konnten, dass ich sexuelle Lust auf Janine bekam. Obwohl ich noch Jungfrau war und ich sowieso völlig überfordert mit so einer Situation war, wie sie mit Julia wahrscheinlich sehr schnell entstanden hätte entstehen können, gab es oft Momente, in denen mich Janine sexuell sehr erregte. Das war zwar definitiv nicht mein entscheidendes Argument für sie, aber sicherlich eines, was nicht so ganz zu unterschätzen war.
Petra, der ich an diesem Tag erst sagte, dass ich bei Janine über Nacht bleiben würde, fragte mich einfach ganz provokant: „Seid ihr immer noch nicht zusammen?“ Ich schaute sie an und meinte: „Jetzt fängst du auch noch an, das zu erwarten!“ – „Na ja, nach dem, was du so alles erzählt hast, dachte ich, ihr seid schon zusammen.“ – „Nein, nicht so wirklich. Ich… weiß halt nicht.“ – „Was hindert dich?“ – „Ich weiß es selbst mittlerweile nicht mehr richtig.“ – „Du hast also immer noch Angst.“ – „Vermutlich.“ – „Ganz ehrlich, knutsch doch einfach ordentlich mit ihr rum. Ich meine das ernst, guck nicht so.“ Ich schaute sie völlig perplex an und sie meinte: „Janine entdeckt das doch alles auch zum ersten Mal. Wenn du was falsch machst, wird sie dich das sehr schnell wissen lassen, und zwar ohne, dass sie dir den Kopf abreißt.“ – „Hast ja Recht.“ – „Jetzt lass sie nicht so lange zappeln und gehe zu deinem Date.“ Ich sparte mir mittlerweile schon, ihr dabei zu widersprechen, dass es sich um kein Date handelte – mittlerweile sah ich die Treffen mit Janine auch als Dates an. Petra zwinkerte mich an und ich fuhr im Anschluss los. Ich stand rechtzeitig am Bus, der aber eine solche Verspätung hatte, dass er gleichzeitig mit dem danach kam, der 20 Minuten später zeitgemäß eintrudelte. Dadurch war ich zu spät und schrieb Janine eine Nachricht, die sie mit einem „Kein Problem“ beantwortete.
Mit einer Viertelstunde Verspätung stand ich vor Janines Haustür, wo ich direkt ohne Umschweife klingelte. Sie ließ mich herein und wartete oben direkt an der Wohnungstür, während ich durch einen Defekt des Aufzugs die Treppen nach oben laufen musste. Oben angekommen umarmte sie mich direkt unheimlich fest und ließ mich gar nicht wirklich ankommen. Da sie mich fast zerdrückte, meinte ich irgendwann mit leicht gepresster Stimme: „Du darfst mich auch ruhig… erst ankommen lassen.“ Sie meinte: „Oh, entschuldige.“ Wir mussten darauf lachen und gingen in ihre Wohnung. Nachdem ich meine Wintersachen ausgezogen hatte, musterte ich sie zum ersten Mal komplett: Sie trug ein recht kurzes, rotes Top und eine normale Jeans, hatte ihre Haare geöffnet und war sehr wenig geschminkt. Gerade, weil sie doch ziemlich natürlich vor mir stand, zog mich umso mehr an.
Janine fragte frech: „Na, fertig geschaut?“ Mir war das zutiefst peinlich, worüber sie sich nur noch mehr amüsieren konnte und ich sagte einfach ganz ehrlich: „Du siehst echt toll aus.“ – „Danke. Du gefällst mir aber auch sehr.“ Dabei hatte ich nur eines meiner schickeren Hemden und Shirts angezogen und das Hemd offengelassen, also eigentlich kein Outfit, was in meinen Augen besonders war.
Im Anschluss gab sie mir einen Kuss auf die Wange und zog mich in die Küche, wo sie mich fragte: „Ich hoffe, du hast Hunger mitgebracht?“ – „Ja, durch Zufall schon, ich habe zu Hause nichts zu Mittag gegessen.“ – „Ist ja auch kein Wunder, wenn du um zwölf aufstehst!“ Ich bemerkte an diesem Tag schnell: Janine war auf Krawall aus. „Nein, es war zehn Uhr. Wenn schon rumzicken, dann richtig.“ – „Findest du etwa, ich bin eine Zicke?“ Sie drehte sich von ihrem Kochtopf weg und hatte ihren heißen Kochlöffel bedrohlich in der Hand, während ich ihr antwortete: „Nein, absolut nicht. Das habe ich nie gesagt.“ Ich hob meine Arme als Zeichen der Kapitulation, während sie sich mit einem Lachen wieder umdrehte und meinte: „10 Uhr geht ja sogar.“ – „Ja, ich war eben nicht all zu spät im Bett, das geht schon.“ – „Siehst du, das sag ich ja! Man hat plötzlich morgens noch viel mehr Zeit, finde ich.“ – „Ja, schon, auch wenn ich morgens meist nicht so viel mache und mich einfach gar nicht aufraffen kann.“ – „Das bist ja auch typisch du!“, warf sie mir schmunzelnd entgegen, während sie ihren Kopf so halb nach hinten gedreht hatte.
Als das Essen fertig war, schlug ich ihr vor: „Wenn du mir sagst, wo ich Teller und so finde, stelle ich die Sachen schon hin bzw. bringe ich sie dir.“ – „Das ist lieb!“ Mit ihren Erklärungen arrangierte ich den Küchentisch. Ohne große Verzögerung begannen wir mit dem Essen. „Das schmeckt richtig gut!“, entgegnete ich ihr, was sie mit einem Lächeln beantwortete. Nach einigen Momenten fragte ich sie: „Sag, mir fällt gerade auf: Wo ist deine Mutter?“ – „Hatte ich das gar nicht gesagt? Die ist das ganze Wochenende bei meiner Oma, somit habe ich sturmfrei.“ Oh, das hatte sie wirklich nicht gesagt. Einerseits war das angenehm, weil ich mit Janine so locker wie immer sein konnte. Wenn ihre Mutter mit dabei war, benahm ich mich schon ein ganzes Stück mehr als sonst. Andererseits bestand aber damit auch die Möglichkeit, dass Janine mir wieder deutlich näherkommen konnte, was sie sich im Beisein ihrer Mutter sicher eher nicht oder nur wenig trauen würde. Das konnte natürlich wieder dazu führen, dass meine Gefühlswelt völlig verrücktspielen konnte, aber hatte ich denn von diesem Treffen irgendetwas anderes erwartet? Letztlich war es ein Date und es war klar, dass wir rausfinden wollten, was das zwischen uns gefühlsmäßig war. „Nicht schlecht“, antwortete ich ihr recht neutral und sagte nichts weiter.
Während des Essens quatschten wir vor allem über die Tage, in denen sie krank zu Hause war und ich erzählte ihr von dem alltäglichen Wahnsinn, der in der Klasse abging: Ein Pärchen aus unserer Klasse schien nun kein Pärchen mehr zu sein, was regelrecht in einen Kleinkrieg zwischen den Beteiligten ausartete, sodass die beiden sich über mehrere Tage verteilt ankeiften und alles andere als freundlich miteinander umgingen. Die Lehrer waren auch größtenteils machtlos und versuchten ein Stück weit beschwichtigend einzugreifen, aber eigentlich half es nur, wenn einer der Beteiligten möglichst immer außerhalb des Raumes war, was natürlich ohne Klassenwechsel nicht ging. Immerhin hielten sich die beiden während des Unterrichts zurück, weil das sonst vermutlich zu sehr großem Ärger führen würde. Während Janine etwas zu diesem Thema sagte, schweiften meine Gedanken kurz ab und ich stellte mir vor, wie es wohl wäre, wenn eine mögliche Beziehung mit Janine scheitern würde… Wenn wir uns jeden Tag sehen würden und womöglich auch im Clinch miteinander lagen, würde das bestimmt anstrengend werden. Janine fragte: „Marc? Ist alles ok?“ Ich hatte ihr offenbar zu lange nicht mehr zugehört. „Oh, entschuldige. Ich war völlig im Gedanken versunken gerade. Ja, es ist alles ok. Was hattest du gesagt?“ Sie wiederholte ihre Frage, wie diese Streitigkeiten im Detail aussahen und ich erzählte ihr eine Beispielsszene, in der der Mitschüler aus unserer Klasse offenbar seinen Block vergessen hatte und er in die Runde fragte, ob ihm jemand Blätter leihen konnte, während sie, obwohl sie gar nicht gefragt war, ihm gehässig entgegenwarf: „Ist ja nichts Neues, dass du schon wieder dein halbes Leben vergisst.“ Er meinte: „Halt dich einfach raus, ok? Ich hatte dich nicht um Hilfe gefragt und um deine Meinung erst recht nicht.“ Janine ließ das kurz sacken und sagte, nachdem sie fertig aufgegessen hatte: „Oh weh, ich bin ja echt froh, dass ich die Tage nicht da war. Ich mag es das nicht, wenn man solchen Stress immer mitbekommen muss.“ – „Ich auch nicht, das kannst du mir glauben.“
Nach dem Essen meinte Janine zu mir, dass sie nur kurz schon mit dem Abwasch anfangen wollen würde und wir zum Bummel übergehen könnten, was ich einfach zustimmte. Da ich so langsam sehr großen Spaß an der Nähe zu Janine empfand, schlug ich ihr vor, dass ich ihr auch beim Abwasch helfen würde, worauf sie meinte: „Ja, das wäre toll! Du bist so lieb heute, lieber als sonst?“ – „Sonst bin ich also nicht lieb, ja?“ Dieses Mal schlug ich mit den gleichen Waffen, die Janine sonst anwendete, zurück. Ich stand dabei schon neben ihr, worauf sie zu mir meinte: „Du weißt genau, was ich meine, Doofi!“ Da sie schon den ersten Teller in der Hand hatte, trat sie mich ein paar Mal vorsichtig und nicht doll, weil sie sich eben mit den Händen und Armen nicht wirklich wehren konnte. Unsere Arbeitsteilung war halbwegs fair, sie wusch die Sachen ab, ich trocknete sie komplett ab. Dadurch waren wir sehr schnell fertig und während ich schon gerade anfing, meine Schuhe anzuziehen, meinte Janine: „Ich bin nur noch kurz im Bad, ja? Gib mir zwei Minuten.“ Aus zwei wurden locker zehn Minuten und ich fragte mich irgendwann, was Janine da so lange im Bad machte. Die Antwort bekam ich, als sie wieder aus dem Bad kam und ihre Augen wesentlich mehr geschminkt als vorher waren. Sie meinte: „Tut mir leid, dass das so lange gedauert hat.“ – „Schon ok, nicht schlimm.“ Ich ging die wenigen Schritte auf sie zu und schaute ihr direkt ins Gesicht, weil ich so neugierig war. Sie sagte einfach nichts und beobachtete mich, bis ich nach einigen Momenten meinte: „Ich fand dich vorher auch schon echt toll.“ – „Weiß ich, aber mir war irgendwie so danach.“ Sie lächelte mich an und schob mich vorsichtig zur Seite, damit sie an ihren Schuhschrank herankam. Dieser war komplett voll mit Schuhen und eigentlich maßlos überfüllt, sodass ich sie fragte: „Das sind aber nicht alles deine Schuhe, oder?“ Sie sagte darauf völlig peinlich berührt: „Nein, aber schon sehr viele.“ – „Warum hast du so viele Schuhe? Vor allem sehe ich dich immer nur mit drei oder vier verschiedenen Paaren in der Schule?“ – „Na ja, viele Schuhe passen nur zu verschiedenen Anlässen oder zu verschiedener Kleidung und deswegen trage ich die meisten nicht so oft.“ Ich schmunzelte die ganze Zeit, während Janine nach weiteren Ausreden suchte, bis ich sie an den Schultern festhielt und irgendwann aus naher Distanz zu ihr meinte: „Lass dich nicht ärgern, du findest Schuhe halt einfach toll. Jeder hat halt andere Hobbys.“ – „Das ist aber kein Hobby!“ – „Finde ich schon. So wie ich Technik mag, magst du eben Taschen und Schuhe.“ Sie streckte mir wieder die Zunge heraus und zog sich nicht gerade niedrige Absatzschuhe an, worauf ich meinte: „Bist du sicher, dass du so lange damit rumlaufen kannst, wenn wir vorher bummeln gehen?“ – „Ja, das geht schon. Mit denen läuft sich das sehr gut.“ Als Janine nach mir die Wohnung verließ und sie mit dem Rücken zu mir stand, um die Tür abzuschließen, spürte ich sehr deutlich, wie sehr ich Lust auf sie bekam. Gerade durch die hohen Schuhe wurde ihr Po sehr betont und sie zog mich umso mehr an…
Sie hakte sich mit ihrem Arm, als wir draußen angekommen waren, einfach bei mir ein und wir liefen zum Einkaufszentrum, welches etwa 20 Minuten zu Fuß von ihr zu Hause entfernt war. Der Vorteil war, dass wir direkt nebenan auch das Kino hatten, sodass wir dafür nicht noch extra weiterfahren mussten. Während des Bummelns ging Janine in einige Kleidungsgeschäfte, aber nie besonders lange, sodass sie meine Geduld eigentlich nicht wirklich strapazierte. Generell war ich an diesem Tag auch einfach so dermaßen entspannt und voll guter Laune, dass ich vermutlich keine schlechte Laune bekommen konnte. Sie kam sogar auch noch kurz mit in den Technikmarkt, wo ich mir aber genauso wie Janine in den Läden zuvor nichts kaufte und nur neugierig umschaute, was es so Neues gab.
Gegen frühen Abend gingen wir zur Kinoinformation und schauten, welche Filme aktuell angeboten wurden. Wir stellten schmunzelnd fest, dass wir vergessen hatten, vorher schon im Internet zu schauen – zumindest hatten wir aber Glück und die wenigen Filme, die uns interessierten, begannen alle erst in ein bis anderthalb Stunden. Ich ließ Janine die Wahl treffen und sie wählte eine Komödie, was mir eigentlich ganz recht war. Unsere Stimmung war so gut, dass ein ernsterer Film nicht gepasst hätte. Als wir uns anstellten, meinte ich zu ihr: „Weißt du was? Ich lade dich einfach ein.“ – „Bist du sicher? Du hast schon so viel diesen Monat für mich und auch für die anderen ausgegeben…“ – „Das ist schon in Ordnung, ich gebe doch sonst fast nichts aus.“ – „Ich habe aber ein unheimlich schlechtes Gewissen, weil du so viel Geld für mich ausgibst.“ – „Für dich mache ich das aber gerne.“ – „Na gut, ausnahmsweise. Aber wenn wir uns Popcorn und so holen, bezahle ich das alles!“ – „Das klingt doch fair.“ Sie gab mir einen Kuss, der schon wieder verdächtig nah in Richtung Mund war, aber mittlerweile schockierte mich das nicht mehr.
Genauso zogen wir unseren Plan auch durch. Janine war bei den Bildschirmen vertieft, die verschiedene Kinofilmtrailer der nächsten Monate zeigten, während ich mich anstellte und für uns die Tickets kaufte. Ich arrangierte außerdem direkt, dass wir eine Kuschelbank hatten, womit Janine nicht rechnete und wovon ich ihr bis im Saal auch nichts sagte, um sie einfach zu überraschen. Weil wir so viel Zeit hatten, konnte ich sie davon überzeugen, dass wir im Supermarkt unser Knabberzeug und Getränke kauften, da ich meine Umhängetasche dabeihatte, mit der ich die Sachen problemlos hineinbringen konnte. So sparte Janine auch ein bisschen Geld, was ich ganz gut fand, da ich wusste, dass Janine monatlich schon deutlich mehr Ausgaben als ich hatte. Sie bekam zwar in etwa genauso viel Geld wie ich, musste aber einige Dinge mehr davon finanzieren, auch wenn sie mir bisher nie so genau erklärt hatte, was sie eigentlich alles monatlich so brauchte.
Als wir im Kinosaal ankamen, lief schon die Werbung im abgedunkelten Saal. Ich ließ Janine vorgehen, damit sie die Plätze suchen konnte – dort stellte sie plötzlich fest: „Wir haben ja eine Kuschelbank!“ Ich entgegnete ihr: „Oh, das ist ja ein lustiger Zufall! Nehmen wir die doch einfach!“ Ich setzte mich einfach direkt hin, sie rechts von mir. Sie schaute mich weiterhin sehr fragend an, während ich meine Winterjacke auszog und mir es gemütlich machte. Danach fragte sie mich: „Du flunkerst mich doch an, oder? Die hast du vorhin doch bestimmt mit Absicht gebucht? Deswegen wolltest du auch, dass ich bei den Bildschirmen die Trailer anschaue!“ Ich drehte mich zu ihr und war damit sehr nah, anschließend sagte ich: „Irgendwie hat der Ticketdrucker von ganz allein einfach eine Kuschelbank daraus gemacht, er hatte heute wohl einen guten Tag.“ – „Du bist doof!“ Wir piesackten uns einige Momente lang. „Also, wenn ich so doof bin, kann ich ja auch zum Ticketschalter gehen und uns zwei normale Plätze geben lassen.“ Ich stand pseudomäßig auf, während Janine mich festhielt und meinte: „Nein, nein, bleib hier, du bist natürlich nicht doof. Ich finde die Idee toll!“ Ich setzte mich wieder nah neben sie. Wir schauten uns wieder völlig intensiv an und es entwickelte sich langsam in mir eine „alles egal-Haltung“, die von allen, mit denen ich sprach, gefordert wurde. Ich legte meine Hand auf ihre Wange und streichelte sie leicht, während sie dies genoss und dabei ihre Augen schloss. Ich rutschte ihr näher und nahm einfach alles zusammen, um sie zu küssen…
…wenn in diesem Moment nicht die blöde Werbung zu Ende gewesen wäre und der Saal plötzlich wieder hell wurde, weil die Eisverkäufer den Saal betraten. Das brachte mich, aber auch Janine, völlig aus dem Konzept, sodass wir uns anschauten, während ich ihr bereits sehr nah war. Sie war die erste, die reagierte: Sie lachte herzhaft und steckte mich damit an, sodass die Situation völlig locker aufgelöst wurde. Da konnte ich mich zum ersten Mal vermutlich überwinden, sie zu küssen und nun musste mir das Schicksal so derbe dazwischen springen… Janine flüsterte mir leise, aber offenbar ziemlich emotional erregt ins Ohr, als sie sich an mich herankuschelte: „Wolltest du mich küssen?“ Ich war von dieser direkten Frage wieder durchaus überfordert, aber ich bemühte mich um eine lockere Antwort: „Also, ich weiß nicht, wenn wir davon ausgehen, dass wir hier in einem Kino sind, und es gerade dunkel war, und du mir unheimlich wichtig bist und ich dich toll finde und wir uns total gut verstehen und…“ Sie unterbrach mich in meiner Aufzählung, indem sie mich ganz kurz kitzelte und flüsterte, da der Film gerade losging: „Jetzt hör auf, mich zu veralbern und sag doch einfach direkt, was du vorhattest!“ Irgendwie kostete diese Antwort Mut: „Ja, ich wollte dich küssen.“ Sie flüsterte nur noch mit einem Schmunzeln zurück: „Und wieso hast du es nicht einfach gemacht?“ Ich wusste darauf nicht, was ich sagen sollte, sodass sie sagte: „Ich liebe es, wenn du so herrlich verplant bist und nicht weißt, was du sagen sollst.“ Ich zuckte vorsichtig mit den Schultern, weil sie an meine rechte Schulter gekuschelt war und sie entgegnete: „Ich weiß doch, warum du dich gerade zurückgehalten hast. Mach dir keinen Kopf.“ Sie gab mir erneut einen Kuss auf die Wange und wir schauten endlich den Film, der am Anfang glücklicherweise noch nicht allzu spannend war, sodass wir nichts verpasst hatten.
Im Laufe des Filmes gab ich Janine meine Tasche, weil sie sich einfach an unserem Knabberzeug und unseren Getränken bediente. Nachdem sie etwas aus unserer Wasserflasche getrunken hatte, fragte sie mich: „Möchtest du auch was?“ – „Ja, gib ruhig her.“ Dass Janine bereits aus der Flasche getrunken hatte, machte mir nichts aus. Im Normalfall mochte ich das Teilen von Getränken nicht, aber ich war einfach vertraut mit Janine. Ich hatte während des Filmes keinen Appetit auf unser Knabberzeug, weil mir der Fast-Kuss mit Janine immer wieder im Kopf umher spukte. Janine bediente sich hingegen sehr genüsslich an dem Popcorn und überzeugte mich irgendwann in der zweiten Hälfte des Filmes, zumindest ein paar mitzuessen, indem sie mir manchmal Popcorn einfach in den Mund steckte.
Nach dem Film, bei dem wir echt viel lachen mussten und Janine fast die ganze Zeit an mir gekuschelt war, was ich wirklich genoss, gingen wir nach draußen und amüsierten uns selbst außerhalb des Kinos noch über das lustige Ende des Filmes. Während Janine direkt nach Hause laufen wollte, schlug ich ihr noch einen längeren Spaziergang vor, von dem ich sie erst etwas überzeugen musste, weil sie es ganz schön kalt fand. Wir sprachen lange Zeit noch über den Film und wie wir ihn fanden, bis Janine unsere Finger verschränkte und wir Hand in Hand weiterliefen. Kurz danach schaute sie mich während des Spaziergangs an, was ich bemerkte und ihr dementsprechend in die Augen schaute – sie strahlte vor Freude, das konnte ich sofort bei ihr ablesen. Dort Hand in Hand mit ihr zu laufen, war auch weiterhin ungewohnt, weil sich einfach alles so neu anfühlte. Unser Spaziergang war nicht lang, weniger als eine Stunde. Als wir bei ihr zu Hause hineinkamen, fror sie sehr heftig und meinte zudem noch: „Ah, meine Füße… Warum mussten wir auch so viel gehen?“ – „Gegenfrage: Warum hast du auch solche Schuhe angezogen? Außerdem… wer hat denn jetzt zusätzlich zum Spaziergang noch einen längeren Bummel daraus gemacht?“ – „Na ja, ich dachte halt nicht, dass der Spaziergang so lang werden wird.“ Ich grinste, sagte aber nichts weiter.
Nach dem Händewaschen wartete ich draußen, da Janine ganz dringend musste und sich direkt im Anschluss auch für die Nacht fertig machen wollte. Erst war ich in ihrem Zimmer, dann schaute ich mich neugierig im Flur um und entdeckte dort einige Bilder von Janine und ihrer Familie, die mir bisher nicht aufgefallen waren. Auf dem ersten Bild sah ich Janine und ihre Eltern, wodurch mir erneut bewusstwurde, dass ihr Vater gar nicht mehr lebte. Es war ein ekliges, gruseliges Gefühl, dass ich ihren Vater kaum kennen lernen durfte. Auf dem nachfolgenden Bild daneben waren Janines Eltern zu sehen, die in einer Art „Liebesboot“ saßen und Janine von außerhalb vermutlich das Bild gemacht hatte. An einer anderen Wand hingen drei Bilder ausschließlich von Janine. Das Erste zeigte sie vor einigen Jahren, als sie noch zur Grundschule ging. Als kleines Kind sah man ihr dort schon an, dass sie vermutlich eine hübsche Frau werden würde. Auf den restlichen beiden Bildern konnte man aktuelle Aufnahmen von Janine sehen. Eines zeigte sie mit langen offenen Haaren, länger, als sie aktuell vermutlich waren, und sie trug ein ziemlich freizügiges Kleid, was ich recht ungewohnt fand. Ich konnte mir keinen Reim bilden, welche Art von Veranstaltung das gewesen sein konnte, fand sie aber in jedem Fall sehr attraktiv. Das Bild danach zeigte sie mit ihrem Winterballkleid, worin ich sie auch einfach schön fand. Wie im Reflex ging ich einen Schritt wieder zurück, um das auf das Bild zu schauen, auf dem Janine so sexy war. Ich betrachtete sie sehr genau und sie gefiel mir so gut, dass ich ein gewisses Gefühl im unteren Körperbereich spürte…
Ich schaute im Gedanken versunken einige Momente lang auf das Bild, als mich Janine, in einem langen Nachthemd, antippte. Ich drehte mich peinlich berührt um, sagte nichts und drehte meinen Kopf eher weg von ihr, doch Janine fragte: „Und, wie gefallen dir die Bilder?“ Erst bekam ich nichts raus und Janine lächelte belustigt, doch dann sagte ich: „Die Bilder gefallen mir echt gut.“ – „Das hier scheint dir ja besonders zu gefallen, oder? Schaust ja schon seit einer ganzen Weile drauf.“ Sie zeigte auf das attraktive Bild von ihr. „Ich, also, ja… äh…“ – „Du brauchst doch nicht rot zu werden. Ich weiß doch, dass du mich sexy findest.“ Ich schaute sie mit dem Gefühl, im Boden versinken zu wollen, an, während sie weiter grinste und abschließend sagte: „Mach dir nichts daraus. Ich weiß das doch schon, seit wir uns besser kennen. Du hast mir doch schon ein paar Mal gesagt, dass du mich hübsch findest.“ Sie zwinkerte, drehte sich um, ging zu ihrem Zimmer, öffnete die Tür und fragte: „Willst du nicht auch mit reinkommen?“ – „Ja, warte kurz. Ich geh nur kurz ins Bad.“ Ich schaute sie weiter bedröppelt an und sie sagte: „Ich habe gleich eine Überraschung für dich.“
Als ich einige Minuten später aus dem Bad wieder kam, sah ich sie mit einem kleinen Karton auf ihrem Bett sitzen. „Hier, da du ja das Bild so toll findest, kannst du es haben.“ – „Aber du kannst doch nicht einfach das Bild aus dem Rahmen rausnehmen. Das ist doch eine Erinnerung!“ – „Ich habe noch zwei weitere Kopien von dem Bild. Hast du wirklich geglaubt, dass ich das Bild rausnehme?“ Nach einem kurzen besonnenen Moment: „Natürlich nicht.“ Fettnäpfchen, hier war ich!
Ich schaute nochmal neugierig auf das Bild, als Janine es mir in die Hand drückte. „Wo warst du eigentlich auf dem Bild?“ – „Vor etwa einem Jahr waren meine Eltern und ich durch meinen alten Verein auf einem Tanzabend und da habe ich das Kleid getragen.“ – „Du siehst wirklich toll aus.“ – „Danke schön.“ Sie gab mir wieder einen Kuss auf die Wange, der erneut bereits sehr nah in Richtung Mund ging… Direkt danach schauten wir uns einen langen Moment intensiv an und es kribbelte heftig in meiner Magenregion… Aber keiner von uns ging einen Schritt weiter.
Janine lächelte und sagte: „Ich würde uns noch etwas Kleines als Abendbrot machen, ok?“ – „Ja, ist ok. Ich helfe dir.“ – „Das brauchst du aber nicht, ich mach das gerne.“ – „Nein, ich helfe dir. Du musst so was nicht allein machen, dafür bin ich ja auch noch da.“ Wir gingen in die Küche und schmierten uns ein paar kleine Brote – aus ihrer Laune heraus machten wir das so, dass sie meine und ich ihre schmierte. Mit den Broten gingen wir in ihr Zimmer zurück und legten diese zunächst beiseite, da wir uns auf ihr Bett nah beieinander setzten und um uns um die Kiste herum positionierten. „Darf ich so neugierig sein und fragen, was in der Kiste drin ist?“ Wir schauten uns direkt in die Augen und Janine sagte grinsend: „Da sind alle möglichen Fotos drin, die ich jemals gemacht und bekommen habe.“ Ich schaute neugierig und sie meinte nach einem Moment Stille: „Lass uns doch reinschauen, was wir so finden.“ Da ich so direkt nicht wusste, was wir hätten machen können, fand ich die Idee ganz cool. Als sie die Kiste öffnete und mir ein paar Bilder zeigte, ging mir der Gedanke durch den Kopf, dass ich nicht damit gerechnet hatte, dass sie mir solch privaten Dinge zeigte. Klar, ich hatte bereits ihre Erinnerungen an ihrer Pinnwand gesehen und sie hatte mir vieles erklärt, aber unter ihren Bildern fanden sich auch viele Familienbilder, auf die sie selbst nicht zwingend drauf war und die ich schon als ziemlich privat empfand.
In dem Haufen fanden wir zu Beginn neben den Familienbildern auch viele Bilder aus der Zeit, als sie noch ein ganz kleines Kind war. Dort tauchte auch nochmal das Bild auf, welches auch bereits im Flur hing und sie als kleinen Pups zeigte. Nach und nach wurde Janine auf den Bildern älter – man sah sie in der Grundschulzeit und auf verschiedenen Klassenbildern aus der Grundschulzeit, als mir plötzlich auffiel: „Dein Klassenbild hier… Das heißt ja, dass wir auf der gleichen Grundschule waren!“ – „Wusstest du das denn gar nicht?“ – „Nein, bisher hatte ich davon nichts mitbekommen.“ – „Kannst du dich denn gar nicht an die Regenpausen erinnern?“ – „Doch, ich weiß, dass ich bei den ganz kleinen Schülern ausgeholfen habe.“ – „Da haben wir sogar miteinander gesprochen, daran kann ich mich noch erinnern.“ Ich grübelte lange und mir war das etwas peinlich, worauf sie nach wenigen Sekunden meinte: „Mach dir keinen Kopf, diese Zeit ist so lange her, das konntest du nicht mehr unbedingt wissen.“ Wir schmunzelten und schauten einfach die Bilder weiter.
Die Bilder ab der siebten Klasse erkannte ich natürlich. Schließlich war ich bei den Klassenfotos auch mit dabei. Nachdem die Schulfotos ein Ende nahmen, kamen wieder sehr persönliche Bilder. Oftmals waren dabei ihre Eltern oder andere Verwandte darauf zu sehen. Mal war Janine abgebildet, wie sie zu Weihnachten letzten Jahres, mit einem sehr festlichen Kleid, ein Paket geöffnet hatte und dabei regelrecht strahlte – bei einem anderen Bild erkannte ich, dass es vor dem Winterball gemacht worden war. Auf den aktuellen Fotos sah Janine – genauso, wie sie auch in diesem Moment neben mir saß – wirklich verdammt süß aus.
Nach vielen weiteren Bildern, die noch nicht so alt waren, tauchte plötzlich ein Bild von einem ca. neun- bis zehnjährigen Jungen auf, der lächelnd mit seinen braunen, sehr kurzen Haaren – die waren kürzer als meine – und seinen blauen Augen in die Kamera schaute. Janine sagte zu dem Bild gar nichts und wollte es wieder unter den Stapel verschwinden lassen, doch ich interessierte mich dafür und fragte Janine: „Wer ist denn dieser Junge da?“ Als ich Janine anschaute, waren ihre Wangen plötzlich leicht gerötet. „Also, der Junge da war damals in meiner Klasse. Er mochte mich sehr und gab mir von sich ein Foto. Aber irgendwie fand ich seine Art damals seltsam. Na ja, egal, ich heb die Fotos ja einfach so noch auf – als Erinnerung. Lass uns die restlichen paar Fotos noch anschauen.“ Ich sagte scherzhaft zu Janine: „Du hättet ja theoretisch schon einen Freund haben können!“ Sie schaute mich an, grinste und schüttelte dabei den Kopf. Die restlichen Fotos waren wieder mehrere Jahre alt und eher uninteressant, vor allem, weil sie nur selten sie selbst zeigten.
Janine räumte am Ende die Kiste in eine ihrer Schubfächer und stellte fest, dass wir unsere Brote noch gar nicht gegessen hatten. Wir machten es uns auf ihrem Vorschlag hin einfach gemütlich, schalteten noch etwas den Fernseher an und aßen dabei. Die Kissen, die Janine für uns zum Anlehnen an die Wand rausholte, waren richtig bequem und ließen mich regelrecht etwas einsacken. Kaum, dass wir aufgegessen hatten, kuschelte sich Janine an mich und sie sagte zu mir: „Weißt du, was ich jetzt toll fände? Wenn mir jemand den Kopf kraulen würde… Mein Kopf und Nacken sind den ganzen Tag irgendwie so verspannt.“ Ich ließ ihre Aussage einen Moment sacken und fing einfach an, ihren Kopf zu kraulen. Sie genoss das total, weil sie einerseits ein leises, langgezogenes „Oh“ von sich gab und andererseits sich so richtig an mich heran kuschelte und regelrecht wegsackte. Ich schmunzelte und freute mich darüber, dass Janine sich wohl fühlte. Aber nicht nur sie fühlte sich wohl – ich genoss es auch sehr und schaffte es, meine Zweifel bezüglich Janine und mir einfach auszublenden. Während ich immer wieder ihren Kopf und teilweise ihren Nacken tätschelte und kraulte, schauten wir den Film weiter und plötzlich – erwachte ich.
Ich lag auf dem Rücken und streckte mich, als ich leicht gegen etwas stieß. In dem Moment fiel mir auf, dass ich bei Janine war. Ich öffnete direkt meine Augen und bemerkte, dass Janine zum Teil auf mir lag. Sie war in meine Richtung gedreht, hatte ihren Kopf an meine Schulter gelegt und ihre Hand war auf meinem Bauch! Ich überlegte, was ich vom gestrigen Abend verpasst hatte und vermutete, dass ich einfach währenddessen eingeschlafen war. Ich hatte mich nicht bettfertig gemacht, was mich ein wenig störte, aber glücklicherweise passierte mir das nicht oft, dass ich einfach so wegschlief.
Ich nahm ihre Hand vorsichtig von meinem Bauch, blieb für ein paar Minuten so liegen, schaute an die weiße Zimmerdecke und dachte nach. Im Gegensatz zu der Zeit, in der wir nur befreundet waren, verhielt sich Janine nun wirklich wie ausgewechselt. Sie war auf einmal der liebste Mensch, den ich kannte! Janine hatte sich innerhalb weniger Wochen verändert. Ich lag einige Minuten wach und schaute vorsichtig auf Janines Wanduhr, auf der ich feststellte, dass es gerade sieben Uhr morgens war. Warum war ich so früh wach? Ich stand sonst nie so früh auf, auch wenn ich rechtzeitig im Bett war. Ich schloss wieder meine Augen und versuchte zu schlafen, was mir immerhin zum Teil gelang. Als ich das nächste Mal auf die Uhr schaute, war es neun Uhr und ich fühlte mich richtig ausgeschlafen. Ich stand daher vorsichtig auf, ging auf Toilette, zog mich direkt um und schlich mich wieder ins Zimmer, in dem Janine tatsächlich immer noch friedlich schlief.
Ich setzte mich einfach aus Langeweile auf ihr Fensterbrett, da ich den Fernseher aufgrund der Lautstärke nicht einschalten wollte. Eine halbe Stunde verging so, bis plötzlich mein Handy piepte! Ich hatte vergessen, den Ton auszuschalten – Janine drehte sich und wurde letztlich wach: „Hat… mein Handy gerade geklingelt?“ Sie wirkte völlig müde und verplant, ich antwortete: „Nein, meins war es leider. Sorry, ich wollte dich nicht wecken.“ – „Ach, das ist schon in Ordnung. Ui, wir haben es schon halb zehn? Warum hast du mich nicht aufgeweckt? Wie lang bist du schon wach?“ – „Auch erst seit einer halben Stunde. Du hast so friedlich geschlafen, da wollte ich dich nicht wach machen. Außerdem wollte ich es genießen, dass du nach mir aufstehst… Wer ist jetzt eine Schlafmütze und ein Langschläfer?“ – „Trotzdem du!“ Wir schmunzelten und sie stand auf, um ins Bad zu gehen – nicht aber, ohne mir einen Kuss auf die Wange zu geben. Nach ein paar Minuten kam sie umgezogen aus dem Bad, aber mit völlig verwuschelten Haaren, was ich umso niedlicher an ihr fand. Dazu passend ein Zuhause-Gammel-Pullover und eine ganze Menge Ungeschicklichkeit, weil sie noch immer nicht so richtig wach war. „Kann es sein, dass ich gestern Abend eingeschlafen bin?“ – „Ja, ich hatte dich kurz wach bekommen, aber du hast nach wenigen Sekunden einfach tief und fest weitergeschlafen, darum habe ich dich einfach zugedeckt.“ In dem Moment dachte ich etwas gemein: „Sag eher, dass du die Nähe zu mir nur noch mehr auskosten wolltest!“
Wir gingen fürs Frühstück in die Küche und schmierten uns dort Brote. Während des Essens schaute ich oftmals weg von Janine und fixierte verschiedene Punkte in der Küche – doch jedes Mal, wenn ich Janine anschaute, schaute sie fix weg von mir, weil sie mich beobachtet hatte. Wir sprachen während des Frühstücks kaum miteinander – ich wusste auch einfach nicht, über was.
Nach dem Frühstück machte ich Janine klar, dass ich nun nach Hause fahren würde, doch sie versuchte in ihrer liebevollen und überzeugenden Art, mich davon abzuhalten und noch ein paar Stunden zu bleiben. Ich blieb jedoch standhaft, auch wenn ich schon Lust auf ihre Nähe hatte und mich zu ihr hingezogen fühlte. Mir ging es einfach darum, meine Gedanken ein wenig sortieren zu können, ich wollte das alles auch weiterhin nicht überstürzen. Nachdem ich meine Wintersachen angezogen hatte und mich umdrehte, um Janine zu verabschieden, bemerkte ich, dass sie mir bereits sehr nah stand. Wir schauten uns an und ich sagte zu ihr: „Mach es gut… Bis morgen in der Schule.“ Ich wusste, was für ein Moment das schon wieder war… Es knisterte ohrenbetäubend laut.
Und doch überhörte ich all dieses Knistern, worauf Janine die Initiative ergriff und mir näherkam. Sie fackelte dieses Mal kein bisschen mehr und der Kuss, der daraus entstand, war der zeitlich definitiv längste, den wir bisher hatten. Mein Gehirn schaltete sich einfach aus. Ich ging auf den Kuss wieder ein und war im Innern so durcheinander und erregt, dass ich mich wieder kaum unter Kontrolle halten konnte. Janine schaute mich nach dem Kuss an und ich war mir sicher, dass sie auf eine Fortsetzung des Kusses oder zumindest auf irgendeine positive Reaktion von mir gehofft hatte. Ich zeigte hingegen aber vermutlich eine der schlechtesten Varianten, da ich ihr leise „Ciao“ sagte, ihre Wohnungstür öffnete, nach draußen stolperte und dabei noch fast hinfiel. Die ersten Stufen nach unten hatte ich bereits genommen, als ich Janines Stimme hörte: „Marc?“ Sie war ein paar Schritte aus ihrer Wohnung gekommen und schaute mich fragend an. Ich entgegnete ihr: „Es tut mir leid…“ Ich folgte der Treppe weiter nach unten, während ich nach einigen Sekunden hörte, dass Janine in die Wohnung zurückgegangen war.
Als ich unten ankam, verstand ich mich einfach nicht mehr. Ich genoss mittlerweile sehr ihre Nähe, aber sobald wir solche Zärtlichkeiten austauschen wollten, hatte ich mich kaum mehr unter Kontrolle. Einzig gestern im Kino war ein solch kurzer Moment, an dem ich selbst etwas forscher war, aber das war leider relativ selten. Ich verstand mich nicht: In der Schule und im allgemeinen Leben wirkte ich auf die meisten Leute selbstbewusst, wie mir immer wieder gesagt wurde, aber in diesen Sachen versagte ich jämmerlich. Marc, was war mit dir nur los?
Mir wurde bewusst, dass ich langsam schleunigst handeln und mich endgültig für einen Weg entscheiden musste. Ich wollte und konnte mir nicht ausmalen, wie es wohl Janine bei all dem Hin und Her ging… Noch auf dem Nachhauseweg schrieb ich Tim: „Oh je, es kam schon wieder zum Kuss, als ich gerade losgegangen bin. Gestern hätten wir uns im Kino schon fast geküsst. Ich bin gestern Abend auf ihrem Bett eingeschlafen und sie hat sich vermutlich die ganze Nacht an mich gekuschelt. Das hat sie auch im Kino gemacht, da ich bewusst eine Kuschelbank für uns geholt hatte. Der Kuss gerade hat mich schon wieder völlig überfordert und ich bin erst einfach los nach Hause…“ Nach zwei Minuten, als ich an der Bushaltestelle stand, schrieb er zurück: „Das klingt doch super! Warum bist du nicht noch etwas dageblieben? Man, du findest sie doch auch attraktiv, warum stellst du dich so an?“ Genau deshalb war ich froh, Tim als besten Freund zu haben, weil er die Dinge aussprach, denen ich mich normalerweise eigentlich nicht stellen wollte. „Ich weiß auch nicht, ich brauche nach solch einem Moment wie gerade immer Zeit für mich, um nachzudenken. Ich bin einfach immer überfordert.“ – „Du bist echt kompliziert.“ Er hing noch einen zwinkernden Smiley ran und ergänzte: „Aber hey, Janine wird das schon verstehen. Und wenn ihr euch endlich immerhin näherkommt, dass ihr regelmäßig miteinander kuschelt, seid ihr doch definitiv auf dem richtigen Weg.“ – „Ja, damit hast du Recht. Wir haben gestern nach dem Kino noch einige von ihren Fotos angeschaut und sie hat mir ein Foto von sich gegeben, auf dem sie richtig sexy aussieht.“ – „Sie hat was?“ – „Ja, ein Foto, wo sie ein Ballkleid oder so was trägt. Sie hat gestern bemerkt, dass ich das toll fand und hat mir einen Abzug davon gegeben.“ – „Nicht schlecht! Aber wie ich schon sagte: Das klingt doch alles super! Wann trefft ihr euch das nächste Mal?“ – „Haben wir nicht ausgemacht, auch, weil ich so zügig gerade vermutlich gegangen bin. Aber ich sehe sie doch direkt wieder morgen.“ – „Schau doch, dass du dich möglichst schnell wieder mit ihr triffst… außerhalb der Schule! Ich wette, da fehlt nicht mehr viel, dass ihr bald richtig zusammen seid.“ Oh weh, damit löste er wieder viele Gedanken in mir aus.
Janine und ich schrieben an diesem Sonntag nicht weiter miteinander, doch am frühen Montagmorgen, gerade, als ich eine Minute wach war, schrieb sie mir: „Guten Morgen! Hättest du Lust, beim Bus auf mich zu warten, damit wir zusammen zur Schule fahren?“ Ich schrieb ihr direkt im Halbschlaf zurück: „Ja, klar, mache ich. Bis nachher!“ Über die Zeit brauchten wir nicht mehr zu sprechen, ich wusste, in welchem Bus sie normalerweise drin war. Dass sie mich jetzt danach fragte, ob wir zusammenfuhren, überraschte mich angesichts unserer Küsse nicht, aber eigentlich hatten wir vor wenigen Wochen erst ausgemacht, nicht mehr zusammenzufahren, weil wir manchmal wirklich nichts mehr zu besprechen hatten. Mir wurde aber bewusst, dass es darum aber vermutlich nicht mehr ging, sondern, dass wir einfach möglichst viel Zeit gemeinsam verbrachten, um auch Körperkontakt haben zu können, wenn Janine sich zum Beispiel an mich kuschelte.
Als sie aus dem Bus stieg und vor mir stand, knisterte es direkt von der allerersten Sekunde an. Wir schauten uns intensiv an und ich gab ihr einen Kuss auf die Wange, nachdem ich sie ziemlich fest zur Begrüßung umarmt hatte. Sie fragte mich als allererstes: „Bist du gestern gut nach Hause gekommen?“ – „Ja, bin ich. Mit dem Bus geht es schnell. Wieso fragst du?“ – „Na ja, du hattest gestern so rein gar nichts mehr von dir hören lassen…“ – „Ach so, entschuldige. Ich wusste nicht, dass du Bescheid haben wolltest, wenn ich zu Hause ankomme.“ – „Nicht schlimm.“ Man sollte das Ganze auch nicht überbewerten, ich war am helllichten Tag nach Hause gefahren, also zumindest nichts, worüber man sich unnötig viele Sorgen machen musste.
Dieser Montag verging wie auch die nächsten Tage ohne Besonderheiten, wenn man davon absah, dass es seit dem Wochenende jedes Mal gefährlich knisterte, wenn wir uns nur anschauten. Dies ließ sich alles andere als vermeiden, wenn wir nebeneinandersaßen und seitdem auch wieder gemeinsam von und zur Schule fuhren, sofern wir gemeinsam Unterrichtsbeginn oder -schluss hatten. Aber es kam immerhin an allen Tagen nicht zum Kuss, auch bei den Begrüßungen oder Verabschiedungen nicht, wo es im Normalfall nur einen Wangenkuss gab. Janine hatte auf jeden Fall bemerkt, dass ich ihr nunmehr öfters einen Wangenkuss gab.
Wir waren am Samstag wieder verabredet, allerdings dieses Mal mit Tim, da wir drei gemeinsam beschlossen, mittags Bowling spielen zu gehen. Wir ließen uns ziemlich Zeit bei den Spielen und Janine und ich lachten vermutlich mehr, als wir überhaupt spielten. Tim stellte sich bei einigen Würfen ungeschickt an und legte sich sogar nach einem Wurf hin, weil er wegrutschte, sodass Janine und ich teilweise einfach nicht mehr konnten. Ich spürte ausnahmsweise nicht, dass Janine verliebt in mich war und mich ganz für sich haben wollte. Die Küsse spürte ich zwischen uns ebenfalls nicht, dadurch war meine Stimmung noch viel ausgelassener als sonst.
Tim verabschiedete sich nach dem Bowling von uns und da wir nichts weiter ausgemacht hatten, schlug ich Janine das Gleiche vor, doch sie schlug noch einen Spaziergang vor, da in der Nähe des Bowlingcenters ein See war. Ich ließ mich wieder breitschlagen… Der See war leicht zugefroren und versprühte dadurch einen speziellen Charme, dem man sich nicht so leicht entziehen konnte. Hinzu kam, dass nur sehr wenige die gleiche Idee wie Janine und ich hatten, sodass man die Natur wirklich genießen konnte. Janine griff, kaum, dass wir um den See herumgingen, nach meiner Hand – und ging mit ihrer und meiner Hand in meine Jackentasche, die groß und warm genug war. Ich fand das niedlich und schmunzelte mit ihr gemeinsam, ohne, dass wir darüber etwas sagten. Generell sagten wir bei diesem Spaziergang sehr wenig und wenn, bezog es sich eher auf den See und die Umgebung, die wir so im Detail offenbar noch nicht richtig kannten.
Bei der Hälfte des Sees entdeckten wir ein kleines, niedliches Restaurant, welches zu dieser Uhrzeit und Jahreszeit nicht wirklich gut besucht war. Nach einer kurzen Überlegung traten wir ein, da uns doch schon ziemlich kalt war. Drinnen war es schön warm und ziemlich gemütlich aufgebaut: Jeder Tisch hatte eine brennende Kerze und frische Blumen, die Helligkeit des Raumlichtes war weit herunter gedreht und die Lautstärke war trotz einiger weniger Leute, die sich hierher verirrt hatten, erstaunlich niedrig. Alles in allem war es sehr schön – für verliebte Pärchen… Ich ließ Janine entscheiden, wo wir uns setzten, und sie führte uns in eine Ecke des Restaurants, an dem es durch die Kerzen relativ gut beleuchtet war. Außerdem kamen auch ein paar Lichtstrahlen durch die wenigen Fenster, die es gab.
Weniger als eine Minute, nachdem wir uns setzten, kam eine Bedienung. Da wir keinen Hunger hatten und eigentlich nur sitzen wollten, entschieden wir uns zumindest dafür, etwas zu trinken zu bestellen – zwei heiße Kakaos. Janine wärmte sich durch den Kakao schnell auf, während ich meinen Kakao sehr langsam trank und dabei ins Nachdenken verfiel. Als Janine das bemerkte, griff sie wieder nach meiner warmen Hand – ich spürte, dass ihre Hand immer noch etwas kalt war. Janine fragte: „Ist das nicht schön hier drin?“ Ich hörte sie, antwortete aber nicht, da ich mehr in meinen Gedanken vertieft war. Janine fragte: „Hörst… du mir überhaupt zu?“ – „Ich habe dich schon verstanden.“, entgegnete ich ihr. Sie fragte mich wieder: „Hey, was ist denn mit dir los? Du bist auf einmal wieder so… seltsam.“ Sie wurde ganz sentimental und redete ganz anders als noch etwa eine Stunde zuvor, während wir beim Bowlen waren. „Ich war einfach im Gedanken versunken, entschuldige.“ Es herrschten einige Momente lang Stille und Janine entgegnete mir: „Ich will dich nicht nerven, aber ich verstehe dich einfach nicht… Wieso bist du letzten Sonntag nach unserem Kuss einfach gegangen? Ich hatte gehofft, dass du noch ein wenig bleibst. Ich verstehe dich nicht. Mittlerweile frage ich mich… ob du überhaupt ernsthaft was von mir willst.“ Ich schaute einige Sekunden weg von ihr, dachte nach und sagte völlig ehrlich: „Doch, das möchte ich.“ Sie schaute völlig erstaunt, vermutlich wegen meiner direkten Ehrlichkeit und sie bekam ihre Anschlussfrage nicht heraus: „Aber… aber…“ – „Janine, weißt du… Ich habe Angst, dass ich irgendetwas falsch mache. Ich möchte, dass meine Entscheidung endgültig ist. Ich… will dir aber auch nicht wehtun, falls wir zusammen sind und ich erst bemerke, dass es einfach nicht geht.“ – „Aber warum hast du denn noch nie mit mir darüber gesprochen?“ – „Weil ich nicht wusste, ob du es verstehst. Ich wollte dich nicht verletzen oder noch mehr verwirren.“ – „Aber das tust du doch nicht! Du kannst doch immer mit mir über alles reden!“ – „Ich weiß, ja… Es tut mir leid, dass ich Sonntag einfach gegangen bin. Ich war einfach überfordert und bin mit mir selbst einfach nicht mehr klargekommen.“ – „Aber hast du den Kuss nicht gewollt? Oder gefiel er dir nicht?“ – „Doch. Natürlich gefiel er mir und ich hätte zurückgezogen, wenn ich es nicht gewollt hätte, das hast du ja bei Julia damals gesehen. Ich habe einfach Angst, dass ich dich vielleicht damit verletze, wenn wir zusammen sind und ich bemerken sollte, dass ich das doch nicht so kann. Ich will einfach auch unsere Freundschaft nicht mit vollem Risiko aufs Spiel setzen, verstehst du? Du bist mir halt superwichtig… und ich will das nicht alles kaputt machen.“ Nach einigen Sekunden bemerkte ich, wie sich kleine Tränen in Janines Augen bildeten. „Du bist so… lieb.“, sagte mir Janine leicht stotternd, worauf ich noch mehr als sonst überfordert war. Ein paar Sekunden überlegte ich, dann stand ich auf und setzte mich auf den Stuhl neben Janine. Ich rutschte nah an sie heran und umarmte sie. Ich flüsterte ihr ins Ohr und bat sie um etwas: „Hey, schau, du dürftest doch gemerkt haben, dass ich die Übernachtung und den Kinobesuch mit dir schön fand. Die Kuschelbank habe ich doch mit Absicht geholt, weil ich wollte, dass du bei mir bist und dich ankuschelst. Gib mir noch ein wenig Zeit, ok? Ich muss mich an all diese Dinge erst gewöhnen.“ Als wir unsere Umarmung lösten, sagte mir Janine leise: „Nimm dir ruhig die Zeit. Aber ist es wirklich ok, wenn wir uns trotzdem jetzt so oft sehen?“ – „Na klar. Ich will dich doch auch sehen und mit dir Zeit verbringen. Ich… bin oft einfach überfordert, das hat mit dir selbst rein gar nichts zu tun. Ich bin einfach kompliziert.“ – „Ja, das bist du.“ Sie schaute mich schmunzelnd an und ich sagte grinsend zurück: „Du bist auch nicht gerade weniger kompliziert.“ Wir schmunzelten weiter und ich wischte mit meinem Zeigefinger vorsichtig wenige Tränen von ihren Wangen weg, bis sie sich die Nase schnäuzte. Komische Situation – sie liebte mich und ich sie fast.
Nach unseren Kakaos verließen wir das Restaurant und liefen den See weiter entlang, bis wir ihn umrundet hatten. Auch dieses restliche Stück waren wir Hand in Hand unterwegs und um Janine zu beweisen, dass ich es ernst meinte, griff ich direkt nach ihrer Hand, als wir aus dem Restaurant herauskamen. Sie hatte meine Geste auch sofort verstanden, schaute aber trotzdem etwas überrascht. Ich fühlte mich mit ihr an meiner Seite einfach wohl und wusste, dass ich mich einfach an all diese Dinge gewöhnen musste. Dass ich Janine auch wollte, war mir mittlerweile ziemlich klar.
Nach dem See verabschiedeten wir uns für den Tag, auch wenn mich Janine noch fragte, ob ich nicht sogar noch bei ihr übernachten wollen würde. Ich lehnte dies ab und sah sofort ihren enttäuschten Blick, erklärte ihr aber im Detail, was ich noch alles machen musste, da ich einerseits noch den Großeinkauf mit Petra vor mir hatte, andererseits der gewaltige Berg an Hausaufgaben aus der vergangenen Woche noch bearbeitet werden wollte, für den ich garantiert mehr als fünf Stunden brauchte… Nach meiner Erklärung hatte ich das Gefühl, dass Janine zumindest verstand, dass ich sie gar nicht loswerden wollte, sondern schlichtweg einfach keine Zeit für sie hatte. Sie bot an, mir die Hausaufgaben einfach zu geben, sodass ich diese abschreiben konnte, aber gerade, da es viele frei formulierte Texte waren, empfand ich das Risiko als zu groß, falls wirklich unsere Hausaufgaben eingesammelt werden sollten. Ich machte ihr aber den Vorschlag, sich noch zu treffen, falls ich am Sonntag rechtzeitig genug mit den Hausaufgaben fertig sein sollte, was sie definitiv freute. Ich sprach ihr eben nur keine Gewähr dafür aus und mein Bauchgefühl sagte mir, dass das auch nicht so leicht werden würde. Bei der Verabschiedung wusste Janine nicht, wie sie sich nun richtig verhalten sollte, sodass sie mich nur umarmte, aber dieses Mal reagierte ich und überraschte sie, da ich direkt nach der Umarmung ihre Wange mit meiner Hand streichelte und sie einfach schlagartig küsste!
Endlich konnte ich mich ein wenig unter Kontrolle halten und nahm wie im Kino allen Mut, den ich hatte, zusammen. Es war nur ein kurzer Kuss, aber immerhin! Das war vermutlich das allererste Mal, dass ich Janine völlig sprachlos erlebte und sie kein einziges Wort mehr rausbekam. Ich sagte: „Das ist mein Beweis dafür, dass ich ernst meine, was ich vorhin gesagt habe. Ich kann das einfach alles nur nicht so wie du, ich bin das nicht gewohnt.“ – „Aber… aber… Wie konntest du…“ – „Im Kino wollte ich das doch auch schon machen.“ – „Ja, aber… Hast du nicht gesagt, du brauchst noch Zeit?“ – „Ja, brauche ich auch noch. Ich… wollte einfach, dass du siehst, dass ich dich wirklich toll finde.“ – „Aber das habe ich dir doch auch so schon geglaubt!“ – „Ja, weiß ich. Na ja, mir war auch einfach danach, es… auszuprobieren.“ Ich grinste – sie war immer noch völlig perplex. Mein Bus kam und ich drückte Janine nochmals fest. Als wir uns lösten, wollte Janine das überwältigende Gefühl noch weiter auskosten und küsste mich erneut, weil sie die Initiative an sich zog. Der Kuss war sehr kurz, aber trotzdem einfach toll. Meine Gefühle drehten völlig frei und ich stieg völlig überwältigt in den Bus ein.
Ich beobachtete aus dem Bus heraus, wie sie mir direkt eine Nachricht schrieb. Da der Bus noch eine Weile hielt und auf einen anderen Bus wartete, um Fahrgäste noch umsteigen lassen zu können, bekam ich die Nachricht von Janine noch, als wir dort standen: „Ich liebe dich!“ Genau dies waren die Dinge, an die ich mich gewöhnen musste. Ich lächelte trotz allem, was Janine von draußen definitiv sehen konnte, da ich am Fenster saß. Als der Bus im Anschluss anfuhr, schaute ich nach draußen und flüsterte geistesabwesend, ohne darüber nachzudenken, nahezu geräuschlos nach draußen: „Ich dich auch.“ Sie schaute von draußen neugierig und wenige Momente später vibrierte mein Smartphone erneut: „Was hast du gesagt?“ Ich machte mir ein Spiel daraus: „Was glaubst du denn, was ich gesagt habe?“ – „Ich habe nur eine Vermutung, aber ich weiß es ja nicht, deswegen interessiert es mich ja so sehr!“ – „Ich verrate es dir aber noch nicht. Rate doch!“ – „Du bist doof!“ – „Nein, das habe ich nicht gesagt.“ Ich grinste in mich hinein und bekam zehn Minuten später erneut eine Nachricht, aber dieses Mal von Tim: „Janine hat mir geschrieben, dass du sie eben geküsst hast?“ – „Das hat sich ja schnell herumgesprochen.“ Tim schrieb in Großbuchstaben: „Ja man! Super!“ Ich antwortete ihm: „Ich brauche halt aber trotzdem Zeit und kann das alles nicht so wie sie. Aber mir war halt danach und ich habe einfach meinen gesamten Mut zusammengenommen.“ – „Das ist super! Na, siehst du, es geht doch!“ – „Ich bin glücklich, dass Janine eben gerade total glücklich war. Sie hat kurz kein Wort mehr herausbekommen.“ – „Das klingt doch schön! Jetzt bleibe einfach weiter so am Ball.“ Offenbar hatte das Janine so sehr aus dem Konzept gebracht, wie ich es wohl nie erwartet hatte. Bisher wirkte sie in diesen Dingen so zielstrebig und zugleich vorsichtig, aber nun hatte ich zum ersten Mal auch gesehen, dass sie selbst völlig überfordert sein konnte, sobald ich nur einen Schritt auf sie zuging.
Ich kam zu Hause an, wo Petra auch fit war, um den Großeinkauf machen zu können. „Warum strahlst du so?“ – „Tue ich das?“ – „Ich sehe doch sofort, dass irgendwas passiert ist.“ – „Na ja, Janine und ich… Wir haben uns eben wieder geküsst.“ – „Das ist toll!“ – „Ich denke, wir sind vermutlich schon so was wie zusammen. Oder zumindest… fängt es irgendwie an.“ Sie drückte mich daraufhin einfach und meinte: „Na siehst du, Großer, es wird doch!“ Ich nickte und freute mich im Innern natürlich, auch wenn ich mit der großen Freude von all den anderen wie Tim oder Petra nicht so richtig umgehen konnte.