Kapitel 61

Ungebunden

Am nächsten Tag war wieder Schule. Während ich mich durch meinen langen Schultag kämpfte, lief ich Julia über den Weg. Sie umarmte mich direkt zur Begrüßung und fragte: „Hey, na, hast du noch lange am Sonntag geschlafen?“ – „Bis 12 Uhr ca. Ich war ziemlich fertig. Und du?“ – „Ich bin erst um 16 Uhr wach geworden.“ – „Oha, was? Warum das?“ – „Keine Ahnung. Ich glaube, weil ich die Tage zuvor durch die Schule schon so wenig geschlafen habe. Ich hatte letzte Woche richtig viel zu tun.“ – „Ui, warum das? Hast du noch so viele Hausaufgaben bekommen? Es sind ja nur noch wenige Tage bis zu den Ferien.“ – „Ja, ich weiß auch nicht, warum die jetzt noch so übertreiben müssen.“ – „Na ja, wir haben es ja fast geschafft. Ich freue mich sehr auf die Ferien.“ – „Ich auch! Fährst du mit deiner Tante weg?“ – „Nein, dafür fehlt doch irgendwie das Geld. Ich war schon froh, dass sie so lieb war und mir den Großteil der Kursfahrt bezahlt hat. Aber vielleicht fahre ich allein ein paar Tage weg, ich habe selbst auch ein bisschen was gespart. Es wäre auf jeden Fall cool, noch etwas herumzukommen. Ich muss dringend etwas rauskommen.“ – „Oh, das geht mir auch so! Aber da wird doch die Kursfahrt nächste Woche schon super!“ – „Das stimmt, ich freue mich darauf. Fahrt ihr denn in den Ferien weg?“ – „Nicht als Familie. Das geht uns auch so, dass uns Geld fehlt. Ich habe aber durch meinen Nebenjob ein bisschen sparen können, vielleicht kann ich sogar zwei Wochen Urlaub daraus machen, wenn ich ein gutes Angebot finde.“ Ich bemerkte im Augenwinkel, dass Janine an mir vorbeiging und das Gespräch zwischen Julia und mir mitbekam.

„Das wäre ja mega gut, wenn du so lange wegfahren könntest. Hast du denn Ziele, wohin es gehen sollte?“ – „Weiß noch nicht, auf jeden Fall ein Land, wo es wie hier gerade auch möglichst warm ist.“ – „Hehe, kann ich verstehen.“ Sie nannte mir einige Nachbarländer und wir grübelten gemeinsam, was sich für sie denn lohnen könnte, als wir plötzlich die Schulklingel hörten. „Oh Mist, ups, wir sind spät dran. Bis später!“, rief sie mir zu, während ich schon direkt vor meinem Unterrichtsraum stand und einfach nur hineingehen musste. Als ich mich auf meinen mittlerweile gewohnten, neuen Platz setzte, schaute ich in einem günstigen Moment zu Janine. Sie hatte Tränen in den Augen, das sah ich selbst aus einigen Metern Entfernung. Mir tat das leid, sie dort leiden zu sehen, gleichwohl musste sie früher oder später damit leben, dass ich eine neue Freundin haben konnte. Sollte es also noch in meiner Zeit an dieser Schule dazu kommen oder es womöglich eine Frau aus dem Jahrgang sein, war es halt so.

Die nächsten Tage vergingen ohne weitere Vorfälle. Julia und ich sprachen im Verlauf der Woche zwei weitere Male in den Pausen und ich war mir sicher, dass sie Interesse an mir hatte. Auf eine gewisse Art und Weise fand ich mein neues Singleleben auch wirklich sehr angenehm, weil es ganz spannend war, mit Frauen aus meinem Jahrgang intensiver ins Gespräch zu kommen.

Tim erzählt:

Ich war überrascht davon, wie der Spieleabend vom Samstag ausging. Dass Julia so offensichtlich mit ihm flirtete, behagte mir nicht, weil ich nicht wusste, ob sie das wirklich ernst meinte oder nur mit ihm spielte, vielleicht auch als Rache dafür, dass er sie damals hatte abblitzen lassen. Im Jahrgang hatte ich verschiedene Meinungen über sie gehört, auch wenn die Meinung, dass sie sich menschlich durch ihre erste richtige Beziehung zum Guten verändert hatte, am meisten vertreten wurde. Was ich viel problematischer fand, war, dass die anderen vom Spieleabend natürlich voll mitbekamen, wie gut sich die beiden an diesem Abend verstanden und auch, dass sie unglücklicherweise als letzte im Nachtbus auf dem Nachhauseweg saßen. Ich bekam daher sehr schnell schon am Montag und Dienstag der nächsten Woche mit, dass einige im Jahrgang über die Verbindung zwischen Julia und Marc sprachen. Es verbreitete sich zwar nicht wie ein Lauffeuer, weil ja nicht wirklich was passiert war, aber zumindest wurde trotzdem darüber gesprochen. Ich fand das vor allem deshalb problematisch, weil ich Janine eigentlich noch so gut es geht schützen wollte. Aber diese Möglichkeit hatte ich jetzt nicht mehr, sodass sie in meinen Augen viel zu früh mit diesen Themen konfrontiert wurde. Ihr ging es einfach auch weiterhin sehr schlecht und sie litt weiterhin sehr unter der Trennung. Janine bekam am Mittwoch vom letzten Wochenende mit und suchte direkt in einer der großen Pause das Gespräch mit mir. „Ist Marc mit ihr zusammen?“, überfiel sie mich, bereits mit Tränen in den Augen. „Nein, ist er nicht. Die beiden haben sich einfach gut verstanden beim Spieleabend.“ – „Was bedeutet das?“ – „Ich weiß es nicht, Janine.“ – „Stimmt es, dass sie sich an ihn herangemacht hat?“ – „Sie hat ein bisschen mit ihm geflirtet, ja. Aber er ist nicht wirklich darauf eingegangen. Man merkt halt, dass er weiterhin mit eurer Trennung beschäftigt ist.“ – „Was kann ich machen?“ – „Du kannst nichts machen. Wie willst du dazwischen gehen? Egal, was du jetzt machen würdest, alles wird negativ auf dich zurückfallen.“ – „Aber ich muss doch irgendetwas machen können?“ – „Nein, ich wüsste wirklich nicht, was. Konzentriere dich auf dich selbst und versuche wieder Struktur in dein Leben zu bekommen. Nur so sehe ich eine Chance zwischen Marc und dir.“ – „Das sagt sich so einfach, wenn es einfach weiterhin so stark schmerzt und jetzt diese Schlampe auch noch dazwischenkommt!“ – „Pssst, hey, nicht so laut. Es bringt auch nichts, wenn du einen Kleinkrieg im Jahrgang anfängst. Das macht es alles nur noch schlimmer, glaube mir.“ Ihr flossen die Tränen wieder runter, auch wenn sie diese direkt versuchte, in einem Taschentuch zu verstecken. Ich umarmte sie, um sie etwas zu beruhigen. „Kannst du irgendwie verhindern, dass sie zusammenkommen?“, fragte mich Janine. „Ich tue schon mein Möglichstes, Marc davon zu überzeugen, dass jetzt eine Beziehung anzufangen, zu früh ist. Mehr kann ich nicht tun, Janine. Er macht, was er will. Das hat er mir auch erst beim Spieleabend gesagt.“ – „Ach man… Scheiße ey!“ Sie tat mir echt leid, trotz des Mistes, den sie verzapft hatte. Ich war harmoniebedürftig und wünschte mir natürlich, dass die beiden wieder zusammenkamen oder alternativ, dass sie sich absolut friedlich trennten und eine gewisse Stabilität zwischen ihnen wiedereinkehrte. Mich stresste der aktuelle Zustand sehr.

Janine musste weiter zu ihrem nächsten Unterricht und versuchte, ansatzweise die Fassung zu bewahren. Ich schrieb Anna eine kurze Nachricht, in der ich mich leicht darüber auskotzte, wie sehr mir die Situation zwischen Marc und Janine auf die Nerven ging. Sie antwortete mir glücklicherweise direkt, da sie offenbar auch gerade Pause hatte und sagte mir, dass sie froh war, mich als ihren Partner zu haben, weil sie es immer wieder toll fand, wie ich mich um meine Freunde kümmerte. Damit baute sie mich etwas auf, bis auch mein nächster Unterricht weiterging. Nur fiel mir direkt zu Stundenbeginn das nächste wirkliche Problem auf: Wir alle – Janine, Marc, Julia und ich – waren alle auf der gleichen Kursfahrt und verreisten gemeinsam!

Marc erzählt:

Mir wurde erst am Mittwoch bewusst, dass ich mehrere Tage am Stück mit meiner Exfreundin zusammen verbringen musste. In der nächsten Woche stand unsere Kursfahrt an, für die wir ein paar Monate zuvor extra mehrere Lehrer beknieten, sodass Janine und ich gemeinsam auf einer Fahrt sein konnten. Normalerweise war es vorgesehen, dass man mit einem seiner beiden Leistungskurse wegfuhr, sofern man wollte, aber da Janine und ich komplett unterschiedliche Leistungskurse gewählt hatten, überredeten wir gleich mehrere Lehrer, sodass ich mich bei Janines Kursfahrt anschließen konnte. Auch Tim rutschte über diese Ausnahme in die Kursfahrt von Janines Leistungskurs, weil wir drei auf eine tolle gemeinsame Zeit gehofft hatten. Dass Janine und ich vorher getrennt sein würden, hatte natürlich keiner von uns geplant… Ich überlegte am Mittwoch und auch am Donnerstag lange, ob ich überhaupt auf die Kursfahrt mitgehen sollte. Ich befürchtete, dass diese Tage die Hölle werden konnten und gleichzeitig wollte ich auch nicht, dass Janine womöglich eine furchtbare Zeit hatte, weil sie die ganze Zeit auf mich traf… Gerade nach dem merkwürdigen Spieleabend vom Wochenende und dem Spieleabend, der am kommenden Samstag noch bevorstand, wusste ich erst recht nicht, wie das alles werden sollte, weil Julia in Janines Englischleistungskurs war und sie ebenfalls auf die Kursfahrt mitfuhr, wie sie mir beim Spieleabend bereits erzählt hatte.

Da Petra und ich aber schon die Fahrt weit im Voraus bezahlt hatten und ich nicht darauf verzichten wollte, ein paar Tage rauszukommen, nahm ich es halt hin, dass Janine mit dabei war. Abgesehen davon wusste ich auch nicht, ob Janine wirklich mit dabei war. Wenn es ihr weiterhin so schlecht ging, traute ich ihr auch zu, nicht mitzufahren, um nicht noch mehr zu leiden. Andererseits konnte man erst recht erwarten, dass sie mitfuhr, einfach nur, um die theoretische Chance zu haben, mehr in meiner Nähe sein zu können… Ich nahm mir aber vor, sie maximal auf Abstand zu halten, um das alles nicht noch schlimmer zu machen.

Der Samstag stand bevor und ich spürte bereits am Morgen, dass ich richtig gute Laune hatte. Julia kündigte schon an, das Spiel von letzter Woche wieder mitzubringen. Tim schrieb mir morgens, dass er leider nicht mit dabei sein konnte, weil es ihn mit Erkältung niederstreckte und er alles daransetzte, bis zur Kursfahrt nächste Woche irgendwie ein bisschen fit zu werden, damit er die Fahrt nicht absagen musste. Mittags schrieb mir Julia: „Hast du Lust, mich abzuholen, sodass wir gemeinsam fahren?“ – „Klar. 20 Uhr?“ – „Was dagegen, wenn wir uns schon 18 Uhr treffen?“ – „Hast du Angst, dass wir drei Stunden für den Weg brauchen? Oder willst du mich verzaubern, damit ich genauso wie du Lehrer werde?“ – „Genau das habe ich vor. Die Verzauberung dauert aber zwei Stunden, dafür muss ich dich, solange es geht, hierbehalten. Ich habe einfach gedacht, dass wir noch ein Weilchen quatschen können und ich mich dabei fertig mache. Nur, wenn du Lust hast.“ – „Klingt gut, machen wir. Wir können nachher auch noch die Zeit nutzen, ein bisschen Knabberzeug und Getränke für den Spieleabend zu holen. Brauche ich somit nicht vorher zu machen.“ – „Genau, perfekt. Ich habe auch noch nichts gekauft. Bis später!“ Ich packte in der Zeit, die ich noch hatte, entspannt meine Reisetasche für die Kursfahrt. Mit ziemlich guter Laune fuhr ich zu Julia und musste dafür wieder zu Fuß an Janines Zuhause vorbei. Es tat zwar immer wieder weh, wenn ich an das alles dachte, aber von Tag zu Tag wurde es etwas besser. Die zusätzliche Ablenkung mit Julia war sicherlich auch förderlich. Ich genoss es einfach, gerade unkompliziert mit einer Frau etwas Spaß zu haben und dabei größeres Interesse zurückzubekommen.

Als ich vor der Tür von Julias Wohnhaus stand, bemerkte ich, dass ich schon seit weit über anderthalb Jahren nicht mehr in dieser Wohnung war. Mir war ein wenig mulmig, vor allem auch, falls ich auf ihre Eltern treffen sollte, die mich damals schon kennenlernten. Ich fragte mich, was diese wohl dachten, wenn ich nun diese Wohnung wieder betreten würde. „Versuchen sie wieder zusammenzukommen? Spielt Marc mit ihr? Sind sie nur Freunde?“ All diese Gedanken gingen mir durch den Kopf, nachdem ich geklingelt hatte und mit dem Aufzug bis ganz nach oben fuhr. Julia öffnete mir die Wohnungstür und war umwerfend sexy. Im Vergleich zur letzten Woche, in der sie wirklich unscheinbar war, provozierte sie heute mit ihrem Outfit sehr. Es war definitiv elegant, ohne Frage, aber gleichzeitig zeigte sie auch nicht gerade wenig Haut. Für einen kurzen Moment war in mir die Lust auf Sex erstaunlich groß, aber dieses Gefühl vertrieb ich direkt wieder. Ich umarmte sie zur Begrüßung und drückte sie ziemlich fest. Sie gab mir erneut einen Kuss auf die Wange und ließ mich in die Wohnung. „Meine Familie ist an diesem Wochenende komplett ausgeflogen.“ – „Ach, cool.“ Damit hatten sich meine ganzen unnötigen Gedanken schnell erledigt. „Schau, hier hat sich einiges verändert.“ Sie führte mich durch die Wohnung und sie hatte Recht, es wurde in der Zwischenzeit kräftig umgebaut. Auch ihr Zimmer sah gänzlich anders aus. War es damals noch viel verspielter, wirkte es nun viel erwachsener und reifer. Ich mochte den Farbstil ihres Zimmers wirklich sehr. Es war sehr schlicht, aber elegant, wenig aufdringliche Farben und Muster. Dafür passte einfach gefühlt fast alles in ihrem Zimmer farblich zusammen. Witzigerweise passten ihre Möbel sogar in diesem Moment auch zu ihrem Outfit, da der Farbton ein sehr ähnlicher war.

Julia verfrachtete mich auf die kleine Couch in ihrem Zimmer und schminkte sich an ihrem Schminktisch. „Ich hoffe, es ist ok für dich, wenn ich mich parallel ein bisschen noch fertig mache?“ – „Nö.“ Sie schaute mich verdutzt an und ich kicherte. „Wie kannst du dabei so ernst bleiben?“, fragte sie mich schmunzelnd und widmete sich wieder ihrer Schminke. „Ach, das ist einfach Übung. Ich bin in den letzten Jahren immer schlagfertiger geworden.“ – „Das bemerke ich. Ich finde, du bist noch viel selbstbewusster geworden. Als ich dich letzten Samstag beim Spieleabend erlebt habe, war ich wirklich erstaunt. So kannte ich dich gar nicht.“ – „War ich denn wirklich so viel anders im Vergleich zu damals vor über einem Jahr?“ – „Ja, definitiv. Du strahlst eine totale Ruhe aus. Ich habe das voll gespürt. Man merkt, dass du mittlerweile einiges erlebt hast.“ – „Oh ja, das kannst du laut sagen.“ – „Wie ist das für dich, dass Janine bei der Kursfahrt mit dabei sein wird?“ Fuck, genau darüber wollte ich gerade mit Julia eigentlich überhaupt nicht reden. „Na ja, es wird sicher etwas komisch, aber ich werde damit schon zurechtkommen. Ich glaube, für sie wird das viel schlimmer.“ – „Leidet sie sehr darunter?“ – „Ich glaube, dass es ihr gar nicht so schlecht geht.“ Das war eine glatte Lüge, für die ich mich tatsächlich etwas schämte. Auch wenn ich die Trennung eingeleitet hatte, wollte ich nicht, dass es Janine noch schwerer gemacht werden würde, weswegen ich zu solchen kleinen Notlügen griff. „Sie sieht zumindest aktuell nicht gut aus.“, sagte Julia mir erstaunlich mitfühlend. „Ja, das ist mir auch schon aufgefallen.“ Sie schminkte sich einige Momente weiter und ich sagte wirklich sehr ehrlich zu Julia: „Hör mal.“ – „Mhm?“ – „Ich würde vorschlagen, dass wir das Thema Janine eher rauslassen, weil ich gerne damit abschließen möchte. Abgesehen davon möchte ich nicht den gleichen Fehler wie damals machen, bevor ich mit Janine zusammenkam.“ – „Du meinst…“ – „Ja, genau.“ – „Ist das für dich also hier gerade so etwas wie ein Date?“ Ich schmunzelte und sie schaute vergleichsweise ernst. „Lass mich kurz nachdenken, du lädst mich zu dir ein, zwei Stunden vorher schon hier zu sein, ich bin hier bei dir, wir sind nur zu zweit, ich habe dich letztens nach Hause gebracht, du gibst mir einen Kuss auf die Wange und ich spüre, dass du mit mir flirtest.“ – „Wow, das war eine direkte Ansage.“ – „Du suchst deutlichen Körperkontakt zu mir und wir haben die ganze Zeit am letzten Samstag herumgealbert. Ich würde sagen: Ja, wir haben ein Date.“ – „Und was sagst du, wenn das alles nur freundschaftlich gemeint ist?“ – „Dann kann ich damit genauso gut umgehen. Aktuell freue ich mich einfach darüber, dass wir so locker und so gut wieder miteinander klarkommen, und der Rest ergibt sich. Oder eben auch nicht und das wäre auch völlig okay.“ – „Das meine ich mit selbstbewusst. So warst du früher nicht.“ Sie grinste plötzlich über beide Backen und wusste tatsächlich nicht, was sie sagen sollte. „Was ist denn jetzt? Plötzlich sprachlos?“ Ich fühlte mich tatsächlich etwas überlegen, ein ungewohntes Gefühl. „Klingt gut. So machen wir das. Lass uns einfach schauen, wie das wird.“ Sie schminkte sich noch kurz weiter und war ein wenig mehr als am letzten Samstag geschminkt, aber für ihre Verhältnisse von früher immer noch wirklich wenig und recht dezent.

„Ich will einfach nur vermeiden, dass du genervt davon bist, falls ich immer wieder an Janine oder so denke, wenn wir Zeit miteinander verbringen. Ich brauche sicherlich noch Zeit, bis das alles mit Janine abgeschlossen ist.“ – „Ich habe dich schon verstanden. Ich finde es gut, dass du so ehrlich bist. Das geht mir nicht viel anders. Meine Trennung ist ein bisschen länger her, aber manchmal gehen mir auch noch Gedanken durch den Kopf. Sei du also auch bitte nicht böse, wenn mich das beschäftigen sollte.“ Ich streckte ihr eine Faust entgegen, da sie in der Nähe von mir stand und sagte: „Zeit genießen und was unternehmen? Deal?“ – „Deal!“ Sie stieß ihre Faust gegen meine und spielte völlig übertrieben, wie sie bei unserem Handkontakt davon zurückgeschleuderte wurde. Ich musste herzhaft lachen.

„Und was machen wir, wenn uns doch das Thema rausrutscht?“, fragte sie mich, als sie sich nah neben mich auf die Couch setzte. „Dann sprechen wir einfach darüber und das ist okay. Irgendwann spricht man doch eigentlich immer über das, was man bisher so erlebt hat, oder?“ – „Das stimmt.“ – „Mir war halt nur wichtig, dass du nicht wie damals denkst, dass ich jetzt die ganze Zeit an Janine hänge oder so, weil mir das sicher immer wieder hochkommen wird.“ – „Ich habe dich schon verstanden“, sagte sie und legte ihre Hand auf meinen Arm. „Wir haben jetzt ja auch eine ganz andere Situation als damals.“ – „Damit hast du Recht.“, schloss ich das Thema damit ab.

Die Geschichte wiederholte sich: Genau wie damals zeigte mir Julia verschiedene neue Interpreten, die sie in den letzten Monaten gehört hatte. Wir teilten uns dabei ihre Kopfhörer und Julia nutzte die Gelegenheit, sich direkt an mich anzulehnen. Sie kuschelte sich zwar nicht sehr nah an mich heran und ich legte auch nicht ihren Arm um sie, aber wir genossen es in diesem Moment einfach, Körperkontakt auszutauschen. Ihren Musikgeschmack fand ich wie damals faszinierend, weil er auch weiterhin gänzlich anders als meiner war. Mir wurde in dieser Zeit mit Julia bewusst, dass ich mich in den letzten Monaten so gar nicht mehr mit Musik beschäftigte. Eigentlich liebte ich gleich mehrere Bands sehr, aber irgendwie waren die Monate und Tage so an mir vorbeigezogen, dass ich gewisse Hobbys gar nicht mehr wirklich ausübte. Nachdem mir Julia ihre Musik zeigte, hörten wir in verschiedene „meiner“ Bands rein. Ich bemerkte dabei ganz überrascht, dass von mehreren Interpreten neue Alben herausgekommen waren, in die ich mit Julia direkt auch reinhörte. „Ich finde es immer noch cool, dass du so auf Rock und Metal stehst.“ Sie schaute mir dabei wieder direkt in die Augen und von einem Moment auf den anderen spürte ich, wie es deutlich knisterte. Ich ließ bewusst ein, zwei Sekunden mehr vergehen bei meiner Antwort und sagte: „Na ja, ich kann dir nicht genau sagen, warum, aber wenn ich die Gitarren und härteren Töne höre, entspannt mich das irgendwie oft sehr. Aber jeden Tag und die ganze Zeit könnte ich das auch nicht hören.“ – „So geht es mir mit meinen Bands auch! Ich brauche auch immer wieder Abwechslung dabei.“ Sie schaute mir wieder intensiv in die Augen und unterbrach diesen Moment kurz danach selbst, indem sie aufstand und zu mir sagte: „Wollen wir los? Damit wir noch in Ruhe ein bisschen was für den Abend kaufen? Wollen wir direkt danach hinfahren?“ – „Klingt gut. Ja, noch extra hierherkommen, wäre wirklich ein Umweg.“ Ich sprang von ihrer Couch auf und zog mir im Flur meine Schuhe an, während sie noch ein paar letzte Dinge in ihre Tasche steckte. Anschließend legte sie vorsichtig ihre Hände auf meine Schultern und schob mich ein wenig zur Seite, damit sie an mir vorbeikonnte, um an ihre Schuhe zu gelangen. Auch wenn das völlig harmlos war und rein gar nichts bedeutete, war ich fasziniert davon, wie selbstverständlich sie Körperkontakt zwischen uns herstellte.

Julia zog sich flache Schuhe an und mir fiel erst, als sie neben mir stand, auf, dass sie fast genauso groß wie ich war. Offenbar war sie in den letzten Monaten noch ein wenig größer geworden. Ich fand das ganz cool, dass sie von ihrer Körpergröße her fast auf meiner Höhe war. Wir liefen gemütlich zu einem weiter entfernten Supermarkt und hatten beim Herumalbern immer wieder Körperkontakt. Das ging so weit, dass ich kurzfristig meinen Arm um ihre Hüfte legte, um sie näher an mich heranzuziehen. Ich genoss das einfach in diesen Momenten sehr und spürte, wie sehr ich körperlichen Kontakt in dieser Form vermisste. Mir war gleichzeitig aber auch wichtig, unseren Körperkontakt nicht zu sehr zu übertreiben, sodass ich nach einigen Sekunden unsere Verbindung auch wieder löste und wir einfach nah nebeneinander wieder herliefen… bis wir uns wieder ärgerten und das Ganze von vorne losging.

Selbst im Supermarkt blödelten wir die ganze Zeit herum und gingen dem Kassierer dabei sicherlich gehörig auf die Nerven, auch wenn er irgendwann schon mitlachen musste, weil Julia und ich nur noch am Lachen waren. Wir hatten, während wir unsere Artikel zusammensuchten, einfach die ganze Zeit Quatsch gemacht und schmissen uns vor Lachen so richtig weg, sodass ich schon leichte Bauchschmerzen bekam. Weil ich so gute Laune hatte, bezahlte ich Julias Dinge einfach mit, auch wenn sie mich einmal daran hinderte, indem sie den Warentrenner zwischen unseren Sachen stellte. Sie war da sehr eigenständig und gab mir zu verstehen, dass das eine Ausnahme war, dass ich ihre Sachen mitbezahlte. Sie wollte das einfach sehr fair halten und sagte mir gleich, dass sie beim nächsten Mal meinen Einkauf mitbezahlte. Ich empfand das als absolut fair und war erstaunt, wie vehement sie darauf achtete, diese Dinge getrennt zu halten.

Wir fuhren mit dem Bus und kaum, dass wir uns setzten, schaute mir Julia wieder intensiv in die Augen. „Hattest du auch das Gefühl, dass der Verkäufer vermutlich dachte, dass wir zusammen waren?“ – „Ich war mir auch sicher, dass er das geglaubt hat. Das hat aber vermutlich jeder im Laden gedacht, dass wir zusammen sind. Unser Lachen hat vermutlich einfach jeder mitbekommen.“ – „Ich weiß auch nicht, wann ich das letzte Mal so sehr lachen musste. Mir ist dadurch richtig warm geworden!“ Ich grinste und schaute ihr weiter in die Augen, es knisterte wieder gewaltig. Sie zückte plötzlich ihr Smartphone und schaute auf eine Nachricht, die sie bekam. Nach wenigen Sekunden verzog sie ihr Gesicht. „Ist was?“, fragte ich vorsichtig. „Mein Exfreund.“ Ich schwieg und schaute woanders hin, weil sie ihm eine Antwort zusammentippte und ich nicht zu neugierig sein wollte. Nach einigen Sekunden stieß sie mich von der Seite an und meinte: „Du sagst ja gar nichts mehr!“ – „Ach, na ja, ich wollte nicht zu neugierig sein und dir kurz die Zeit lassen, vernünftig antworten zu können.“ – „Alles gut. Er schrieb mir nur, dass er noch ein paar Dinge von mir bei sich zu Hause gefunden hat, obwohl wir dachten, dass wir schon alles ausgetauscht hatten. Er fragt mich, wann ich Zeit habe, damit wir die Dinge austauschen können. Er will das ungern in der Schule machen.“ – „Das klingt sehr fair.“ – „Ja, aber es nervt mich irgendwie. Ich möchte endlich, dass da ein bisschen mehr Ruhe einkehrt. Irgendwie habe ich manchmal den Eindruck, dass er diese ganzen Sachen immer wieder absichtlich nutzt, um mit mir weiter intensiv in Kontakt bleiben zu können.“ – „Aber hattest du nicht gesagt, dass ihr in einem guten Verhältnis auseinander gegangen seid?“ – „Ja, sind wir auch, wir verstehen uns auch weiterhin ziemlich gut. Aber ich habe das Gefühl, dass er die Trennung doch nicht so sehr akzeptiert, wie er es bei unserem Trennungsgespräch gesagt hat.“ – „Verstehe. Und wenn du noch mit ihm sprichst, dass vielleicht doch ein wenig mehr Abstand ganz gut wäre? Ihr müsst ja keinen kompletten Kontaktabbruch machen, wenn ihr euch trotzdem gerne habt. Aber zumindest solange, bis es ihm wieder gut geht.“ – „Das habe ich auch schon überlegt. Gute Idee.“ Sie tippte plötzlich ein paar Worte zusammen und ich meinte, ohne ihr Geschriebenes zu lesen: „Ich würde ihm das auf jeden Fall persönlich ins Gesicht sagen. So etwas zu schreiben ist doch nicht so schön.“ – „Stimmt, damit hast du auch wieder Recht. Habe ich nicht so richtig darüber nachgedacht.“ – „Ist ja nicht schlimm, dafür hast du ja mich.“ Ich zwinkerte ihr zu und wir schmunzelten. „Aber nun wirklich genug von diesem Thema.“, sagte sie. Ich nickte und sagte: „Alles ganz in Ruhe. Was wir vorhin gesagt haben. Wir werden so oder so mit den Dingen zu tun haben.“ Wie sehr ich damit noch Recht behalten sollte, zeigte sich in wenigen Tagen bei der Kursfahrt…

Wir kamen beim Veranstaltungsort an und waren direkt die ersten, sodass wir noch freie Platzwahl hatten. Wir blieben bei unseren Plätzen vom letzten Mal und die Gastgeberin freute sich, dass wir so viele Dinge mitgebracht hatten. Wir drei quatschten noch ein paar Minuten und unangenehmerweise bekamen wir direkt die Knallerfrage gestellt: „Seid ihr eigentlich zusammen, ihr beide?“ Julia und ich schauten uns instinktiv direkt in die Augen, danach wieder zur Gastgeberin und ich meinte sehr entspannt: „Nein, sind wir nicht. Wir wohnen nur ziemlich nah beieinander und fahren daher direkt zusammen hierher.“ Meine Antwort reichte völlig aus und war absolut souverän vorgetragen, sodass Julia auch nichts weiter dazu sagen musste und das Thema direkt wieder zu Ende war. Ich ahnte, dass ich mir diese Frage aber sicher noch weit öfter gefallen lassen musste…

Als die anderen nach und nach dazukamen, war wieder diese Magie vom letzten Spieleabend da. Wir spielten uns alle in einen solch gewaltigen Rausch, dass wir wieder Tränen lachen mussten. Julia hakte sich an diesem Abend sehr früh bei mir ein und kuschelte sich im Laufe des Abends immer wieder an mich. Ich spürte, wie ich diese Nähe von ihr immer mehr zuließ, zumal ich ihren Duft an diesem Abend so richtig wahrnahm. Er war sehr markant und zog mich ziemlich an. All diese Eindrücke zusammenkombiniert mit der Unbeschwertheit ließen meine innere Barrikade, keine Frau näher an mich heranzulassen, so langsam zusammenbrechen. Während des Abends stellte ich irgendwann auch einfach fest, dass ich keiner Person mehr eine Rechenschaft schuldig war. Ich war getrennt und konnte nun wirklich wieder tun und lassen, was ich wollte. Klar sollte ich nichts überstürzen, aber ich musste keine Rücksicht auf Janine nehmen. Wer sagte mir, dass sie nicht vielleicht auch schon an jemand anderem Interesse hatte? Ich wusste von Tim, dass sie ganz schön unter der ganzen Situation litt und als derjenige, der die Beziehung beendete, hatte ich ihr gegenüber einen Vorteil, weil ich mich schon vorher ein wenig damit beschäftigte, wie die Zukunft zwischen Janine und mir aussah und dass auch eine Trennung ein früher oder später mögliches Ergebnis sein konnte.

Der Spieleabend ging dieses Mal ein ganzes Stück kürzer, weil wir alle am Montagmorgen zu unseren Kursfahrten aufbrachen und die meisten noch am Sonntag einige Dinge zu erledigen hatten. Um ein Uhr brachen wir auf. Erst, als ich aus der Wohnung trat und auf die anderen wartete, schaute ich kurz auf mein Handy und las eine Nachricht von Tim: „Mach keinen Blödsinn heute. Lass dir Zeit, bevor du wieder jemand nahe an dich heranlässt.“ Tja, zu spät, Tim. Er hatte natürlich Recht, aber diese Unbeschwertheit wollte ich, so gut es ging, ausreizen. Ich antwortete ihm nicht, da die anderen auch direkt aus der Wohnung kamen und wir gemeinsam zum Bus liefen. Wie erwartet stiegen nach und nach alle aus, sodass nur noch Julia und ich im Bus verblieben. Sie setzte sich, nachdem alle den Bus verließen, näher an mich heran und kuschelte sich an. Kurz hatte ich mit mir zu kämpfen – nachdem ich den gesamten Abend über es total wollte, dass sie mir so nah war, hatte ich spontan ein schlechtes Gewissen gegenüber Janine, die von alledem sowieso nichts mitbekam. Ich machte mich direkt wieder locker und legte einfach in einem leichten Überschwang meinen Arm um Julias Schulter, sodass sie sich noch etwas mehr an mich herankuschelte. „Wie fandest du den Abend?“, fragte ich sie. „Dieses Spiel ist einfach der beste Kauf meines Lebens.“ Wir lachten wieder und gingen die verschiedenen Spielrunden durch.

Als wir aus dem Bus stiegen und ich sie nach Hause begleitete, fing es etwa fünf Minuten vor ihrem Zuhause an, so richtig zu schütten. Als es auch noch blitzte und ordentlich donnerte, wusste ich, dass mein Rückweg nicht gerade der angenehmste sein würde. Ich brachte Julia trotzdem noch bis vor die Haustür und wir bemerkten, wie neben dem Regen ein ziemlich kräftiger Sturm aufzog. Die Blitze wurden mehr, das Gewitter war nah. Obwohl ich nicht so sehr Angst vor Gewitter hatte, bekam ich in diesem Moment wirklich Furcht. Julia meinte: „Oh weh, du musst noch nach Hause. Scheiße. Ich fühle mich jetzt so richtig schlecht, dass du mich nach Hause gebracht hast. Wärest du einfach durchgefahren, hättest du es bestimmt noch ziemlich trocken nach Hause geschafft.“ – „Danke, dass du mich daran erinnerst.“, schmunzelte ich und streckte ihr die Zunge entgegen. Sie schmunzelte ebenfalls und meinte: „Möchtest du noch eine Stunde bei mir warten und gehst danach los?“ – „Wäre das denn ok für dich?“ – „Klar. Es ist keiner da. Selbst wenn, darf ich immer jemand mitbringen, wenn ich das möchte.“ – „Danke. Das wäre echt super. Mich stören Regen und Gewitter eigentlich nicht, aber das ist mir jetzt auch echt zu heftig.“ – „Na los, husch nach oben!“ Das traf sich gut, denn wir waren gerade im Hausflur angekommen, als offenbar ein ziemlicher naher Blitz irgendwo einschlug und der Donner so richtig in meinen Ohren klingelte.

Als wir in ihrer Wohnung waren, kribbelte etwas in meiner Magengegend. Ich kannte das Gefühl. Ich hatte es vor allem in den ersten Wochen und Monaten, als ich mit Janine immer näherkam und wenn ich bei ihr beispielsweise zu Besuch war. Kaum, dass wir in Julias Wohnung waren, wuselte sie umher und kam nach ein paar Momenten wieder. Sie legte mir plötzlich ein Handtuch über den Kopf und wuschelte mir durch die Haare. „Hier, du bist von dem Regen schon total nass!“ Ja, ein bisschen feucht war mein Kopf wirklich mittlerweile geworden, aber so schlimm empfand ich das gar nicht. Ich wehrte mich im Spaß dagegen und alberte damit nur noch mehr mit mir herum, weil sie meine Haare unbedingt völlig durcheinanderbringen wollte. Nach ein paar wenigen Minuten, in denen wir viel lachen mussten, meinte ich zu ihr: „So, und jetzt bist du dran! Mal sehen, wie du das findest, wenn ich deine langen Haare völlig durcheinanderbringe!“ Ich setzte schon an und hatte ihre Haare in meinen Händen, als sie mich mit unter anderem Kneifen versuchte, davon abzubringen. Das Duell ging solange, bis sie ihre Finger einfach mit meinen verschränkte. Sie lag auf ihrer Couch, während ich zur Hälfte über ihr war. Wir schauten uns einige Sekunden lang an, diese Momente zogen sich ewig. „Was geht dir durch den Kopf?“, fragte sie ganz direkt. „Ich habe mich gefragt, ob du geküsst werden willst und auch, ob ich das jetzt überhaupt will.“ – „Gut, du hast dich dasselbe wie ich mich gefragt.“ Sie grinste leicht, ich ebenso. „Und was ist deine Antwort darauf?“, fragte ich provokativ. Mein Herz schlug in diesen Momenten ziemlich wild. Wollte ich diese Nähe wirklich? Wie groß war mein schlechtes Gewissen gegenüber Janine wirklich?

„Ich bin mir nicht sicher, ob wir das schon machen sollten. Wir haben uns nur bei den zwei Spieleabenden gesehen und in der Schule.“, sagte sie recht leise. „Das stimmt. Allerdings hindert uns auch keiner an irgendwas. Wir sind Singles und müssen uns für nichts schämen.“ – „Punkt für dich.“ Wir schauten uns erneut einige Momente lang in die Augen und Jani… Julia sagte: „Wow, ich habe vermutlich noch nie so langen und intensiven Blickkontakt mit einem Mann gehabt, ohne, dass dabei etwas passiert ist.“ – „Das habe ich auch noch nicht so oft erlebt.“ Ich wurde mutiger, löste unsere verschränkten Finger und strich ihr mit dem Zeigefinger über die Wange. Gerade, als ich mit meinem Zeigefinger über ihre Lippe strich, und ich beobachtete, wie Julia ihre Augen schloss, schlug ein weiterer Blitz wirklich nah ein und der Donner erschreckte sowohl Julia als auch mich so sehr, dass wir es schafften, mich von der Couch regelrecht hinunterzuwerfen. Ich landete ziemlich unsanft auf dem Boden, der Gott sei Dank mit Teppich ausgelegt war. Julia schaute direkt nach unten zu mir und fragte besorgt: „Ist alles in Ordnung?“ Ich rieb mir meine Ellenbogen, auf die ich unter anderem gelandet war und meinte: „Ist alles gut. Aber du hast ganz schön Kraft, mich so leicht herunterzukegeln.“ – „Danke. Ich habe mich einfach fürchterlich erschreckt. Das Gewitter ist echt übel.“ – „Ich bin einfach nur froh, dass ich da jetzt nicht raus muss. Ich will mir nicht vorstellen, wie es mir jetzt wohl gehen würde, wenn ich jetzt nach Hause laufen müsste. Selbst an der Bushaltestelle möchte ich jetzt nicht stehen, auch unter dem Wartehäuschen nicht. Das Gewitter muss ja gerade fast drüber über uns sein.“ – „Ja, das ist echt übel.“ Julia hielt mir ihre Hände hin, um mich nach oben zu ziehen. Ich setzte mich wieder zu ihr auf die Couch, da auch Julia sich wieder aufgerichtet hatte. Sie griff nach ihrem Smartphone und schaute sich die Regenprognose für die nächsten Stunden an. „Ich habe, glaube ich, keine guten Nachrichten…“ – „Ich erahne, was du mir sagen willst.“ – „Wir haben bis morgen früh um acht Uhr Gewitterwarnung. Scheiße.“ – „Ja, das ist wirklich Mist.“ – „Was willst du machen? Ich glaube, bis acht Uhr halte ich zumindest nicht durch.“ – „Das hältst du nicht durch? Ich bin ja enttäuscht.“ Wir schmunzelten und sie sagte: „Möchtest du einfach bis morgen Vormittag oder Mittag hierbleiben und übernachten? Meine Eltern kommen erst abends wieder.“ – „Wäre das wirklich okay für dich?“ – „Ja, na klar. Bei dem Wetter lasse ich dich jetzt nicht nach Hause fahren.“ – „Die Sorge kann ich verstehen. Wo kann ich denn schlafen? Kann ich mich im Wohnzimmer hinlegen?“ Sie kicherte. „Nein, da ist kein Platz. Aber neben mir auf meinem Bett ist Platz.“ Ich zog meine Augenbraue hoch und schmunzelte. Sie fragte: „Oder willst du im Wohnzimmer schlafen?“ Genau bei dieser Frage drifteten meine Gedanken für einen kurzen Moment weg, weil ich mich wieder an Janine erinnerte, mit der ich genau das erlebte, als wir noch befreundet waren… „Nö, ehrlich gesagt nicht. Ich wusste halt nicht, was dir vor allem am liebsten ist.“ Meine minimale Verzögerung bemerkte sie aber nicht und lächelte. „Abgesehen davon ist mein Bett auch einfach groß genug.“, schob sie noch nach.

Wir machten uns bettfertig und ich schlief einfach in der Kleidung, die ich den Tag über getragen hatte. Das störte sie überhaupt nicht, war mir aber irgendwie ein wenig unangenehm, auch wenn ich es mir nicht anmerken ließ. In einer Mischung aus halbem Liegen und Sitzen lümmelten wir in ihrem Bett. Es war trotz Regen und offenem Fenster so warm in ihrem Zimmer, dass wir die Decken nicht brauchten. Sie kuschelte sich recht fest an mich und schaute mit mir auf mein Smartphone, weil wir uns die Bilder anschauten, die ich von den Spieleabenden gemacht hatte. Ich hatte vor allem von unseren Pantomime-Runden so viele Bilder gemacht, sodass es beim Anschauen dieser zwischen Julia und mir enorm knisterte, weil wir intensiv lachten und uns dabei immer wieder direkt tief in die Augen schauten. Da ich nicht genau darauf achtete, wann die Bilder endeten, scrollte ich bei den Bildern weiter und fand plötzlich ein Bild von Janine und mir, wenige Wochen, bevor ich mich von ihr trennte. Es tat in meinem Innern sofort wieder weh und ich schaltete das Display meines Smartphones aus. Julia meinte: „Sorry, das wollte ich nicht, als ich dir vorschlug, die Bilder durchzuschauen.“ – „Ist alles gut. Ich muss die Bilder nur raussortieren.“ – „Willst du die Bilder löschen?“ – „Nein, habe ich nicht vor. Ich hebe sie als Erinnerung auf, aber ich werde sie auf meine mobile Festplatte kopieren, damit ich sie nicht regelmäßig sehe.“ – „Klingt doch gut.“ Sie zückte stattdessen ihr Smartphone und zeigte ihre Bilder von unseren Abenden. Da fiel mir auf, dass Julia ein Talent dafür hatte, die Bilder genau im richtigen Moment zu machen. Auch die Blickwinkel, aus denen sie die Bilder machte, waren unheimlich interessant und ich war fasziniert davon, ihr Talent für diese Dinge entdecken zu dürfen. Wir schauten im Anschluss auf ihrem Smartphone noch eine Folge einer Serie, die wir mochten, und rutschten dabei schon immer weiter runter in den liegenden Zustand, bis sie das Telefon letztlich weglegte und wir uns eine gute Nacht wünschten. Wir kuschelten uns fest aneinander und ich fühlte mich einfach nur unheimlich wohl. Während sie so nah an mir gekuschelt lag, kraulte ich einfach zwischendurch ihren Kopf. „Du machst das richtig gut.“ – „Danke.“ Es war schon wieder total verführerisch, sie zu küssen, aber auch dieses Mal reagierte ich nicht, zumal Julia sich sehr schnell wieder an mich heran kuschelte und wir wirklich zur Ruhe kommen wollten. Nach einigen Momenten griff Julia nach meiner freien Hand und verschränkte ihre Finger mit meinen. Das löste ein irgendwie wohliges Gefühl in mir aus, vermutlich, weil mir solche Nähe einfach so sehr fehlte… Genau in dieser Position schliefen wir letztlich früher oder später ein. Im Verlaufe der Nacht wachte ich zwei weitere Mal auf und stellte jeweils mit einem Lächeln fest, dass wir auch weiterhin in dieser Position schliefen. Unsere Finger hatten wir auch weiterhin verschränkt.

Am nächsten Morgen erwachte ich gegen zehn ein letztes Mal. Julia schlief weiterhin an mir gekuschelt und in mir ratterten die Gedanken wild hin und her. Was tat ich hier gerade eigentlich? Was würde Janine wohl davon denken, wenn sie davon erfuhr? Würde es alles noch schlimmer werden? Oder sollte ich Janine womöglich doch noch eine Chance geben? Ehe ich mir diese Fragen weiter stellen konnte, erwachte Julia, sie war ziemlich müde. Als ich sie leicht von der Seite anschaute und wir so nah weiterhin kuschelten, ging mein Puls irgendwie hoch, weil ich mir intensiv vorstellte, wie es wohl war, Julia zu küssen. Trotz meiner Bedenken wenige Sekunden zuvor fühlte sich dieser Gedanke richtig an. Julia flüsterte leise: „Hey, na. Hast du gut geschlafen?“ – „Ja, richtig gut. Und dass, obwohl wir die ganze Zeit so liegengeblieben sind und uns kein Stück bewegt haben.“ Sie kicherte und meinte: „Wie fühlt sich das für dich an?“ – „Ich fühle mich wohl. Und ich glaube, du fühlst das auch.“ – „Ja, total.“ Wir lagen ein oder zwei Minuten weiter recht still nebeneinander, weil auch ich die Müdigkeit mittlerweile irgendwie wieder spürte. Plötzlich überkam mich wieder das Gefühl, ihre Lippen spüren zu wollen, sodass ich meine Augen öffnete und sah, dass sie auch weiterhin wach war. Sie hatte zum Teil auf ihrem Gesicht die Decke liegen, sodass ich diese einfach aus Spaß vorsichtig wegschob. „Nanu?“, fragte mich Julia leise und schob diese grinsend wieder vor ihr Gesicht. Ich schob ihre Decke wieder weg und meinte: „Ich glaube, irgendetwas stört mich hier.“ Dabei kam ich ihr erneut ein kleines Stück näher. Sie wiederum schob die Decke zurück und wir schmunzelten. Ich bewegte mich wieder ein Stück näher in Richtung ihres Gesichts und wiederholte mich: „Ich glaube, irgendetwas stört mich hier.“ Darauf schob sie vorsichtig die Decke weg und ich rutschte vorsichtig, aber zielgerichtet ihrem Gesicht immer näher. Ohne mit der Wimper zu zucken, näherte ich mich ihrem Mund und küsste sie vorsichtig. Sie ging auf diesen Kuss ein und wir küssten uns sehr vorsichtig. Meine Gefühle sprangen hin und her und ich bemerkte, wie sehr ich es vermisst hatte, einen Menschen zu küssen. Direkt nach unserem Kuss sagte Julia: „Oha.“ – „Was denn?“, fragte ich recht locker. „Das war ein echt geiler Kuss.“ – „Danke? Du warst auch nicht so ohne.“ Sie boxte mir leicht gegen den Arm und meinte: „Du bist voll frech!“ – „Ne. Nur ehrlich.“ Danach bekam ich eine verdiente Tracht Prügel und wir alberten etliche Minuten lang herum. Ihr Bett war völlig durcheinander und zerwühlt. Julia setzte sich zu mir und meinte: „Wollten wir nicht eigentlich vorsichtig sein und warten?“ – „Ja, das stimmt. Aber es fühlte sich einfach richtig an.“ – „Damit hast du auch Recht.“ – „Aber trotzdem hast du Recht, alles ganz langsam. Irgendwie hatte ich einfach total Lust auf diesen Kuss.“ – „Mir hing das gestern auch im Kopf rum.“ Ich schmunzelte und meinte: „Mir auch.“ Nach einigen Sekunden Stille ergänzte ich: „Lass uns einfach weiter so locker Zeit verbringen wie aktuell, ok? Und wir sehen einfach, ob das ernster wird oder ob wir einfach nur eine gute Zeit miteinander verbringen. Ich will vor allem auch erst irgendwie durch die Kursfahrt kommen.“ – „Das verstehe ich. Ja, ganz locker. Und du brauchst keine Sorgen haben, dass ich direkt ins Bett mit dir will.“ Ich schaute sie überrascht an und meinte: „Wie kommst du jetzt darauf?“ – „Ich weiß, dass viele das von mir denken. Ja, vor der Beziehung war ich wirklich noch richtig wild drauf, aber das will ich nicht mehr. Das bin ich nicht mehr. Mir ist das selbst irgendwann einfach zu viel gewesen. Richtig mit jemandem zusammen sein finde ich viel schöner.“ – „Ja, das waren manche meiner Zweifel. Aber ich finde es auch toll, wie du dich verändert hast. Nicht nur ich habe mich also verändert.“ – „Nein, bei mir hat sich vieles verändert. Ich mag mich jetzt so viel lieber als vorher.“ – „Das klingt toll!“

Wir standen kurz danach auf und ich machte mich mit ein paar Dingen von Julia ein bisschen frisch. „Ist es okay, wenn ich nicht noch zum Frühstück bleibe, sondern direkt nach Hause fahre? Ich habe zwar meine Tasche und so für morgen schon gepackt, aber ich würde trotzdem gerne einfach noch ein paar Dinge vorbereiten und so.“ – „Ja, na klar, das ist voll in Ordnung. Ich bekomme gerade auch nicht wirklich was runter, ich esse selten nach dem Aufstehen etwas, meist erst später.“ Ich sammelte daher meine wenigen Dinge zusammen und zog mir im Flur die Schuhe an. Als ich damit fertig war, stand Julia einen größeren Schritt vor mir entfernt und schaute mich intensiv an. Auch wenn ich sie vor wenigen Minuten erst geküsst hatte, war ich mir mit unserer gemeinsamen Nähe noch immer gar nicht so sicher. Ich war verunsichert und sie spürte das auch. Sie kam mir näher und meinte: „Ganz entspannt, das haben wir gesagt.“ Unsere Lippen berührten sich zu ein paar vorsichtigen Küssen. Als wir uns lösten, meinte ich als Bestätigung: „Ganz entspannt. Das war echt toll.“ – „Finde ich auch. Komm gut nach Hause.“ Ich verließ ihre Wohnung und das Wohnhaus und machte mich auf den Weg nach Hause. Mittlerweile war die Sonne wieder draußen und es war ein wolkenfreier Himmel, aber man roch den Regen von der Nacht noch. Ich machte einen Spaziergang bis nach Hause und ließ die letzten Stunden Revue passieren. Ich hatte sie echt geküsst! Mir ging Tims Nachricht durch den Kopf. War das nicht wirklich viel zu früh?

Aber nun konnte ich daran nichts mehr ändern und ich hielt mir wieder vor Augen: Ich war Single und konnte tun und lassen, was ich wollte. Gleichzeitig hatte ich großes Unbehagen vor der nahenden Kursfahrt. Dass ich Julia nun geküsst hatte, konnte natürlich dazu führen, dass sie mich auch auf der Fahrt vielleicht irgendwann küssen wollen würde – oder ich sie.