Nähe
Die Woche verging schnell und ich hatte den Eindruck, dass Janine sich auch riesig auf den Samstag freuen würde. Das sah ich vor allem daran, dass wir bereits Freitagabend und Samstagvormittag etliche Nachrichten austauschten, weil sie mich immer wieder anschrieb. Es ging in diesen Nachrichten um nichts Wichtiges und nur teilweise um Überlegungen, welche Filme oder Serien wir schauen würden. Ich putzte mein Zimmer besonders gründlich und machte mir zur Abwechslung etwas Parfüm an mein Hemd und Shirt. Mit etwas Verspätung klingelte sie an der Haustür und Petra, die meine Nervosität im Laufe dieses Tages bereits mitbekommen hatte, meinte nur leise zu mir, kurz, bevor Janine an der Wohnungstür war: „Mach dich locker!“ – „Das sagt sich so einfach!“ Janine tauchte auf und ich erkannte sie kaum wieder, so attraktiv war sie. Sie hatte sich stark geschminkt: Ihre Wimpern wirkten ziemlich lang, länger als sonst. Zusätzlich hatte sie leicht grünlichen Lidschatten aufgetragen, der ihr einfach wirklich gutstand. Ihre blauen Augen sahen dadurch noch viel schöner aus. Neben den Schuhen, die sie auch schon letztes Wochenende in der Diskothek trug, fiel mir ihr Kleidungsstil auf, der ungewöhnlich für sie etwas freizügiger war. Sie trug eine Kombination aus recht dünnen Oberteilen, die nur einen leichten Einblick in ihr Dekolletee erlaubten und generell trotzdem recht viel Haut zeigten, was mich sofort anzog. Außerdem trug sie einen längeren Rock, der ihre Figur sehr betonte. Janine sah mein fasziniertes Gesicht und sagte gleich: „Hör auf, du machst mich noch ganz verlegen…“ Ich sagte leise, damit Petra im Wohnzimmer das nicht mitbekam: „Du siehst echt toll aus.“ – „Danke schön!“ Sie gab mir direkt einen Kuss auf die Wange und ich war ihr in diesem Moment völlig verfallen.
„Schau, ich habe dir was mitgebracht.“ Ich war neugierig und schaute, während sie in ihrer echt großen Tasche herumwühlte. Sie holte etwas heraus, was ich völlig vergessen hatte: Meine Strickjacke! Ich schaute sie etwas überrascht an und sie meinte: „Die haben wir letztes Wochenende völlig vergessen. Ich habe sie gewaschen, so als Dankeschön.“ – „Das hättest du nicht machen brauchen, aber das ist toll, dass du sie mitgebracht hast.“ Sie lächelte. Ich nahm sie nach einem kurzen Zwischenstopp bei Petra direkt in mein Zimmer, wo sie sich auf mein Bett setzte und ich deutlich spürte, wie ich bei Janines Anblick einen Steifen bekam. Ich konnte es nicht vermeiden und achtete ab diesem Zeitpunkt darauf, dass man das nicht sehen konnte, auch, weil ich mich vereinzelt etwas von Janine wegdrehte…
Kaum, dass sie ihre Tasche abgestellt hatte, fragte sie: „Zu zweit hat man aber auf deinem Bett schon genug Platz, oder?“ – „Ja, klar, zu zweit passt man hier super rauf. Müsstest du doch aber noch wissen, als du das eine Mal über Nacht schon hier warst.“ Sie ignorierte meine Feststellung: „Ich gehe davon aus, dass ich auch bei dir im Zimmer schlafen kann, oder?“ Sie musterte mich bei dieser Frage ungewöhnlich deutlich und ich sagte: „Ja, klar, außer natürlich, du willst im Wohnzimmer schlafen, da wäre ja auch noch eine Schlafmöglichkeit.“ Ich spielte ihr den Ball zurück, nachdem sie mich letzte Woche so geärgert hatte. Sie antwortete aber überraschend und mit vollem Ernst: „Klar, ich schlafe im Wohnzimmer.“ – „Was, wirklich?“ Ich fiel auf ihre billige Lüge rein, sie lachte und schüttelte nur den Kopf. Ich war schon wieder drauf und dran, sie zu kitzeln, aber sie meinte: „Wehe!“ Ich hielt mich doch zurück, aber ich wusste, die nächste Chance würde sicher wieder kommen.
Wir gingen zu einem Einkaufsbummel los und fuhren dafür zu einem Einkaufszentrum, welches riesig war. Ich erahnte schon, dass ich mich nicht so einfach auf einen Bummel mit ihr hätte einlassen dürfen, auch wenn es in diesem Fall freiwillig war. Janine nutzte die Gelegenheit und schaute in einigen verschiedenen Modeläden vorbei, womit sie schon meine Geduld strapazierte. Aber ich hatte durch sie so gute Laune, dass mich das alles nicht aus der Fassung brachte. Als wir pausierten und uns ein Eis gönnten, zu dem Janine mich unbedingt einladen wollte, erzählte sie mir, dass sie sich mit zwei Jungs aus unserer Klasse, mit denen wir im Club waren, wohl richtig gut verstehen würde. Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte und hätte sie am liebsten gefragt, ob sie womöglich Interesse an einen der beiden haben würde, aber ich verkniff mir die Frage. Vielleicht wollte ich die Antwort auch nicht wissen…
„Wie kommst du denn eigentlich mit den ganzen Neuen klar?“, fragte sie mich plötzlich, als ich einige Sekunden im Gedanken versunken war. „Ich finde die Leute echt nett. Jeder kommt mit jedem klar, das ist super angenehm dadurch.“ – „Ja, das stimmt! Ich hätte auch nicht gedacht, dass sich in diesem Schuljahr so schlagartig verändert.“ – „Wir haben halt einfach Glück gehabt. Man kann nicht immer so ein Pech haben wie mit der Klasse zuvor. Sei einfach froh, dass du die ganzen Idioten losgeworden bist.“ – „Na ja, sie versuchen mich noch manchmal in den Gängen aufzuziehen, wenn sie mich sehen, aber mehr als einen Stinkefinger zeige ich ihnen nicht.“ – „Das ist eigentlich schon viel zu viel Aufmerksamkeit, die du den Pennern damit zukommen lässt.“ Sie stimmte mir kommentarlos zu. „Ich muss aber zugeben, dass ich mit keinem von den ganzen Neuen bisher irgendwas unternommen habe, außer auf deiner Geburtstagsfeier halt.“, führte ich fort. „Nein, wirklich noch nicht?“ – „Nein, es hat sich nicht so richtig ergeben. Mich hat bisher auch einfach keiner gefragt, ich aber eben auch nicht. Ich weiß auch nicht. Ich mag die Leute echt, aber ich wüsste auch nicht, ob ich mich so großartig regelmäßig mit ihnen würde treffen wollen.“ – „Sieh die Sache nicht so negativ. Ich kann dir auf jeden Fall sagen, dass Julia echt lieb ist. Ich habe mich schon ein paar Mal mit ihr jetzt getroffen, meist in der Woche nach der Schule. Sie wohnt nicht weit weg von mir, das ist voll cool.“ – „Wer war Julia noch mal?“ Ich hatte es mit Namen nicht so besonders und bei so vielen neuen Gesichtern hatte ich definitiv schon den Überblick verloren. „Julia? Du hast mit ihr an meinem Geburtstag etwas länger gequatscht! Wir sind mit ihr in einer Klasse?“
Sie gab mir einen Stupser und ich überlegte einen Moment, bis ich meinte: „Stimmt, du hast Recht. Sie hieß Julia, hatte ich schon wieder ganz vergessen.“ Ich bekam direkt noch einen Stoß von ihr ab und sie meinte: „Ich bin mir übrigens ziemlich sicher, dass sie dich interessant findet.“ – „Aha? Was meinst du mit interessant?“ – „Sie hat sich halt ziemlich positiv über dich geäußert und meinte, dass du immer richtig nett bist, wenn du in der Schule zum Beispiel mit ihr sprichst.“ – „Kann gut sein, ja.“ Ich schmunzelte, weil ich meine Erinnerungen ein wenig sortierte, wofür ich mit einem Lachen von Janine den dritten Stoß abbekam. „Hey, jetzt nimm mich doch ernst!“ – „Mach ich doch, ich veräppele dich gerade doch nur ein bisschen. Ich fand sie bisher auch immer nett.“ – „Und?“ – „Wie… und?“ – „Und, was denkst du noch über sie?“ – „Was meinst du?“ – „Na komm, lasse dir nicht alles aus der Nase ziehen. Findest du sie hübsch?“ – „Bei deiner Geburtstagsfeier fand ich sie schon attraktiv, ja.“ Sie schaute mich fragend an und wollte noch mehr Details hören, während ich mich etwas überfordert fühlte, da ich mir über Julia bisher so überhaupt gar keine Gedanken gemacht hatte. „Was willst du noch hören? Warum fragst du so hartnäckig?“ – „Ich bin einfach nur neugierig, was du über sie denkst.“ – „Ich finde, sie ist eine hübsche und liebe Frau… was ich gerade schon sagte.“ – „Ach Mensch, du machst es einem auch nicht einfach. Frage ich also direkt: Hast du Interesse an ihr?“ Ich musste darauf wirklich schmunzeln, was nicht böse gemeint war – die Vorstellung mit Julia war abwegig. „Warum lachst du?“ – „Ich musste nur lachen, weil ich mir über Julia bis heute überhaupt keine Gedanken gemacht habe. Nein, ich habe kein Interesse an ihr. Ich mag sie vom ersten Eindruck her, aber das war es auch. Ich kenne sie ja gar nicht, von daher weiß ich ehrlich gesagt gar nicht, ob ich sie interessant finden soll oder nicht.“ – „Ui, ok.“ – „Aber wenn du so hartnäckig fragst, scheint Julia wohl doch mehr Interesse an mir zu haben, was?“ Sie schwieg behaglich und ich konnte die Antwort ihrem Gesicht entnehmen. „Oh, damit habe ich ehrlich gesagt nicht gerechnet, dass mich Julia plötzlich interessant findet.“ – „Sie hat mir halt nur gesagt, dass sie dich echt ganz toll findet. Aber ich denke, es wird für sie jetzt nicht so schlimm, wenn ich ihr sage, dass du halt kein Interesse an ihr hast.“ – „Na ja, ich weiß halt nicht.“ – „Na, was denn nun? Was weißt du nicht?“ – „Ich habe gerade überlegt, was wir Julia am besten sagen, aber ich glaube, es ist schon fair, wenn du ihr vielleicht zu signalisieren gibst, dass ich sie echt lieb und nett finde, ich da aber jetzt nicht weitergedacht habe.“ – „Aber was ist, wenn du dich einfach mit ihr triffst und herausfindest, was du von ihr hältst?“ – „Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass das so viel bringt.“ – „Wieso das? Du kannst ja gar nicht so richtig wissen, wie sie ist, wenn du dich gar nie mit ihr getroffen hast.“ – „Das stimmt.“ – „Was bremst dich?“ – „Der Grund ist einfach der…“ – „Ja?“ – „Ich finde halt jemand anders interessant.“ – „Oh, ok. Wer denn?“ Großartig, Marc. Eine bessere Ausrede als die Wahrheit war dir jetzt nicht eingefallen, du Idiot?
„Ich… schweige dazu lieber noch, weil ich mir nicht sicher bin.“ – „Na komm, andeuten und nicht verraten ist doof!“ – „Ich weiß, aber ich sage lieber nichts, solange ich mir nicht wirklich sicher bin.“ – „Hast du dich denn schon mit ihr wenigstens getroffen?“ – „Ja, habe ich.“ – „Aber… hast du nicht vorhin gesagt, du hast dich bisher mit keinem aus der Klasse getroffen?“ Herzlichen Glückwunsch, Marc. Du reitest dich nur noch mehr in die Scheiße!
„Na ja … äh, die Sache ist halt ein wenig komplizierter.“ – „Wir haben doch ganz viel Zeit heute, da kannst du mir das in Ruhe alles erklären.“ Ich schaute ihr bereits einige Zeit schon nicht mehr in die Augen, weil ich befürchtete, dass sie in meinen Augen womöglich herauslesen könne, dass sie diejenige war, die ich interessant fand. Ich sagte: „Ich mache dir einen Vorschlag: Bevor ich mich selbst jetzt verrückt mache, weil ich mir nicht sicher bin, erzähle ich es dir dafür als Erstes, wenn ich mir sicher bin, ob ich Interesse habe oder nicht.“ – „Nicht einen Tipp?“ – „Nein, ich… bin mir ja selbst nicht sicher.“ – „Na gut, ok. Ich bin aber auf jeden Fall gespannt, um wen es geht!“ Ahnte sie nichts oder überspielte sie das gerade nur? Bemerkte sie nicht, dass ich nicht nur freundschaftlich dachte, wenn ich mit ihr zusammen verbrachte? Hatten unsere Übernachtungen nichts für sie zu bedeuten?
Ich versuchte mich von diesen bedrückenden Gedanken abzulenken, was während des Bummels nach unserem Eis erstaunlich gut gelang, auch wenn Janine die Betroffene war. Janine kam sogar auch noch mit, als ich mich in einem Elektronikmarkt etwas umschaute und ein Weilchen bei den Spielen stehen blieb, auch wenn sie primär Zeit damit verbrachte, mich zu veralbern, während ich mir verschiedene Spiele anschaute. Nach unserem Bummel fuhren wir wieder zu mir und Janine und ich machten aus, dass sich jeder von uns einen Film aussuchen durfte. Während der Fahrten schauten wir online nach, was es so gab, und Janine nahm eine Komödie, ich im Gegensatz dazu einen gruseligeren Film.
Als wir bei mir zu Hause waren, war Petra erwartungsgemäß nicht mehr da. „Nanu, wo ist denn Petra?“ – „Sie muss arbeiten, ihre Schichten sind fürchterlich. Sie kommt daher erst morgen irgendwann wieder.“ – „Was macht sie denn eigentlich?“ – „Sie arbeitet im Krankenhaus als Assistenzärztin. Aber ich habe den Eindruck, dass sie sich oft völlig überarbeitet. Sie ist oft müde, wenn ich sie sehe, auch wenn sie genug geschlafen hat.“ – „Das ist echt übel. Sie tut mir voll leid.“ – „Das ist lieb… Ja, sie kann nicht wirklich was verändern, das ist das eigentlich Doofe.“ Janine stimmte mir im Allgemeinen zu.
Wir machten uns eine Pizza warm. Später verwendete ich eine Vielzahl an kleinen und großen Kissen, um eine entspannte Gammel-Ecke auf meinem Bett zu erzeugen. Janine fühlte sich wohl, ich erst recht. Wir schalteten zunächst die Komödie an und ich schaute während des Filmes wenige Male zu Janine, die meinen Blick teils erwiderte und mich zaghaft anlächelte. Ich hatte den Eindruck, als würde sie während des Filmes gar nicht so sehr auf den Film achten und mehr über irgendetwas nachdenken, weil ich mehrfach bemerkte, dass sie bei wirklich witzigen Stellen, die eigentlich ihrer Art von Humor entsprachen, gar nicht reagierte und nicht schmunzelte. Eine halbe Stunde, bevor die Komödie zu Ende ging, pausierte ich ohne Vorwarnung den Film, während mich Janine völlig perplex anschaute. Ich fragte sie: „Hey, was ist los?“ – „Was meinst du?“ – „Ich bemerke doch, dass etwas nicht stimmt. Ist die Lösung mit den Kissen unbequem? Oder fühlst du dich unwohl?“ – „Nein, die Kissen sind super. Der Film ist wirklich witzig.“ – „Ich spüre aber, dass irgendwas doof ist.“ Ich rutschte näher zu Janine.
Sie meinte: „Ich habe einfach eine Sache nicht aus dem Kopf bekommen. Ich war letztens nicht ehrlich zu dir.“ Ich verzog meine Augenbraue und sagte: „Ich dachte, wir sind ehrlich zueinander?“ – „Sind wir doch sonst auch. Es ist nur etwas… was mich wirklich belastet.“ – „Was ist denn los?“ – „Ich habe dir nicht ganz die Wahrheit erzählt, als ich sagte, warum mein Vater bei uns im Gästezimmer öfters schläft.“ Ich schaute sie besorgt und verwundert an und sie meinte: „Mein Vater hatte vor wenigen Monaten noch Lungenkrebs.“ Ich zuckte zusammen und erschauderte im Inneren. „Oh Gott, das tut mir leid.“ – „Aber er hat es heil überstanden, die Ärzte sind vorsichtig optimistisch. Er hat deswegen auch eine Operation gehabt, wo sie ihm wohl den Krebs weggeschnitten hätten… oder zumindest einen kleinen Tumor wohl. Mein Vater schläft halt schlecht, seitdem er die Chemotherapie hat. Er schläft halt meiner Mutter zuliebe öfters im Nebenzimmer, damit sie nicht so oft wach wird, weil er es eben oft wird.“ – „Oh Backe, das tut mir echt leid… Sorry. Ich wollte dich vor allem nicht daran erinnern, als ich bei euch über Nacht geblieben bin.“ Ich umarmte sie, da ich in ihren Augen kleine Tränen sah. Durch meine Umarmung wurden ihre Tränen gefühlt mehr und ich wischte ihr einige Tränen an den Wangen weg, als wir unsere Umarmung lösten. „Mach dir keine Gedanken, das konntest du ja nicht wissen mit meinem Papa… Ich sollte eigentlich gar nicht mehr weinen, weil ja alles gut gegangen ist.“ – „Siehst du. Aber damit zeigst du doch nur, wie wichtig dir dein Vater ist.“ – „Das hast du schön gesagt.“ Sie lächelte und erzählte mir, während sie mit dem Weinen aufhörte, dass ihr Vater früher wohl recht viel geraucht hätte, aber damit schon vor über zehn Jahren aufgehört hatte. Je mehr sie erzählte, desto gefasster wurde sie wieder und letztlich ging es ihr wieder recht gut, was mein Hauptziel war. „Entschuldige, dass ich den Film so kaputt gemacht habe.“ – „Hast du doch gar nicht! Wenn du magst, können wir uns den Rest ja jetzt auch noch anschauen. Außerdem haben wir noch einen Film…“ Ich grinste und sie meinte: „Oh nein, stimmt ja, das ist der Gruselfilm, den du unbedingt wolltest…“ – „Gruselst du dich denn?“ – „Ja, total… Ich will aber unbedingt eine Decke, wenn ich mich zu sehr grusele!“ Ich schmunzelte erst recht und sie pikste mir in die Seite. „Ich grusele mich wirklich!“ Ich lachte nur noch mehr, wodurch sie sich nur noch mehr veräppelt fühlte. „Ich würde auch jetzt schon eine Decke nehmen, weil mir jetzt doch schon ziemlich kühl ist.“ – „Dabei ist es hier im Raum echt warm. Aber klar, ich hol sie dir.“ Aus dem Bettkasten holte ich ihre Decke und ihr Kissen für die Nacht heraus und Janine murmelte sich ein. Wir schauten die Komödie zu Ende und Janine nutzte unsere Pause zum Umziehen im Bad, während ich unter anderem den Film wechselte und das Licht im Zimmer größtenteils ausschaltete, um eine gruseligere Atmosphäre zu schaffen.
Janine bemerkte dies sofort, als sie wiederkam: „Oh, du hast das Licht herunter gedreht…“ Ich sah Zweifel in ihrem Gesicht, sodass ich antwortete: „Ich fand das für den Gruselfilm eigentlich ganz angenehm.“ – „Wollen wir das Licht nicht doch vielleicht heller machen?“ – „Na gut, ok, ich mach es wieder heller.“ Ich ließ Taten folgen, sodass mein Licht zum Dimmen ein wenig heller war, aber die Atmosphäre für einen solchen Film nicht zu sehr darunter litt. Janine hatte sich direkt auch abgeschminkt und einen Schlafanzug angezogen. Der Unterschied zwischen geschminkt und ungeschminkt war bei ihr zwar sehr deutlich zu sehen, aber attraktiv war sie trotz allem. Ich liebte ihre strahlend blauen Augen und ihre meist leicht rötlichen Wangen.
Bevor wir anfingen, zog ich mich ebenfalls im Bad um und machte mich bettfertig. Janine spielte gerade mit ihrem Smartphone herum, als ich wieder in das Zimmer kam und sagte: „Man, dieses blöde Teil ist langsam und nimmt manche Eingaben gar nicht an!“ Da ich mich für Smartphones sehr interessierte und viel mit solchen Themen beschäftigte, rutschte ich auf meinem Bett sehr nah zu ihr und meinte: „Zeig her. Was geht denn nicht?“ Sie demonstrierte mir das Fehlverhalten ihres Smartphones und ich nahm ihr das Telefon aus der Hand, um es selbst einmal auszuprobieren. Bei mir funktionierte alles beim ersten Versuch tadellos, sodass wir schmunzeln mussten und sich der Blick von Janine und mir traf, während wir so nah beieinandersaßen. Wir schauten uns einige Sekunden an und ich wusste nicht, ob Janine über das Gleiche wie ich nachdachte. Auf jeden Fall war ich mir sicher, dass sie diesen Moment auch gespürt hatte.
Sie nahm mir das Telefon wieder ab und probierte es erneut, als sich zeigte, dass ihr Gerät auch bei ihr einwandfrei funktionierte. Sie meinte: „Wie hast du das gemacht?“ Ich schmunzelte und meinte: „Dein Smartphone weiß halt einfach, dass es sich bei mir benehmen muss.“ Sie pikte mir in die Seite und wir lachten. „Ich glaube einfach, dass es mal funktioniert und mal nicht.“ Sie stimmte mir zu und probierte es aus Trotz so lange, bis der Fehler wieder auftrat und sie ihn mir stolz beweisen konnte. Als ich ihr Gerät nochmals in die Hand nahm und der Fehler direkt beim ersten Versuch wieder weg war, sagte sie abschließend zu mir: „Ich werde dir wohl zukünftig immer mein Handy in die Hand drücken, wenn irgendetwas wieder nicht funktioniert.“ – „Das wird eine Lösung sein.“ Wir amüsierten uns.
Ich stand auf und erinnerte Janine mit einem Grinsen: „Ab unter die Decke, jetzt kommt der böse Film.“ Sie lag mehr unter der Decke, als sie saß, und ich setzte mich auch wieder aufs Bett, von vorneherein schon nah bei Janine. Nach wenigen Minuten fiel mir auf, wie Janine – auffällig unauffällig – immer mehr in meine Nähe rutschte, obwohl die gruseligen Momente des Filmes noch gar nicht begonnen hatten. Ich hatte aber ein Erbarmen mit ihr: „Wenn wir für ein paar Sekunden pausieren, kann ich meine Schlafdecke aus meinem Bettkasten holen und lege mich nah zu dir, falls dir das zu gruselig ist.“ – „Du bist lieb. Aber du brauchst nicht extra aufstehen, wir können uns doch einfach meine Decke teilen.“ Jackpot, genau das war mein Plan. Ich stimmte ihr zu und legte mich direkt nah neben sie, sodass sich unsere Körper unter der Decke durchaus viel berührten. „Boah, du bist richtig warm!“, meinte sie nach wenigen Sekunden, worauf ich ihr entgegnete: „Klar, ich sage dir ja, dass es in meinem Zimmer warm ist!“ Dieses Gefühl mit Janine haute mich wieder um und ich spürte ganz leicht, wie ich einen Steifen bekam. Das war mir so peinlich, dass ich mich unter allen Umständen zwang, das Gefühl, so nah bei Janine zu sein, nicht zu sehr zu genießen und vor allem nicht weiter darüber nachzudenken, wie attraktiv ich Janines Outfit heute fand. Als die erste richtige Schockszene im Film vorkam, verkroch sich Janine gleich auf niedliche Art und Weise unter der Decke, sodass sie nur mit höchstens einem Auge in Richtung Fernseher schaute. Bei der nächsten Szene, in der auch ich mich ganz schön erschreckte, ohne es zu zeigen, kuschelte sich Janine plötzlich sehr an mich heran, bis die Szene vorüber war. Welche Gefühlsexplosion das wieder in mir auslöste, war ihr vermutlich überhaupt nicht klar.
Als wir die meisten gruseligen Szenen überstanden hatten, kam mir eine ziemlich gemeine, aber zugleich lustige Idee. Ich wartete auf eine nächste Grusel-Szene und schrie völlig überraschend los, allerdings mit gedämpfter Stimme, damit mich nicht Nachbarn womöglich noch hörten. Janine zuckte völlig zusammen und schrie selbst leicht, trat mich dabei unabsichtlich sogar mehrfach recht kräftig und meinte ziemlich laut: „Du bist so ein Arsch!!!“ Ich kam aus dem Lachen nicht mehr raus, was Janine dazu veranlasste, leicht auf mich einzuprügeln und mich schließlich enorm zu kitzeln. Ich meinte irgendwann: „Es reicht. Hey, nicht mehr kitzeln, ich kann nicht mehr lachen, ich habe schon Magenschmerzen…“ – „Das ist die gerechte Strafe dafür!“ – „Willst du nicht wieder unter die Decke kommen? Der Film ist noch nicht zu Ende.“ – „Damit du mich wieder erschrecken kannst? Ich kann auch einfach sitzen bleiben und erschrecke mich genauso!“ Sie streckte mir die Zunge heraus und schaute aus Protest von mir konsequent weg. „Hey, tut mir leid. Der Scherz war blöd, ich weiß.“ – „Ja, der Scherz war scheiße! Mein Herz pocht immer noch, weil ich so vertieft war und du mich so heftig erschreckt hast…“ – „Sorry, tut mir wirklich leid. Ich verspreche dir, ich werde dich nicht mehr ärgern.“ – „Das hoffe ich auch für dich! Sonst war das eben nur der Anfang deines Endes. Ich höre gar nicht mehr auf, dich zu kitzeln!“, grummelte sie mit einer Mischung aus Ernst und Schmunzeln. Sie kam tatsächlich wieder unter die Decke und suchte recht schnell meine Nähe, als die letzten gruseligen Szenen des Filmes liefen.
Die Frage, wie Janine den Film fand, sparte ich mir, weil sie einerseits kaum hingeschaut hatte und sie andererseits den Schock durch mich verdauen musste. Als wir uns aufrichteten, meinte sie zu mir: „Ob ich mit dir noch einen Gruselfilm gucke, weiß ich echt nicht!“ Ich grinste leicht und meinte aber schuldbewusst: „Tut mir wirklich leid, der Scherz war scheiße, du hast Recht. Mache ich nicht noch mal.“ – „Das hoffe ich auch für dich!“ Sie kitzelte mich als Strafe erneut, auch wenn das wirklich nur sehr kurz war und ich erfolgreich vor ihr flüchten konnte.
Ich schaute sie noch wenige Momente an und fragte sie: „Wollen wir schlafen gehen?“ – „Würde ich vorschlagen, wenn es ok für dich ist. Es ist zwar noch nicht Mitternacht, aber ich bin irgendwie schon müde. Wir können uns fertig machen, aber bleiben noch ein wenig wach und quatschen oder so.“ – „Ja, das finde ich eine gute Idee. Ich habe mich vorhin schon fertig gemacht, ich mache derweil einfach unser Bett.“ – „Ok, ich geh noch kurz ins Bad.“ Ich bemerkte, dass sie sich im Flur extra das Licht anschaltete, obwohl sie nur wenige Meter geradeaus zum Bad gehen musste. Ich ließ das Licht auch an, während sie im Bad war, sodass sie sich offensichtlich nicht noch mehr gruselte, wenn sie aus dem Bad wieder herauskam. Ich bereitete das Bett vor und wartete auf Janine. Sie sah müde aus und wir legten uns hin, mein Nachtlicht ließ ich noch kurz an, um mit Janine noch ein wenig quatschen zu können.
Janine drehte sich zu mir und meinte im Halbschlaf: „Dein Bett ist bequem. Ich sacke in diesem Kissen richtig weg.“ – „Das ist toll. Manchmal benutze ich auch das Kissen, was du hast, einfach, weil es so bequem ist. Aber jede Nacht brauche ich das auch nicht.“ – „Ich könnte darin, glaube ich, jede Nacht versinken…“ Sie hatte schon ihre Augen geschlossen und ich wusste, in spätestens wenigen Minuten würde sie eingeschlafen sein. „Weißt du, dass ich deine Haare mag?“ Ich spielte sehr mutig mit ihren langen blonden Haaren leicht herum, die sie bereits den ganzen Tag offen getragen hatte. Mit einem müden Nuscheln sagte sie: „Das… habe ich mir schon gedacht. Tut mir leid, dass ich so müde bin…“
Ich entschied mich spontan dazu, ihr den Kopf zu kraulen, nachdem ich schon mit ihren Haaren herumgespielt hatte. Mir war dabei etwas mulmig, da ich nicht wusste, wie sie auf so etwas reagieren würde, aber mein Bauchgefühl verlangte in diesem Moment einfach von mir, ihr ein wenig näher zu kommen. Sie zeigte erst keine Reaktion, sodass ich vermutete, dass sie schon schlafen würde, doch sie meinte plötzlich ziemlich streng: „Was machst du da?“ Ich war direkt eingeschüchtert und hörte auf, während ich ihr erwiderte: „Ich dachte, das könnte dir vielleicht gefallen.“ – „Ja. Habe ich gesagt, dass du damit aufhören sollst?“ Ich grinste in mich hinein, während ich sah, wie sie sichtbar grinste. Ich machte, wie mir befohlen wurde und kraulte ihren Kopf vorsichtig weiter, während ich bemerkte, dass ihr das gefiel und sie dadurch nur noch mehr ins Kissen sackte. Nach einer ganzen Weile flüsterte ich ihr zu: „Ich schalte jetzt das Licht aus. Schlaf schön und träume was Süßes.“ Erst nach einigen Sekunden reagierte Janine: „Du auch. Nacht, Marc.“ – „Nacht.“ Ich war erneut besonders mutig und rückte ihr näher, um ihr einen ganz vorsichtigen Kuss auf die Stirn zu geben. Sie reagierte nicht, aber ich war mir sicher, dass sie das mitbekommen hatte. Ich schaltete das Licht aus und lag neben Janine locker noch über eine Stunde wach, in der ich sie anschaute, obwohl ich nicht viel sah. Meine Gefühle für sie waren vollumfänglich da. So nah, wie wir miteinander umgingen, ließ sich das einfach nicht mehr vermeiden: Wir übernachteten im gleichen Bett, sie gab mir regelmäßig Küsse an die Wange, sie ließ es sich gefallen, wenn ich ihren Kopf kraulte und generell kuschelte sie sich oft an mich heran. Mir wurde bewusst, dass ich Janine in naher Zukunft sagen würde, was ich von ihr hielt. Ich wollte vor allem wissen, was sie wirklich über mich dachte, um ihre Nähe zu mir richtig verstehen zu können. Aber ich befürchtete, dass sie das alles nur als eine beste Freundschaft interpretierte.
Am nächsten Vormittag erwachte ich durch Janine, die plötzlich ziemlich unruhig war. Ich weckte sie vorsichtig und sie schaute mich völlig entsetzt an, bis sie nach wenigen Sekunden verstand, wo sie eigentlich war. „Entschuldige…“, meinte sie direkt, worauf ich sie fragte: „So schlecht geträumt?“ – „Ich habe geträumt, dass uns ein Zombie verfolgt hat und er mich zu fassen bekommen hat, aber du dazwischen gegangen bist und mich gerettet hast.“ Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht gänzlich verkneifen, worauf Janine einen Blick aufsetzte, der bei ihr einem „Du bist doof“ entsprach. „Du hast dich halt ziemlich kräftig in das Bett gewühlt, schau…“ Ihre Seite war völlig durcheinander, das Bettlaken war an vielen Stellen zusammengeschoben und bedeckte damit nicht mehr die gesamte Bettseite, zumal sie es geschafft hatte, den Bezug ihrer Decke teilweise zu öffnen und die Decke zum kleinen Teil herausschauen zu lassen. Sie meinte: „Oh weh, was habe ich denn hier angestellt…“ Ich grinste weiterhin, weil ich das einfach süß fand. „Ist ja nicht schlimm, aber zumindest sollten wir uns überlegen, ob wir wirklich noch gemeinsam einen Gruselfilm schauen.“ – „Vor allem, wenn du mich wieder so erschreckst!“ Sie streckte mir wieder die Zunge heraus und ich fragte sie: „Willst du noch weiterschlafen? Ich bin jetzt zumindest wach.“ – „Nein, jetzt kann ich auch nicht mehr schlafen. Aber danke, dass du mich geweckt hast. Der Traum war echt richtig fies.“ – „Gern geschehen.“
Janines Haare waren dieses Mal so verwuschelt, als hatte sie in eine Steckdose gegriffen. Sie störte sich aber nicht weiter daran, sodass wir in Ruhe gemeinsam Frühstück aßen. Petra schlief, sodass ich mit Janine weiterhin allein war. Ich fragte sie: „Wie viel hast du gestern Abend eigentlich noch mitbekommen?“ – „Wieso fragst du?“ Sie musterte meinen Blick ganz genau und ich sagte: „Na ja, du warst so dermaßen müde, dass du ja fast gar nichts mehr mitbekommen hast.“ – „Ich habe das alles nach deiner Kopfmassage schon noch mitbekommen, täusch dich nicht.“ Sie wirkte wesentlich kühler von ihrer Laune her als gestern noch. Ich ließ dieses Thema wieder außen vor und wir sagten einige Zeit nichts mehr, bis wir miteinander herumalberten und die Stimmung glücklicherweise wieder angenehmer wurde. Nach dem Frühstück verzog sich Janine ins Bad. Ich machte mich im Gästebad auch etwas frisch und zog mir frische Kleidung für den Tag an.
Ich hatte vor, Janine wieder nach Hause zu bringen, weil ich einfach jede Minute noch nutzen wollte, doch Janine, mittlerweile wieder ganz leicht geschminkt, meinte, als sie fertig war: „Du bringst mich heute nicht nach Hause, das hast du in letzter Zeit schon so oft gemacht.“ – „Aber ich mache es gerne und es stört mich auch überhaupt nicht.“ – „Nein, du bleibst heute schön hier, ich habe schon ein richtig schlechtes Gewissen.“ – „Ich mache es aber wirklich gerne.“ – „Nein, du bleibst heute schön hier, Punkt.“ Ich gab einfach klein bei und war überrascht von ihrer Ansage. Wir umarmten uns wieder sehr lang und Janine gab mir einen Kuss auf die Wange, der sogar schon fast am Hals war… Sie lächelte abschließend und zog von dannen. Dieser besondere Kuss verunsicherte mich im Innern wieder massiv.
Ich ging in mein Zimmer, wo ich Petra direkt über den Weg lief. „Na, Janine noch da?“ – „Nein, sie ist gerade gegangen.“ – „Du hast sie nicht nach Hause gebracht?“ – „Nein, sie wollte das nicht. Sie meinte, dass sie schon so ein schlechtes Gewissen haben würde, weil ich das so oft gemacht hätte in letzter Zeit.“ – „Mhm, ok. Hat es dir denn gefallen? Wie war es denn?“ – „Es war echt angenehm und sie hat sich recht viel an mich heran gekuschelt gestern, als wir die Filme schauten.“ – „Das ist doch ein gutes Zeichen, Großer.“ Sie klopfte mir auf die Schulter und ging selbst in die Küche, während ich mir in meinem Zimmer die Zeit vertrieb.
Nach dieser Übernachtung verbrachten Janine und ich in den darauffolgenden drei Wochen noch mehr Zeit als bisher miteinander. Nicht nur, dass wir uns eben jeden Tag in der Schule sahen, wir unternahmen auch innerhalb der Woche nach der Schule regelmäßiger zusammen etwas. Zwei weitere angenehme und lustige Übernachtungen bei ihr zu Hause kamen hinzu. Unser Verhältnis zueinander wurde immer inniger und vertrauensvoller. Wir wussten oftmals, was der andere gerade dachte oder empfand. Sie erzählte mir zum Beispiel, wie schlecht es ihrem Vater wirklich zwischenzeitlich ging und ich hörte ihr teils stundenlang zu, während sie von ihrer Angst und Sorge um ihren Vater erzählte. Zusätzlich bedrückte sie Gespräche, die sie zwischen ihren Eltern mitbekommen hatte, in denen sie den Eindruck gewann, dass ihre Eltern sich sogar womöglich trennen könnten. Ich versuchte sie zu beruhigen und war einfach immer für sie da, egal, wann es ihr schlecht ging. Genauso war Janine aber auch für mich da, wenn ich immer und immer wieder an dem Tod meiner Eltern zu knabbern hatte und es mir schlecht ging. Sie traf sich dafür sogar wie vor einigen Wochen an einem Wochentag spätabends noch für eine Stunde zu mir, um mich einfach ein wenig trösten zu können. Ich war so unendlich dankbar, dass es Janine gab und spürte, dass ich sie nicht mehr missen wollte.
Tim spürte auch, dass sich das Verhältnis zwischen Janine und mir verändert hatte. Er sprach mich darauf an, dass er sich eben wundern würde, weil Janine oft meine körperliche Nähe suchte, indem sie einfach ihren Kopf regelmäßig auf meiner Schulter ablegte und allgemein einfach Körperkontakt herstellte. Ich erzählte ihm, dass ich auch weiterhin nicht wusste, was Janine wirklich für mich empfand, weil außer dieser steten Nähe eben nichts passiert war. Wir hatten regelmäßiger romantische Momente, in denen ein Kuss denkbar gewesen wäre, aber ich mich einerseits nicht traute und Janine andererseits nie auch nur ansatzweise so wirkte, als würde sie diese Momente romantisch anstatt freundschaftlich betrachten. Vielleicht war ich einfach zu feige? Wartete sie auf eine Reaktion von mir? Er verstand Janines Verhalten zumindest auch nicht und stimmte mir zu, dass es langsam Zeit wurde, Janine zu fragen, was sie wirklich von mir hielt. Vor diesem Schritt hatte ich Schiss, weswegen ich ihn immer wieder vor mir herschob. Oftmals war auch einfach keine passende Situation dafür, wenn wir uns trafen.
Das änderte sich, als wir uns an einem Dienstag im Oktober am späten Nachmittag zu einem Spaziergang trafen, als die Sonne ganz langsam beim Untergehen war. Den ganzen Tag über waren Janine und ich schon so liebevoll miteinander umgegangen, sodass meine Grundstimmung positiv beeinflusst war. Ich holte sie von meiner Busstation ab und wir gingen in den Park, in dem ich mit ihr vor einigen Monaten bereits war, als wir uns gerade erst richtig kennen lernten. Janine war wieder richtig hübsch, wie bereits den ganzen Tag schon: Neben einem Rock, einer Strumpfhose und Turnschuhe trug sie unter ihrer Jacke ein etwas dickeres Oberteil, welches ihre Oberweite an sich betonte, sie damit aber keineswegs im Ansatz freizügig war. Mir war aufgefallen, dass sich Janine freizügiger zeigte, wenn sie sich mit mir traf, auch wenn ich mir immer noch keinen rechten Reim darauf machen konnte, warum sie das immer bei mir machte. Klar, sie vertraute mir sehr, aber sie wusste, dass ich sie attraktiv fand und zeigte sich erst recht freizügiger in meiner Gegenwart? Spielte sie womöglich mit mir oder erwartete sie eine Reaktion meinerseits?
Da die Sonne gerade beim Untergehen war, führte ich sie zu einer Stelle im Park, bei der wir beim letzten Mal nicht waren. Es handelte sich dabei um einen kleinen Berg, von dem man aus wundervoll den Sonnenuntergang beobachten konnte. Glücklicherweise waren keine Pärchen oder andere Leute auf dem Berg. Auf dem Weg bis zur Spitze des kleinen Berges sprachen wir vor allem über den Schultag, da sich einige aus den Nebenklassen wohl ziemlich danebenbenommen hatten und aus dem Unterricht geflogen waren, was ziemlich schnell die Runde machte. Oben auf dem Berg gab es ein paar Sitzbänke – Janine und ich machten uns direkt auf einer breit. Ich genoss den Ausblick und Janine sagte recht leise zu mir: „Deswegen wolltest du mit mir hier noch hin. Das ist richtig schön.“ Ich nickte, ohne etwas zu sagen. Wir schwiegen eine ganze Weile und ich stand irgendwann einfach auf, um etwas mehr in Richtung Rand der Bergspitze zu gehen, da ich dort den Sonnenuntergang noch besser beobachten konnte und zugleich besser nachdenken konnte. Meine Gedanken gingen zunächst in Richtung von meiner Mutter und meinem Stiefvater, an die ich in den letzten Wochen wirklich sehr wenig gedacht hatte. Es schmerzte mich in diesem Moment fast so sehr wie an dem Tag, an dem ich vom Tod der beiden erfahren hatte. Ich dachte vor allem deswegen so viel an sie, weil sie mir diesen Berg vor einigen Jahren gezeigt hatten und mir verrieten, dass man im Herbst hier sehr schöne Momente verbringen konnte. Kurz drifteten meine Gedanken ab, sodass ich darüber nachdachte, wie wohl mein leiblicher Vater war. Ich hatte viele Wochen nicht mehr darüber nachgedacht, fragte mich aber in diesem Moment kurz, ob ich es womöglich auf einen Kontakt ankommen lassen sollte. Aber ich spürte, dass ich durch den Tod meiner Eltern, die mich aufgezogen hatten, weiterhin tief verletzt war und nicht glaubte, eine andere Person in der Form in mein Leben lassen zu können.
Meine Gedanken schweiften zu dem Menschen hinüber, mit dem ich hier oben war. Diese Situation auf dem Berg war so angenehm und passend, dass es vermutlich kaum einen anderen besseren Ort, geschweige denn eine bessere Situation für eine ehrliche Aussprache so schnell geben würde. Janine meinte plötzlich zu mir, als sie neben mir stand: „Du hast mich ja überhaupt nicht gehört, auch, als ich dich gerufen habe.“ Sie lächelte, ich erwiderte es und fügte an: „Na ja, ich habe einfach komplett abgeschaltet gerade… entschuldige.“ Ich schaute von ihr wieder zum Sonnenuntergang, sie fragte mich: „Nicht schlimm. Über was hast du nachgedacht?“ – „Ich denke über Vieles nach… besonders über Menschen.“ – „Aha?“ – „Ich habe an meine Eltern gedacht, weil wir hier früher auch waren. Nur deswegen weiß ich, dass dieser Berg im Herbst super ist, wenn man die Sonne untergehen sehen will.“ Sie strich mir etwas über den Rücken und sagte: „Das ist schön hier. Ich muss mir diese Stelle unbedingt merken.“ – „Das ist schön. Ich habe aber nicht nur über meine Eltern nachgedacht…“ – „Sondern?“ – „Es war auch ein Thema, über das wir vor einigen Wochen schon gesprochen haben.“ – „Ah, das Mädchen aus unserer Klasse! Sie war doch aus unserer Klasse, oder?“ – „Ja, ist sie.“ – „Hast du dich denn wirklich nun in sie verliebt?“ – „Ich empfinde auf jeden Fall viel für sie. Sie ist toll, ich bin glücklich, wenn ich über sie nachdenke. Verliebt kann ich so nicht sagen, ich weiß nicht, wie sich das anfühlt.“ – „Das beschreibt es doch eigentlich, was du gesagt hast. Wer ist es denn nun? Sag schon!“ Ich nahm meinen Mut zusammen und begann meinen Satz: „Du…“ Ich bekam ihn aber nicht heraus, da mich Janine mit ihrer Rückfrage schon unterbrach: „Ja?“ – „Du… dürftest sie wohl am besten kennen.“ – „Ach, sag bloß, ist es wirklich Julia?“ – „Nein.“ – „Es bleibt ja nur noch Sabrina übrig? Sie ist die Einzige, die ich sonst wirklich gut kenne? Aber mit Sabrina hast du doch bisher nie Zeit verbracht?“ – „Nein. Sie ist es nicht.“ – „Aber wer denn sonst? Ich verstehe dich nicht.“ Ich schaute vom Sonnenuntergang weg und Janine direkt in die Augen: „Von euch dreien… bleibt jetzt nur noch eine übrig.“ Ich sah, wie es innerhalb weniger Momente sehr kräftig in ihr ratterte und bemerkte in ihrem Gesicht, wie sie plötzlich verstand.
Ich schaute einige Sekunden in Richtung Sonnenuntergang und wusste instinktiv, was nun als Antwort kam: „Ich habe irgendwie damit gerechnet, Marc. Ich habe mir über mehr als Freundschaft einfach bisher keine Gedanken gemacht. Du bist mein absolut bester Freund. Es ist einfach toll, wenn wir zusammen Zeit verbringen. Ich unternehme gerne viel mit dir. Aber ich habe bisher einfach nicht über Beziehungen und so nachgedacht.“ Es schmerzte heftig. Der Schmerz war ein anderer als bei meinen Eltern damals, aber die Intensität war vergleichbar. Ich hatte direkt eine Träne im Auge, die ich versuchte, zu unterdrücken. Ich schaute weiter stur in Richtung Sonnenuntergang und sagte: „Ok, dann weiß ich Bescheid. Entschuldige, wenn ich dich damit womöglich schockiert habe oder so.“ – „Hey, das hast du doch nicht! Mach dir keine Gedanken. Es wird sich nichts ändern, versprochen.“ – „Wirklich?“ – „Klar, was soll sich denn ändern? Alles ist genauso wie sonst.“ – „Danke.“ Wir standen noch einige Zeit nebeneinander, in der wir allerdings viel schwiegen, bis wir noch einen kleinen Spaziergang zum Abschluss machten, bei dem unser Gespräch völlig verkrampft war. Wir umarmten uns zur Verabschiedung, nachdem ich mit ihr auf den Bus gewartet hatte und ich spürte sofort: Das Besondere, das wir in allen Momenten hatten, war direkt weg. Auch wenn Janine betonte, dass sich nichts ändern würde, wurde mir allein in der Szene danach klar, dass das ganze Gegenteil der Fall sein würde.
Janine und mein Blick trafen sich, als sie im Bus an mir vorbeifuhr und definitiv sah, dass ich nochmal in Richtung Park zurückging, auch wenn die Sonne bereits untergegangen war. Ich wusste, dass ich noch nicht nach Hause kannte, dafür wurde mir zu sehr der Boden unter den Füßen weggezogen… Kaum, dass ich die ersten Meter im Park zurückgelegt hatte, bekam ich eine Nachricht von Janine: „Hey, was ist los? Warum bist du zurück zum Park gegangen?“ Diese Nachricht schnürte mir die Kehle zu, sodass ich ihr darauf keine Antwort gab, auch wenn sie sehen konnte, dass ich ihre Nachricht gelesen hatte. Ich spazierte eine Weile durch den Park weiter und setzte mich auf eine Parkbank, auch wenn es mittlerweile ziemlich kühl war. Mir gingen all die vielen Momente mit Janine durch den Kopf und es tat mir einfach so fürchterlich weh, dass ich sogar anfing, zu weinen. Ich hatte so viel Nähe mit Janine, die sie offenbar einfach als normal erachtete. Aus Gesprächen mit Tim wusste ich zum Beispiel, dass bei weitem nicht jede Frau solch eine Nähe mit einem Mann zuließ, aber offenbar zählte Janine leider wohl zu denen, die es als normal erachteten. Vor allem die gemeinsamen Übernachtungen, in denen sie jedes Mal sehr nah an mir lag und teilweise mit mir kuschelte, brachten meine Gefühlslage durcheinander. Tim hatte mir von einigen Frauen erzählt, bei denen er das Pech hatte, dass er als bester Freund angesehen wurde und damit nie mehr eine Chance hatte. Vielleicht war ich einfach zu feige, ich Idiot. Die berühmt-berüchtigte Friendzone hatte mich nun auch erwischt.
Ich saß bestimmt noch fast zwei Stunden in dem Park, obwohl es nach einer Stunde bereits anfing, kräftig zu regnen. Es interessierte mich nicht. Meine Tränen gingen in dem Regen unter, zumal in dem dunklen, kaum beleuchteten Park um die Uhrzeit keiner mehr unterwegs war. Nur widerwillig zwang ich mich dazu, nach Hause zu gehen. Ich zog mir trockene Sachen an und ging letztlich auf den Balkon, von dem ich unsere Straße beobachtete, auf der nichts los war. Petra war wieder nicht zu Hause. Ich wusste, dass ich mich nicht würde ablenken können. Noch richtig nach draußen wollte ich auch nicht, sodass der Balkon dank Sitzbank und Vordach ein probates Mittel war. Ich saß dort auf dem Balkon mehrere Stunden, weil mich dieser verbale Niederschlag nicht in Ruhe ließ. Ich bekam nicht in meinen Kopf hinein, dass Janine wirklich nicht mehr als nur einen Kumpel in mir sah. Bei allem Ankuscheln ihrerseits, sei es in der U-Bahn, als sie zum Trösten hier bei mir war oder beim Gruselfilm, aber auch bei diesen ständigen Küssen auf die Wange und der eine, der nah am Hals war, konnte sie mir doch nicht sagen, dass sie nichts gefühlt hat? Ich war der Einzige, bei dem sie solch ein intensives Verhalten zeigte, auch bei den anderen aus der Klasse, die sie so mochte, hielt sie immer ziemlich deutlichen Abstand. Nur mir brachte sie solch eine Nähe entgegen… aber das war für sie nur freundschaftlich?