Kapitel 12

Party

Wir hatten mittlerweile Anfang November erreicht, und Janine fragte mich zu Beginn der Woche, ob ich nun auf Jonas‘ Party mitkommen würde. Ich stimmte ihr zu, weil ich diese Party als gelungene Abwechslung betrachtete. Sie fragte mich vorsichtig, ob ich sie abholen kommen würde, damit wir gemeinsam hinfahren könnten. Ich überlegte tatsächlich einige Sekunden und stimmte ihr zu, da ich mit solchen Dingen schon klarkam. Mir war klar, dass Janine und ich bei dieser Party weniger zusammen rumhängen würden. Zumindest war das mein Plan, da ich mich weiter rigoros dazu zwang, etwas größeren Abstand zu ihr einzuhalten. Dass ich sie abholen würde, freute sie wirklich, wie ich an ihrem plötzlich strahlenden Gesicht ablesen konnte. Sie fragte mich, wie lange ich bleiben würde, sodass ich zu ihr meinte: „Ganz ehrlich, ich weiß es nicht genau. Wann musst du nach Hause?“ – „Um 1 Uhr soll ich von da aus los.“ Sie traute sich ihre offensichtliche Frage nicht zu stellen und ich ging bewusst auch keinen Schritt auf sie zu, auch wenn mich das in diesem Moment sehr schmerzte, weil es meinem charakterlichen Wesen nicht entsprach und sie mir natürlich viel bedeutete. Ich zwang mich zur diplomatischsten Lösung: „Mal schauen, wann ich da abhaue. Wenn die Feier nicht so gut sein sollte, bleibe ich auch sicherlich nicht lange dort.“ – „Würdest du mit mir vielleicht ein Stück zurückfahren, falls dir die Feier nicht so gut gefallen sollte?“ Ich tat mich schwer, bei meiner harten Linie zu bleiben, wenn mich Janine so direkt fragte, darum versuchte ich, wieder so diplomatisch wie möglich zu antworten: „Wir schauen mal, ok? Wir wissen nicht, wie gut oder schlecht die Feier ist. Schauen wir das einfach spontan?“ – „Ja, ist ok.“ Ich lächelte, um die Verkrampfung etwas aus unserem Umgang rauszunehmen – mir tat es natürlich auch leid, dass ich so rabiat Distanz zu ihr aufbauen musste.

Der Kontakt zu Janine in den nächsten Tagen blieb weiterhin sehr vorsichtig und distanziert, auch wenn ich den Eindruck hatte, dass ich mich so langsam damit abfinden konnte, dass es eben nichts mit Janine werden würde. Tim meinte zusätzlich als Ratschlag, dass ich die Zurückweisung Janines durchaus auch als Chance sehen konnte, indem ich mich, sofern ich wollte, einfach nach anderen Frauen umschauen konnte. Die Idee war mir auch gekommen, auch wenn ich mich halt fragte, was Janine wohl darüber denken würde, wenn ich so plötzlich versuchen würde, mit jemand anderem anzubändeln. Gleichwohl hatte sie ja kein Interesse an mir, also war sie ja selbst schuld, wenn ich mich eben auch für andere Frauen interessierte.

Einen ersten Anfang dafür machte ich gegen Mitte der Woche, als es mehr durch Zufall dazu kam, dass ich mit Julia, mit der Janine mich anfangs ein bisschen verkuppeln wollte, in einer großen Pause sehr lange zusammenstand und wir total locker miteinander quatschten. An diesem Tag stellte ich zumindest auch wieder fest, dass ich Julia hübsch fand und sie mich doch mehr interessierte, als mir bei unseren Begegnungen in der Schule bisher auffiel. Braune, kurze Haare und große, verführerische grüne Augen… Ihr Kleidungsstil war definitiv freizügiger als Janine. Julia ließ ihre Reize in jedem Fall spielen, auch wenn sie in der Schule interessanterweise immer wenig bis gar nicht geschminkt war.

Als die Pause zu Ende ging und Julia und ich wieder in Richtung Klassenraum gingen, bemerkte ich, dass Janine definitiv gesehen hatte, wie ich mit Julia lange Zeit allein zusammenstand. Ich ließ mir jedoch nichts weiter anmerken und setzte mich auf meinen Platz, Janine war kurze Zeit später auch wieder neben mir. In einem günstigen Moment fragte sie mich während der Schulstunde: „Und, wie war das Gespräch mit Julia?“ – „Sie ist echt nett und locker, hatte ich schon vermutet, nachdem ich ja ein paar Mal mit ihr gequatscht hatte.“ Ich schrieb weiter von der Tafel ab und sagte nichts weiter, da es von meiner Seite zu diesem Thema auch nicht mehr zu sagen gab. Ich kannte Janine aber so gut, dass ich genau wusste, wenn sie eigentlich gerne noch mehr gefragt hätte. Es ratterte ziemlich in ihr, da war ich mir sicher. Gleichzeitig fragte ich mich aber: Warum? Eifersucht?

Julia und ich wünschten uns nach der letzten Stunde noch einen angenehmen Tag, da wir zufällig beim Verlassen des Raumes zusammentrafen und ich fuhr mit Janine gemeinsam nach Hause. Das Gespräch war vorsichtig wie die letzten vielen Tage auch und ich war mir sicher, dass Janine mein Kontakt mit Julia beschäftigte. Sie sagte zu diesem Thema aber nichts weiter. Ich traute mich aber auch nicht, sie direkt zu konfrontieren, weil ich ihr auch nicht Unrecht tun wollte, wenn ich womöglich wirklich daneben lag. Für den Fall, dass ich wiederum Recht hatte, wollte ich sie halt nicht womöglich noch verletzen, auch wenn ich eine eifersüchtige Reaktion nicht wirklich nachvollziehen konnte, da ich ja trotzdem weiterhin mit Janine Zeit verbrachte und grundlegend ja auch für sie da war.

Gegen Ende der Woche spürte ich, dass Julia meinen Kontakt schon ein wenig mehr suchte – ich ging darauf ein, weil ich den Kontakt zu ihr durchaus angenehm fand. War sie sonst bisher gar nicht bis wenig geschminkt, fiel mir jetzt auf, dass sie eher zu stark geschminkt war. Ihre Attraktivität stellte sie mindestens ein wenig zu sehr in den Vordergrund, was mich schon ziemlich störte. Außerdem betrachtete ich den losen Kontakt zu Julia einfach als Übung im Umgang mit Frauen, da mir diese einfach fehlte, auch wenn ich mich mit vielen mittlerweile echt gut verstand.

In der zweiten großen Pause an diesem Tag tauschten Julia und ich die Handynummern aus und sie stellte sich neben Janine in unseren großen Kreis aus Leuten aus der Klasse. Janines Blicke sprachen Bände: Es war eine Mischung aus totaler Feindseligkeit und Verachtung, da ich wusste, was Janine von zu großer Freizügigkeit hielt. Die Feindseligkeit konnte womöglich auch daher rühren, dass Julia meinen Kontakt eben mittlerweile suchte und Janine dies vermutlich – aus welchen Gründen auch immer – störte. Ich hatte von Julias Interesse überhaupt nichts mitbekommen und sie nicht bemerkt, wenn Janine mich nicht auf sie gebracht hätte.

Als ich abends an diesem Freitag zu Hause war, schrieb mir Janine überraschend eine kurze Nachricht: „Ich freue mich auf morgen!“ Ich antwortete etwas lustlos darauf zunächst nicht, als wenige Minuten später mein Telefon erneut klingelte, weil ich noch eine Nachricht bekam – sie war von Julia: „Hey, gehst du morgen auch zu Jonas?“ Bei ihr antwortete ich direkt: „Ja, ich fahre morgen Abend auch vorbei. Bin gespannt, wie es wird.“ – „Ich auch! Wir sehen uns morgen, cool!“ Ich schickte ihr darauf einfach nur einen lachenden Smiley zurück und widmete mich Janines Nachricht, sodass ich antwortete: „Ich bin gespannt, wie seine Feier morgen wird. Er hat wohl total viele Leute eingeladen, ich staune, dass er das einfach so machen kann.“ – „Ja, seine Eltern sind wohl sehr locker in solchen Sachen. Ich freue mich vor allem, weil wir wieder was gemeinsam unternehmen.“ Am Ende hing sie noch einen lächelnden Smiley an die Nachricht, um sie etwas zu entschärfen, aber ihre Gedanken, dass sie es wohl schade fand, dass ich mich so distanzierte, waren natürlich trotzdem offensichtlich. Ich blieb weiter bei meiner recht abweisenden Linie und schrieb nur zurück: „Ja, seine Eltern müssen echt locker drauf sein, wenn sie es erlauben, dass er über 30 Leute zu sich einlädt. Na mal schauen, wie viel übermorgen Abend kaputt ist…“ Darauf schrieb Janine nur noch eine Frage: „Würdest du mich gegen halb neun morgen abholen? Dann gehen wir so um 21 Uhr ungefähr los und sind nicht zu spät da, aber auch nicht zu früh.“ – „Ja, das klingt vernünftig. Bis morgen!“ – „Gute Nacht, bis morgen!“

Am nächsten Tag war ich größtenteils sehr entspannt und ging mit Petra nur für den Haushalt einkaufen. Das Leben war mittlerweile recht normal geworden, auch wenn ich weiterhin nicht darüber nachdenken durfte, was in den Sommerferien passiert war… Aber trotz allem kam ich mit dieser schwierigen Situation mittlerweile irgendwie halbwegs klar. Das machte mir weiter Hoffnung.

Ich kam pünktlich bei Janine an und sie sah bezaubernd aus. Ich fand sie unheimlich sexy, auch wenn ich bemühte, ihre Attraktivität nicht zu sehr auf mich einwirken zu lassen. Ihre Augen waren stark betont, ihr Wimpernaufschlag gefiel mir total, ihre Haare waren wieder zu einem komplizierten Zopf gebunden, ihr türkisfarbenes Oberteil zeigte ein klein wenig ihres Dekolletees und ihr recht kurzer Rock doch einiges ihrer Beine, auch wenn sie eine Strumpfhose trug. Ich bekam, als ich sie sah, für ein paar Momente, unheimliche Lust auf sie… Falls Janine die allgemeine Freizügigkeit Julias wirklich zu kritisieren fand, war Janine selbst an diesem heutigen Tag nicht viel besser, auch wenn man bei ihr nicht so sehr viel zu sehen bekam.

Nach unserer Umarmung, die recht kurz und schmerzlos ausfiel und einem Kuss auf die Wange, der mich überraschte, sagte sie mir, dass sie nur noch ein paar Sachen in ihre Tasche räumen müsse, zumal sie noch nicht wusste, welche Tasche sie überhaupt mitnehmen wolle. Nachdem ich ihre Eltern noch kurz begrüßen ging, dirigierte sie mich in ihrem Zimmer auf eine kleine Stelle auf ihrem Bett, wo ich mich setzen durfte, da ihr Zimmer ziemlich unaufgeräumt war und überall verschiedene Dinge herumlagen. Bei ihrer Taschenwahl fragte sie mich mehrfach um Rat, da sie Vor- wie Nachteile von ihren großen und kleinen Taschen abwägen wollte… und sie hatte definitiv viele Taschen. Ich war wegen ihres Chaos reichlich amüsiert, zumal ich sie selten so zerstreut wie an diesem Abend erlebt hatte. Sie fühlte sich durch mich eben auch etwas geärgert, weil ich die ganze Zeit schmunzeln musste. Sie entschied sich letztlich für eine kleine Tasche, die sie mir als Erstes gezeigt hatte und machte sich fertig zum Losgehen. Das Herumalbern mit Janine tat zur Abwechslung wieder richtig gut und fühlte sich leider genauso an, wie es in den letzten Wochen war – oder war es genau richtig, dass es sich so anfühlte, da es einfach zeigte, dass meine Ehrlichkeit unserer Verbindung doch nicht geschadet hatte?

Mit deutlicher Verspätung um kurz nach halb zehn gingen wir los zur Party. Janine trug zur Abwechslung keine Schuhe mit Absatz, aber an ihrer Attraktivität änderte das nur wenig. Während wir in der U-Bahn waren und sie mir wieder recht nahe saß, ohne sich direkt an mich zu lehnen, fragte ich sie: „Wieso hast du so viele Taschen?“ – „Na ja, es gibt einfach so viele Situationen, in denen ich jeweils eine andere Tasche brauche. Manche sind einfach viel schicker als andere, die ich nur für besondere Zwecke nehme und in der Schule brauche ich zum Beispiel eine große Tasche, damit ich die ganzen Schulsachen reinbekomme.“ – „Aber trotzdem: So viele?“ – „Ach, na ja, ich brauche die halt einfach.“ Ich schmunzelte und sie gab mir einen Hieb in die Seite, der sogar echt zu spüren war. Plötzlich fragte sie mich: „Hast du schon überlegt, wann du heute in etwa gehen wirst?“ – „Nein, ehrlich gesagt noch nicht. Ich wollte das ja spontan sehen, wie ich ja schon gesagt hatte. Wenn es gut wird, bin ich sicher bis tief in die Nacht da. Wenn ich aber zu schnell müde sein sollte, gehe ich auch früher, deswegen schauen wir einfach spontan. Ich bin gespannt, wer so alles da sein wird.“ – „Ich auch!“

„Wie geht es dir?“, fragte sie mich, nachdem wir erneut eine Weile nichts sagten. „Was genau meinst du?“ – „Na ja, so allgemein… Mit Petra und so.“ – „Ich habe mich mittlerweile ganz gut daran gewöhnt, dass wir zusammenleben. Sie hat wohl weiterhin Probleme, irgendwie mit den ganzen Ämtern und auch mit dem Familiengericht, aber sie sagt mir da nicht so sehr viel. Ich musste auf jeden Fall bei einer Jugendamts-Mitarbeiterin noch mal bestätigen, dass ich mit Petra zusammenleben will.“ – „Warum das?“ – „Irgendwie brauchte sie das wohl für das Gericht. Aber eigentlich wissen die das doch schon, was mein Wunsch war und ist. Ich weiß auch nicht, warum Petra mir nicht so viel davon erzählt, vermutlich will sie mir nicht noch mehr aufhalsen… vermute ich.“ – „Ich kann mir auch gut vorstellen, dass sie dich versucht, ein bisschen von dem ganzen Stress abzuschirmen. Wie… geht es dir wirklich?“ – „Sobald ich darüber nachdenke, was ich nicht mehr ganz so oft mache… reißt alles in mir auf.“ – „Das tut mir leid…“ Sie griff plötzlich mit ihren Armen meinen rechten Arm und hielt ihn sanft fest, während sie darüber streichelte. „Ich weiß nicht, ob… ich jemals so richtig damit werde umgehen können. Ich konnte mich in den ganzen letzten Wochen ziemlich gut ablenken, aber es tut einfach nur unendlich weh. Manchmal frage ich mich immer noch, ob es nicht am besten gewesen wäre, wenn ich wirklich mit im Auto…“ – „Das darfst du niemals denken!“, unterbrach mich Janine, ehe ich meinen Satz fertig aussprechen konnte. „Du bist so lieb zu mir, zu Tim, zu allen, du bist so lustig, du bist klug, alle mögen dich!“ – „Ja, stimmt schon. Ach, es tut einfach weh.“ – „Das kann ich mir gut vorstellen. Lass den Kopf nicht hängen.“ – „Ich meine das nicht böse, aber das kannst du dir nicht wirklich vorstellen… Es können sich nur sehr wenige Menschen überhaupt vorstellen, wie schlimm das wirklich ist.“ Ich schaute gedankenverloren in den Waggon, während sie leise zu mir sagte: „Tut mir leid, ich wollte dich nicht schon wieder an das alles erinnern. Wenn es dich tröstet: Ich kann zumindest etwas nachfühlen, wie es dir geht, meine Sorgen um meinen Vater sind auch immer noch nicht ganz weg, nachdem er die Operation und die Chemo hatte.“ – „Das glaube ich auch sofort, dass dich das beschäftigt… Danke überhaupt, dass du dir Gedanken um mich machst.“ – „Hey, na klar, du bist mir wichtig! Wie ich dir schon ein paar Mal gesagt habe: Wenn es dir schlecht geht, kannst du mich jederzeit anrufen, ich bin für dich da. Das gilt auch weiterhin.“ – „Danke.“ Ich kämpfte in den Minuten danach dagegen an, dass mir nicht noch wirklich ein paar Tränen kamen – da wir aber schon wieder recht bald umsteigen mussten, hatte ich für den Moment glücklicherweise genug Ablenkung.

Wenige Minuten, bevor wir bei der Feier eintrafen, fragte mich Janine nun etwas, von dem ich erwartet hatte, dass sie es irgendwann tat: „Wie findest du Julia so?“ – „Wie ich letztens schon sagte, ich finde sie echt nett und eine angenehme Seele. Ich glaube, man kann ihr auch entspannt Zeit verbringen.“ – „Findest du sie vielleicht doch interessanter als vor ein paar Wochen noch?“ – „Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Sie ist auf jeden Fall eine tolle Frau und attraktiv ist auch ziemlich.“ Ich ließ diese Aussage so stehen und achtete dabei sehr auf Janines Blick. Ich sah etwas, das ich schon einige Zeit in ihren Augen nicht mehr sah – es war Unsicherheit. Sie schaute für einige Momente nicht so fokussiert wie sonst – diesen Blick kannte ich nur von ihr, wenn ich mit ihr über die alte Klassengemeinschaft sprach. Sie erwiderte: „Das klingt doch nicht schlecht… oder?“ Ihre unsichere Nachfrage bestätigte meinen Eindruck. „Ja, mal schauen, wie das mit Julia weitergeht.“ Janine sagte darauf soweit nichts weiter. Ich sah in ihrem Blick aber weiterhin diese Unsicherheit… Insgeheim wünschte ich mir, dass sie mich wirklich konkret und ausführlich ausfragte, was ich von Julia hielt. Am liebsten wollte ich sie auch einfach direkt fragen, was sie nun aktuell über mich dachte, weil sie so ein merkwürdiges Verhalten an den Tag legte, aber ich traute es mich nicht. Wir stellten uns einfach wie die ungeschicktesten Menschen an…

Als wir bei der Party ankamen, waren schon ziemlich viele Leute da, geschätzt etwa 25, sodass das ziemlich große und unheimlich moderne Haus schon gut gefüllt war. Dass Jonas‘ Eltern die Feier erlaubten, war mir ein Rätsel, aber keiner von uns wusste sicher, ob er wirklich die Erlaubnis seiner Eltern dafür hatte. Jonas begrüßte uns, nachdem er in das Haus einließ und eines musste ich ihm lassen: Er war wirklich charmant, wie er beim Umgang mit Janine, aber auch mit mir, bewies. Meine Verbindung zu ihm war ein gewisses Stück weit freundschaftlich, weil wir auch in der Schule regelmäßiger miteinander plauderten und er in den großen Pausen oft mit uns zusammenstand. Als ich vom Flur aus in das Wohnzimmer meinen Blick schweifen ließ, entdeckte ich Julia. Sie winkte mir vorsichtig zu und lächelte, ich erwiderte dies kurz und folgte Janine, die mich mitzog, damit wir unsere Jacken und Schuhe im Flur ablegen konnten, wo alles überfüllt war. „Wem hast du gerade gewinkt?“ – „Ich habe gesehen, dass Julia auch da ist, darum habe ich gewinkt.“ – „Ach, sie wurde auch eingeladen?“ – „Ja, ist sie offenbar. Jonas hat echt alle möglichen Leute eingeladen.“ – „Das ist schön, ja.“ Ihre Freude war definitiv gespielt. Dass ich vorher schon wusste, dass Julia eingeladen war, verschwieg ich an dieser Stelle, weil ich Janine das nun auch nicht auf die Nase binden wollte.

Wir gingen ins Wohnzimmer und setzten uns zu einer Gruppe, in der Julia nicht involviert war. Julia deutete mir mit einer Geste nur an, dass sie es schade fand, dass ich nicht zu ihr kam, aber ich zuckte grinsend mit den Schultern und deutete ihr an, dass ich später sicherlich zu ihr kommen würde, um zu quatschen. Janine und ich integrierten uns sehr schnell. Wir wechselten mehrfach die Gesprächspartner, aber wir blieben dabei immer in der Nähe zueinander. Ich hatte das starke Gefühl, dass das eher ihr Wunsch war, mir nahe zu bleiben. Ich konnte mir schon gut vorstellen, sie auch an diesem Abend etwas allein zu lassen, weil man sich überall ganz gut integrieren konnte.

Nach gut einer Stunde und weiteren Gästen in dem Haus bekam ich mit, dass die Musik lauter gedreht wurde. Unsere momentane Gruppe aus mehreren Personen löste sich recht schnell auf, da einige mitten im Wohnzimmer anfingen, zu tanzen, und Janine schloss sich der Gruppe nicht an, sondern folgte mir an eine Stelle am Rand des Wohnzimmers, wo ich mich zu zwei anderen jungen Frauen setzte, denen offenbar auch nicht nach tanzen war. Ich schwieg ab diesem Zeitpunkt relativ lange, auch, weil es einfach zu laut war, als dass man sich ernsthaft mit jemandem unterhalten konnte, ohne nicht nach einer Stunde heiser zu sein. Immerhin konnten die Nachbarn nicht wirklich meckern – das Einfamilienhaus gehörte Jonas‘ Familie allein und die nächsten Nachbarn waren einige Meter weit entfernt.

Jonas hatte eine fast magische Anziehungskraft auf die Leute und er motivierte viele dazu, sich den Tanzenden anzuschließen, was er auch bei Janine und mir versuchte – ich lehnte dankend ab, doch Janine hatte offenbar Hummeln im Hintern und schaute mich kurz fragend an, weil sie wohl ein schlechtes Gewissen hatte, wenn sie mich dort allein sitzen saß. Ich sagte: „Geh ruhig.“ und lächelte dabei, weil ich wusste, dass sie eben gern tanzte. Ich war heilfroh, dass Janine einfach nicht daran dachte, dass ich ihr ja versprochen hatte, einmal mit auf die Tanzfläche zu kommen… Jonas machte sogar noch eine Nebelmaschine an und ich war wirklich erstaunt, dass seine Familie oder er so etwas besaß, das war wirklich ungewöhnlich. Die Nebelmaschine sorgte auf jeden Fall dafür, dass die Sicht im Raum schlechter wurde, zumal das Licht schon sehr gedimmt war.

Letztlich war Janine nur wenige Meter von mir entfernt und ich sah trotz ihrer Leidenschaft beim Tanzen immer wieder, dass sie zu mir rüber schaute. Diese Leidenschaft – und definitiv auch das Können fürs Tanzen, man sah ihren früheren Tanzunterricht – spürten aber auch einige andere, sodass manche mit ihr gemeinsam tanzten. So nah, wie manche Männer mit ihr tanzten, sorgte das dafür, dass meine Gefühlsfassade schon enorme Risse bekam, auch wenn ich mir davon offen sichtbar nichts anmerken ließ. Um das Ganze kurz nicht weiter beobachten zu müssen, suchte ich die Toilette und stellte mich eine geschlagene Viertelstunde an, da einige leider die gleiche Idee wie ich hatten.

Als ich von der Toilette wieder kam, traf ich auf Tim, den ich den ganzen Abend über noch gar nicht gesehen hatte – was war ich froh, dass er auch mit dabei war! Ich erzählte ihm grob, was heute bisher so passiert war und auch, dass Janine gerade wohl beim Tanzen abgehen würde, worauf er wie ich schmunzeln musste. Eine junge Frau kam in seine Nähe und küsste ihn – seine Freundin Anna! Er hatte sie mir bisher noch nie vorgestellt, weil sie wohl selten Zeit haben würde, weswegen ich sie bisher eben nur von Erzählungen kannte. Wir begrüßten uns und sie machte auf mich einen wirklich freundlichen Eindruck, ganz unabhängig davon, dass sie hübsch war. Tims Geschmack von Mädels war in einem Detail mit meinem ähnlich: Er mochte es auch nicht, wenn Mädels zu billig ausschauten, was man bei Anna ganz gut sehen konnte, da sie wirklich total normale Kleidung trug und dazu auch nur sehr wenig geschminkt war. Wir drei standen noch einige Minuten zusammen und quatschten ganz locker, bis ich wieder im Wohnzimmer vorbeischaute und dabei feststellte, dass die Gruppe mit tanzenden Personen noch größer geworden war. Ich hielt mich daher eher an der Tür auf und schaute nach einigen Sekunden nach Janine, die ich zunächst nicht fand. In der Meute der tanzenden Personen bemerkte ich sie letztlich. Sie tanzte sehr, sehr eng mit einem mir nicht bekannten Mann, sodass ich instinktiv wieder wegschaute und mich fragte, was ich nun machen sollte oder mit wem ich Zeit verbringen konnte. Mit dieser Unentschlossenheit wechselte ich mehrfach die Zimmer, bis ich wieder im Wohnzimmer stehen blieb und gedankenverloren in die Runde schaute. Dort sah ich Janine… wie sie mit dem Typen kurz knutschte! Ich sah sie durch die große Menge an Meuten nicht gut, aber so nah, wie sie mit diesem Typen war… arg!

Ich verzog mich aus dem Wohnzimmer und war wütend… oder enttäuscht, irgendwie beides. Dafür, dass sie sich ja keine Gedanken bisher um solche Dinge gemacht haben sollte, ging es aber sehr schnell, dass sie mit irgendeinem Typen herumknutschte! Ich flüchtete mich in mein Handy und surfte, um mich etwas abzureagieren, bis ich eine Idee hatte, was ich machen konnte. Ich suchte schnurstracks nach Julia, da ich an diesem Abend noch mit ihr Zeit verbringen wollte und ärgerte mich beim Suchen vor allem darüber, dass ich Janine am heutigen Abend wieder deutlich mehr Aufmerksamkeit gab, als ich eigentlich wollte. Julia fand ich im Wohnzimmer in einer Ecke, die sich mit einer anderen Frau entspannte – wollte ich jetzt wirklich wieder ins Wohnzimmer, wo Janine auch war? Ich sah aber nur, dass Janine wohl von dem Typen in ein anderes Zimmer gezogen wurde – es konnte mir recht sein, da ich damit in Ruhe Zeit mit Julia verbringen konnte. Ich kam direkt auf sie zu, sodass ich sah, wie sie plötzlich über beide Ohren strahlte und wir uns zur Begrüßung umarmten. „Hast mich ja ganz schön lange warten lassen, ich dachte, du schaust gar nicht mehr vorbei!“ – „Ich habe mit Tim und seiner Freundin Anna vorhin eine ganze Weile gequatscht.“ – „Er ist auch vergeben? Wusste ich gar nicht.“ – „Ja, wohl schon etwas länger. Die beiden passen gut zusammen, finde ich.“ – „Du wirkst so angespannt, alles ok bei dir?“ – „Ja, schon alles ok. Die laute Musik nervt einfach nur ein bisschen.“ – „Wollen wir den Raum wechseln?“ – „Wieso nicht, klar.“ Uns schloss sich die Frau an, die schon bei uns saß und wir wechselten den Raum… leider genau dorthin, wo Janine mit ihrem Macker auch war. Julia ließ sich auf einer total bequemen Couch nieder und ich schloss mich etwas widerwillig an. Ich bemerkte im Augenwinkel nur, dass Janine zumindest nicht mehr mit dem Typen herummachte und ein wenig Abstand zu ihm walten ließ, während ich mich zwang, auch Julia zuliebe entspannter zu werden. Sie fragte mich: „Besser hier?“ – „Ja, hier ist es nicht so laut, ich möchte nicht die ganze Zeit brüllen müssen.“ Zwischen uns dreien entwickelte sich ein längeres und interessantes Gespräch, in dem ich vor allem sehr viel über Julia herausbekam. Sie engagierte sich freiwillig wohl offenbar für arme Menschen und half unter anderem regelmäßig dabei aus, Nahrungsmittel an Bedürftige zu verteilen, was ich wirklich beeindruckend fand. Neben dieser Tätigkeit sang sie wohl noch in unserem Schulchor mit, was ich bisher einfach überhaupt gar nicht mitbekommen hatte. Julia war vor wenigen Wochen erst 16 geworden, sie war vermutlich fast die Jüngste aus der Klasse, auch wenn man das von ihrer Art her gar nicht so bemerken konnte. Sie wirkte wesentlich reifer.

Ich hingegen wirkte fast langweilig, als ich so erzählte, was mich in meiner Freizeit beschäftigte, aber ich hatte den Eindruck, dass Julia das nicht störte, sondern, dass sie solche Interessen, wie ich sie erzählte, eher erwartete. Zumindest stellten wir fest, dass wir wohl beide gerne draußen Zeit verbringen würden, was definitiv ein Pluspunkt für sie war. Nachdem die Dritte im Bunde auch noch ein wenig von sich erzählte und ich feststellte, dass sie zwei Jahre älter als ich war und nicht auf unsere Schule ging, sondern eine Ausbildung absolvierte, entschieden wir uns dazu, ein lustiges und albernes Kartenspiel zu spielen, welches auf einem Tisch in der Nähe von uns lag. Kaum, dass wir damit anfingen, schlossen sich uns weitere Leute an, sodass wir zu siebt dieses Kartenspiel spielten und aus dem Lachen nicht mehr herauskamen. Währenddessen bemerkte ich, wie Jani… Julia auf Tuchfühlung ging und regelrecht immer wieder an meinem Arm hing oder sich an meine Schulter anlehnte. Ich empfand das als angenehm, auch wenn mein Zorn in Richtung Janine weiter spürbar vorhanden war. Aber das Kartenspiel und Julia selbst sorgten für eine ganze Menge Abwechslung.

Ich bekam nur am Rande mit, dass Janine auch weiterhin im Raum war und mit ihrem Macker sowie ein paar anderen zusammen stand und gemeinsam quatschten. Ob die beiden sich knutschten, bekam ich nicht mit, mir wurde es aber auch mit fortschreitender Zeit langsam egal, weil ich in diesem Moment mit Julia und der Gruppe totalen Spaß hatte. Völlig aus der Fassung brachte mich aber eine Szene, die sich während unseres Kartenspiels entwickelte – Janine nutzte irgendwann einen Moment, bei dem ich im Kartenspiel kurz nicht gefordert war und fragte mich, ob ich mich ihr nun womöglich anschließen würde, da es nun schon etwas nach eins war und sie nach Hause fuhr. Erst knutschte sie mit diesem Penner herum, nun war ich wieder gut genug?

Die Wut war sofort wieder da, aber ich schluckte sie herunter und fragte Julia zunächst: „Sag mal, wie lang willst du heute noch bleiben?“ Julia darauf: „Nicht mehr lange, ich denke, eine halbe Stunde bis Stunde. Wieso fragst du?“ – „Bock, dass ich dich noch nach Hause bringe?“ – „Oh, das wäre toll!“ Janine war in diesem Moment völlig blass und sie schaute richtig verdutzt – ich sagte: „Ich denke, ich bleibe noch etwas länger und bringe Julia wahrscheinlich zumindest nach Hause, sorry.“ Mehr als ein „Ok, ciao“ brachte sie nicht mehr raus und zog recht zügig von dannen. Das war definitiv ein Wirkungstreffer. Aber ganz ehrlich: Sie war doch selbst schuld, was knutschte sie auch mit diesem Typen herum? Danach war ich wieder gut genug für sie, um sie nach Hause zu bringen? Hattest du nicht davon gesprochen, dass du über Beziehungen noch nicht nachgedacht hattest?

Ich spielte in der Gruppe das Kartenspiel noch eine Weile weiter und während Julia im Anschluss auf Toilette ging, zog ich auf Verabschiedungstour, dankte Jonas für den insgesamt lustigen Abend und schaute auch bei Tim und Anna vorbei. Tim fragte mich schon spürbar angeheitert: „Was war denn mit Janine?“ – „Was soll mit ihr gewesen sein?“ – „Sie ist richtig nach draußen gestürmt. Sie hat uns kaum so richtig Tschüss gesagt.“ – „Ich habe sie vorhin mit irgendeinem Typen rumknutschen sehen.“ – „Was?“ – „Ja, ich bin mir relativ sicher, dass sie mit einem da vorhin geknutscht hat, als die alle beim Tanzen waren. Ich habe ihr heute einfach gesagt, dass ich sie nicht nach Hause bringe, weil ich mit Julia und den anderen eben noch weiter Karten spielen wollte. Ich hatte auch einfach keinen Bock, wenn sie mit irgendwem rummacht, noch dafür ausgenutzt zu werden, dass ich sie nach Hause bringe. Das war mir zu blöd… Tja, so bringe ich Julia halt nach Hause.“ Anna meinte vorsichtig: „Das kann ich schon verstehen. Janine wirkte vorhin richtig niedergeschlagen.“ – „Was denkt ihr, wie ich mich fühle? Hat dir Tim die Hintergründe von Janine und mir erzählt?“ Sie war verlegen, sodass Tim meinte: „Ja, habe ich. Ich hoffe, das ist nicht schlimm.“ – „Nein, ist es nicht, das ist total ok. Du kannst sicher verstehen, wie scheiße ich mich fühle, vor allem, wenn ich sie da rummachen sehe. Ich verstehe vor allem nicht, dass sie so niedergeschlagen war, nur, weil ich Julia fragte, ob ich sie nach Hause bringe, als Janine mich gerade brachte?“ – „Hast du Janine also auflaufen lassen?“, fragte Anna mich. Sie lasen es mir am Gesicht ab. „Ja, ich war so angepisst, dass ich als Erstes Julia gefragt habe und daher Janine nicht nach Hause bringe.“ – „Da hast du deine Antwort, warum sie niedergeschlagen war. Das war auch nicht so richtig nett.“, sagte Tim. „Mich nervt vor allem, dass ich Janine mindestens zwei Mal vor dem Abend heute sagte, dass ich nicht weiß, wann ich gehen werde und dass ich es ihr nicht verspreche, sie nach Hause zu bringen.“ Anna fragte mich: „Bist du dir wirklich sicher, dass du Janine knutschen sehen hast? Der Dampf von der Nebelmaschine ist ja echt undurchsichtig im Wohnzimmer. Irgendwie passt das Knutschen nicht so richtig mit ihrem bisherigen Verhalten zusammen…“ – „Ja, eigentlich schon. Das Wohnzimmer war halt ziemlich voll, aber sie war mit dem einen Typen die ganze Zeit total nah…“ Wir schwiegen alle einige Sekunden und ich bemerkte: „Ich habe jetzt schon keinen Bock mehr auf Montag, wenn sie wieder neben mir sitzt.“ Tim meinte: „Und ich habe jetzt schon keinen Bock mehr auf euch am Montag, das könnt ihr mir glauben. Das wird doch wieder richtig Ärger geben, wenn ihr euch nicht bis dahin vertragt.“ – „Das kann ich dir auch nicht verübeln.“ Ein vorsichtiges Schmunzeln konnten wir uns alle trotzdem nicht verkneifen. Tim sagte: „Rede doch mal mit ihr morgen, triff dich mit ihr und kläre das.“ – „Ich weiß noch nicht, ob ich das so richtig kann… oder will.“ Tim schaute nicht sonderlich zufrieden, ich war es abgesehen davon auch nicht. Wir verabschiedeten uns, weil Julia von der Toilette kam und ich fuhr mit ihr nach Hause. Das Ironische an dieser Sache war, dass ich durch Janine wusste, wo Julia wohnte: Wenige Fußminuten von Janine entfernt…

Als wir den U-Bahn-Eingang hinuntergingen, sah ich im Augenwinkel, wie zwei zwielichtige Gestalten einige Meter vom Eingang entfernt standen. Sie bemerkten uns, spätestens dadurch, dass Julia relativ hohe Absatzschuhe trug, und schauten sie einige Sekunden lang an, wobei ich den Eindruck hatte, dass ihr dies sehr unangenehm war. Einer pöbelte in unsere Richtung, indem er in unserer Richtung „Ey“ rief, und ich flüsterte leise zu Julia: „Nicht darauf reagieren. Einfach weiter gehen.“ Sie bestätigte dies mit einem leisen „Ok“ und im Endeffekt war es die richtige Entscheidung, weil die beiden vom Eingang uns glücklicherweise in Ruhe ließen… Man musste echt zu jeder Tageszeit gewappnet sein, dass man nicht mit irgendwelchen Vollidioten zusammenstieß. Vor allem aber war es wichtig, ruhig und besonnen zu bleiben und sich nicht provozieren zu lassen, soweit es nur irgendwie ging.

Julia suchte ab diesem Zeitpunkt und speziell in den Bahnen regelmäßig nach meiner Nähe, was einerseits ganz angenehm war, mir andererseits doch recht schnell etwas zu viel wurde. Auf der gesamten Fahrt sprachen wir nicht allzu viel, einzig ein Thema war interessant: „Weißt du, warum Janine vorhin so komisch war, als du ihr gesagt hast, dass du mich nach Hause bringst?“ – „Das frage ich mich ehrlich gesagt auch, aber mir ist es auch einfach recht egal. Ich mache, was ich will, fertig. Ich habe ihr, bevor wir bei Jonas‘ Party ankamen, mindestens zwei Mal klar gesagt, dass ich nicht weiß, ob ich mit ihr auch wieder gemeinsam nach Hause fahren würde, weil ich das davon abhängig machen wollte, wie gut es mir auf der Feier gefiel.“ – „Ergibt ja auch Sinn.“ – „Eben. Die Feier war auch wirklich ziemlich lustig, allein durch das Spiel von vorhin.“ – „Oh ja, das Spiel muss ich mir auch kaufen, das ist so klein, das kann man super mitnehmen.“ Ich stimmte ihr zu und wir lachten noch über verschiedene Spielzüge, die wir im Laufe des Abends gemacht hatten.

Wir kamen in die Nähe von Julias Zuhause und liefen dabei, da es die Nachtverbindung mit Bus und Bahn erforderte, auch zwangsläufig am Wohnhaus von Janine vorbei. Mein Blick ging dabei automatisch in Richtung ihres Hauses und ich versank einige Sekunden komplett in Gedanken, weil in mir schon wieder die Wut hochkam. Ich fragte mich für einige Momente, ob sie sich wirklich mit dem Typen küsste, aber ich wusste doch, was ich gesehen hatte. Da ich mitten in einem Satz im Gedanken versunken war, meinte Julia zu mir: „Was wolltest du sagen?“ Ich reagierte erst spät: „Oh, entschuldige. Ich war total im Gedanken versunken gerade.“ – „Nicht so schlimm. Hast du über Janine nachgedacht?“ – „Ja, weil sie ja da drüben wohnt.“ Ich zeigte nur kurz in Richtung des Wohnhauses, da wir auf der anderen Straßenseite daran vorbeiliefen. Ich sagte zu ihr: „Ich hoffe, eure Freundschaft leidet nicht darunter, weil wir Kontakt haben.“ – „Ich hoffe es auch. Vor allem, ich würde es nicht verstehen, warum sie auf einmal so komisch reagiert.“ – „Ich auch nicht.“ Doch, ich verstand es, zumindest zu einem kleinen Teil. Das war Janines Art, ihre auf einmal vorhandene Eifersucht zu zeigen. Mir war überhaupt nicht klar, warum sie eifersüchtig war, sie hatte doch schließlich einen Typen gefunden, mit dem sie herumknutschen konnte. Aber vermutlich hatte sie Sorge, dass ihr bester Freund eben fortan vielleicht weniger Zeit für sie haben würde, weil ihr bester Freund sich eben auch für andere Menschen als nur für sie interessieren würde…

Julia sagte: „Mach dir auf jeden Fall nicht so sehr Sorgen darüber, wir werden es sehen. Wenn Janine weiterhin komisch sein sollte, redet ihr einfach Klartext unter vier Augen. Das wird sich doch wieder geradebiegen lassen. Nun denke darüber nicht mehr so sehr nach, sondern freue dich einfach über diesen lustigen Abend.“ – „Ja, du hast Recht, das klingt echt vernünftig. Danke.“ Wir liefen noch wenige Minuten und standen vor ihrer Wohnungstür. „Das ist total süß, dass du mich sogar bis nach Hause begleitet hast. Danke.“ Wir schauten uns einige Sekunden an, in denen wir nichts sagten. Körperlich zog sie mich natürlich an und mein Instinkt gab mir deutlich zu verstehen, dass Julia womöglich mit mehr als nur einer Umarmung rechnete?

Ich reagierte aber bewusst nicht darauf, auch wenn es ein interessantes Kribbeln war, das ich verspürte. Gerade, als ich ihr näher gehen wollte, um sie zu umarmen, sagte sie: „Bevor ich es vergesse, ich hatte dir doch versprochen, dass ich dir kurz die Musik zeige, die ich so mag und die du hören wolltest.“ Sie kramte echt ihr Smartphone und ihre Kopfhörer raus, und da es an diesem Abend noch nicht so kalt war, setzten wir uns auf die Stufen vor ihrem Wohnhaus, wo sie mir noch „unbedingt“ ihre Musik zeigen wollte. Ich war körperlich an diesem Tag echt schon angezählt und ziemlich müde, aber ich wollte nun auch kein Spielverderber sein und mochte ihren Musikgeschmack wirklich, weil ihrer so völlig anders als meiner war. Während sie mir verschiedene Musikstücke zeigte und wir uns dabei ihre Kopfhörer teilten, saßen wir zwangsläufig sehr nah beieinander. Die Blicke, die wir dabei austauschten, waren jedes Mal knisternd und es kam dabei glatt zwei weitere Male vor, dass wir uns mehrere Sekunden lang anschauten, in denen wir jeweils nichts sagten und Julia auf mich so wirkte, als wartete sie auf einen Kuss. Dass ich auf ihr Angebot nicht einging bzw. keine Initiative startete, lag einerseits daran, dass ich schlichtweg einfach zu feige war! Andererseits kam aber auch etwas anderes hinzu: Ich wusste nicht, ob ich sie einfach küssen wollte, wenn meine Gefühle für sie und mein Interesse nicht so richtig ausgeprägt waren. Wir verbrachten auf den Stufen noch locker über eine Viertelstunde und verabschiedeten uns endgültig per Umarmung, sodass ich ziemlich müde und mit 30 Minuten Wartezeit auf den Bus – Erinnerungen wurden wach – total geschafft nach Hause kam. Es war mittlerweile weit nach drei Uhr und ich fiel einfach nur noch ins Bett. Tja Marc, Chance vertan.

Ich stand am nächsten Tag erst um 12 Uhr auf und war dementsprechend gerädert, auch wenn ich mich dazu quälte, tagsüber die Hausaufgaben zu machen. Zwischenzeitlich kamen auch Konzentrationsprobleme dazu, da mich das Thema Janine nicht in Ruhe ließ. Ich erinnerte mich an Tims Bitte und Vorschlag, mit Janine zu reden. Ich war im Innern aber so tief gefrustet, dass ich es einfach nicht über mich brachte, Janine anzuschreiben oder anzurufen…

Am nächsten Morgen stand ich wieder am Treffpunkt und Janine tauchte einfach nicht auf. Als sie im nächsten Bus nicht drin war, fuhr ich direkt zur Schule. Dort kam ich gerade noch rechtzeitig an, weil meine Bahn noch einiges an Verspätung hatte und wer saß dort schon? Ich setzte mich auf meinen Platz und fragte sie, ohne noch ein obligatorisches Morgen entgegenzubringen: „Wo warst du? Ich habe gewartet und hätte es dadurch sogar fast nicht mehr geschafft!“ Sie schaute mich an und ich sah einen unfreundlichen Blick von Janine, den sie mir gegenüber bisher noch nie gezeigt hatte. „Ich bin heute meinen anderen Weg zur Schule gefahren. Ich habe ganz vergessen, dir Bescheid zu geben.“ – „Ja, hast du. Warum fährst du auf einmal den anderen Weg?“ – „Weil mir danach war.“ – „Ok, gut.“ Ich packte meine Sachen aus und verstand irgendwie nicht so richtig mehr, was hier überhaupt abging. Ich schaute Tim an, der genervt auch nur mit den Schultern zuckte und ich richtete in Richtung Janine: „Ich gehe davon aus, dass du vermutlich auch regelmäßiger wieder morgens anders fährst?“ – „Das kann passieren, ja.“ – „Damit kann ich nicht viel anfangen. Soll ich also morgens nicht mehr auf dich warten?“ – „Musst du nicht mehr, ist schon ok.“ – „Was zur Hölle ist dein Problem?“ Da der Lehrer mit dem Unterricht anfing, konnte ich leider nicht weiter mit ihr diskutieren, was mich so ziemlich wütend machte. Weil es eine Doppelstunde war und der Lehrer die kleine Pause durchzog, um uns früher in die große Pause gehen lassen zu können, schnappte ich mir in der großen Pause direkt Janine und sicherte mich etwas ab, indem Tim bewusst auch noch in unserer Nähe stand.

Ich wollte einfach, dass er mitbekam, was sie und ich besprachen, damit er notfalls auch noch eingreifen konnte. Mit ziemlich viel Wut im Bauch stellte ich zur Rede: „Was ist dein Problem?“ – „Nichts, ist schon gut.“ – „Es ist nichts gut, ich bin doch nicht blöd. Du warst doch schon so komisch, als du Sonntag früh von der Party gegangen bist. Ich frage dich noch mal: Was ist dein Problem?“ – „Es ist schon ok, lass gut sein.“ – „Nein, es ist nichts ok. Ich habe dir doch im Gesicht angesehen, dass du richtig beleidigt warst, dass ich Julia nach Hause bringen wollte. Heute fährst du einfach anders. Was soll dieser Unsinn?“ Ganz plötzlich schoss sie los: „Noch mehr hättest du wohl mir nicht zu spüren geben können, dass du keinen Bock hast, mich nach Hause zu bringen? Weißt du, wie… verletzend das war, dass du Julia erst gefragt hast, bevor du irgendwas entschieden hast?“ Das brachte mich nur noch mehr in Rage: „Du hast aber schon verstanden, was ich dir mindestens zwei Mal in den Tagen davor gesagt habe? Dass ich nicht weiß, wann ich gehe? Hörst du mir überhaupt zu?“ Sie schwieg daraufhin und ich legte nach: „Vor allem, wo ist dein Problem, dass ich mit Julia etwas mehr Zeit verbringe? Du hast mir gesagt, dass ich nur dein bester Freund für dich bin, da darfst du dich doch nicht wundern… Wer hat mir denn zu verstehen gegeben, dass ich zu Julia gut passen würde? Du hast mich doch erst auf diese Idee gebracht und wenn du damit nicht klarkommst, dass ich jetzt eben mit ihr etwas mehr Zeit verbringe, ist ganz allein dein Problem, ganz ehrlich. Du bist nicht der einzige interessante Mensch auf dieser Welt.“ Das Ding hatte gesessen.

Sie schüttelte mit dem Kopf, schaute einige Momente weg von mir und sagte: „Du hast nicht verstanden, dass es mir um die Art und Weise am Samstag ging, verdammt noch mal. Das war verletzend! Deine tollen Sprüche sind auch nicht besser!“ – „Was war daran verletzend, dass ich dir gesagt habe, dass ich Julia stattdessen nach Hause bringe? Ich habe dich schon so oft nach Hause gebracht, falls du das vergessen hast!“ – „Es geht nicht um die früheren Male, mir geht es nur um Samstag, wo du sie erst bewusst gefragt und gehofft hast, dass sie noch länger bleibt, damit du mich nicht nach Hause bringen musst. Außerdem bemerke ich doch die ganze Zeit, dass du mich mit Julias Kontakt ärgern willst!“ – „Warum ärgern? Hä?“ – „Du hättest auch einfach ehrlich sagen können, dass du mich nicht bringen willst. Aber ach komm, vergiss es einfach. Es hat keinen Zweck.“ – „Ich frage dich gerne noch mal: Was ist dein wirkliches Problem?“ – „Dein komisches Verhalten auf einmal mir gegenüber ist mein Problem!“ – „Nur, weil ich etwas auf Abstand zu dir gehe, weil du halt nichts von mir willst? Vor allem, wieso ärgert es dich, dass ich mit Julia mehr Kontakt aufgebaut habe?“ – „Man, Marc, du kapierst es einfach nicht!“

Sie wurde dabei richtig laut, sodass Tim dazwischen ging und mir sehr deutlich zu verstehen gab, dass es wohl besser wäre, wenn ich woanders hingehen würde, da einige unseren Konflikt aufgrund der Lautstärke mittlerweile mitbekamen. Ich verzog mich wutentbrannt, würdigte Janine nur noch eines ziemlich angefressenen Blickes und ging ziellos über den Schulhof, bis ich kurz vor Ende der Pause auf Julia und weitere Mädels aus der Klasse traf, wo mich eine der Mädels fragte: „Alles in Ordnung, Marc?“ – „Ach, nicht so richtig. Ist alles gerade offenbar komplizierter.“ – „Mit wem hast du dich denn gestritten? War das Janine?“ – „Ja… Wir hatten einfach eine Meinungsverschiedenheit. Wir mussten da einfach was klären und Luft ablassen.“ – „Solange es etwas half, ist es doch gut.“ – „Genau, das war es auf jeden Fall!“ Als die anderen Mädels sich kurz verzogen, fragte mich Julia: „Was war mit Janine?“ – „Willst du lieber nicht wissen.“ – „Warum das?“ – „Sie fand es wohl verletzend, wie ich sie am Samstagabend behandelt habe.“ – „Okay?“ – „Sie hat ja leider nicht Unrecht damit, aber aktuell ist die Freundschaft zwischen ihr und mir ziemlich kompliziert.“ – „Warum das? Warum warst du am Samstagabend so komisch zu ihr?“ – „Das… kann ich dir in der Kürze der Zeit nur schwer erklären, vielleicht ein anderes Mal, ok? Ich bin gerade noch ziemlich… angefressen.“ – „Ja, na klar, völlig in Ordnung.“ Ich musste mir auch eingestehen, dass ich Julia diese ganzen Details um Janine nicht erzählen wollte. Das hatte auch egoistische Gründe: Ich wollte mir mögliche Chancen bei Julia nicht versauen, indem ich ihr erzählte, was ich wirklich für Janine empfand… und dass ich definitiv eine gute Chance bei Julia hatte, stand nach dem Ende der Feier außer Frage. Aber so zynisch das auch klingen mochte: Der Konflikt half mir super dabei, mich emotional etwas von Janine zu distanzieren. Allein dieses heftige Gespräch erzürnte mich sehr.

Ich bat Tim, als ich ihn vor dem Klassenraum ohne Janine traf, ob er sich für den Rest des Tages einfach auf meinen Platz setzen würde und ich mich dafür auf seinen setzen durfte. Er hatte bei dieser Bitte Magenschmerzen, weil es ihm lieber war, dass ich mich nochmal in Ruhe mit Janine unterhalten würde, aber er stimmte meinem Vorschlag zu, weil er die Befürchtung hatte, dass wir uns an diesem Tag noch mehr fetzen würden.

Ich saß Janines enttäuschten und verletzten Blick, als sie sah, dass ich mich von ihr weggesetzt hatte. Wir redeten an diesem Tag auch kein weiteres Wort mehr miteinander und gingen auch bei dem Nachhauseweg getrennte Wege. Julia schrieb mir am Montagabend noch eine Nachricht: „Alles ok bei dir? Janine scheint mich auch offenbar zu ignorieren.“ Ich entgegnete ihr darauf: „Mit Janine ist leider nichts in Ordnung… Tut mir leid, wenn ihr Stress wegen mir haben solltet.“ – „Du kannst dafür nichts. Ich verstehe sie ja selbst nicht. Ist sie irgendwie eifersüchtig?“ Obwohl ich die Antwort wusste, versuchte ich Janine etwas in Schutz zu nehmen: „Glaube ich nicht, warum sollte sie? Wahrscheinlich ist ihr irgendwas über die Leber gelaufen am Samstagabend. Ich denke, es wird sich bestimmt in einigen Tagen wieder einrenken.“

Dieser Wunsch erfüllte sich leider nicht, da wir seit diesem Zoff gar kein Wort mehr wechselten. Wir beachteten uns kaum noch, hin und wieder begrüßten wir uns zumindest am Morgen oder wünschten uns einen schönen Tag, aber wir verbrachten überhaupt keine Zeit mehr.