Eifersucht und Sorge
Die ersten zwei Tage dieser Woche vergingen ohne Besonderheiten. Am Mittwoch sagte Janine mir morgens, nachdem ich sie vom Bus abgeholt hatte: „Die Leute von der Geburtstagsfeier haben mir geschrieben.“ Mir war klar, mein Tag fing miserabel an. Ich entgegnete ihr darauf nichts, sodass sie fortsetzte: „Na ja, die fragen uns, ob wir morgen nicht vielleicht Zeit hätten.“ Auch darauf wusste ich nicht so wirklich, was ich sagen sollte, weil ich auf ein Treffen genauso Lust wie auf den bevorstehenden Schultag hatte – überhaupt keine. Um zum Ende zu kommen, meinte Janine: „Weißt du, sie fragen uns beide, ob wir nicht Lust und Zeit hätten, hinzukommen… Sie scheinen dir also nicht böse zu sein, weil du sie so distanziert behandelt hast.“ Erst in diesem Moment sagte ich: „Na ja, die Zeit hätte ich theoretisch, selbst wenn mir die Lust fehlt. Ich komme mit, wenn du hingehst, aber nur, weil ich den Leuten eine Chance geben und sehen will, wie die sind. Wenn ich denen soweit vertrauen kann, sehen wir weiter.“ – „Das wird schon cool werden. Mach dich locker.“ – „Was ist eigentlich mit der gemeinsamen Zeit, die wir donnerstags immer verbringen? Ich bin eigentlich nicht so richtig einverstanden, dass unsere gemeinsame Zeit dadurch weniger wird.“ – „Ich will ja nicht ewig bei Jeremias und den anderen bleiben, vielleicht so zwei Stunden? Ich würde alle nur gern mehr kennenlernen, wir haben doch trotzdem den Rest des Abends für uns.“ Sie küsste mich und ich spürte, wie fasziniert sie von den Leuten war. Es war und blieb mir ein Rätsel, was sie an den Leuten so toll fand. Ich sollte zumindest Recht behalten: Der Mittwoch wurde durch und durch ein beschissener Tag, weil ich eine relativ schlechte Klausur wieder bekam und irgendwie den ganzen Tag über meine Stimmung nicht so gut war.
Am Donnerstagvormittag war ich selbstverständlich nicht besser gelaunt. Was ich ebenfalls nicht verstand, war die Tatsache, dass Janine sich dafür – ohne zu diskutieren – Zeit nahm und zusätzlich unsere gemeinsame Zeit dafür opferte. Ich sprach Janine nicht noch darauf an, weil ich die Hoffnung hatte, dass sie selbst sah, in welchem Milieu sich die Gruppe zu bewegen schien und in welchem wir uns aufhielten. Es lagen ziemliche Welten dazwischen.
Am Nachmittag fuhren Janine und ich zu Jeremias‘ Wohnung. Nach dem Klingeln wurden wir hineingelassen und ich sah in der Wohnung den Verdacht, den ich bereits beim Anblick des gesamten Hauses hatte: Die Wohnung war ziemlich winzig. Die anderen Leute waren schon da. Ich grüßte alle mit einer Geste gleichzeitig, während Janine zu allen hinging und ihnen die Hand schüttelte und sie die einzige Frau aus der Runde sogar drückte. Ich war überrascht davon, dass Janine sie direkt so mochte, dass sie sie drückte. Wir setzten uns und es entwickelte sich ein langes Gespräch, primär zwischen Janine und dem Rest, bei dem ich vorrangig zuhörte und einzuschätzen versuchte, wie die Leute draufwaren. An diesem Nachmittag trank tatsächlich keiner Alkohol, was ich zumindest schon etwas positiver fand. Allerdings verminderte sich nicht mein Verdacht, dass Jeremias interessiert an Janine war. Um ihm deutlich zu machen, dass er bei Janine keinerlei Chance hatte, zeigte ich die Beziehung zwischen uns umso deutlicher, was meist durch Küsse und Zärtlichkeiten vonstattenging.
Jeremias selbst fragte uns nach einer Viertelstunde, in der wir da waren, ob wir Raucher waren. Als wir verneinten, fragte er uns, ob wir was dagegen hätten, wenn er im gleichen Zimmer rauchen würde, worauf dies Janine verneinte, ich allerdings Einspruch dagegen einlegte, weil ich keine Lust auf den Qualm hatte, zumal er auch in die Kleidung ziehen konnte. Zumindest war Jeremias so nett und ging letztlich auf dem Balkon rauchen, sodass im Wohnzimmer nur sehr wenig hineinzog. Das war aber auch das einzig Positive, was ich ihm bisher anrechnen konnte.
Was den fünfen wahrscheinlich auffiel, war, wie still ich die ganzen zweieinhalb Stunden über war. Meist wurde ich direkt was gefragt, sodass ich eine Antwort darauf gab, aber Fragen stellte ich in der Runde nahezu keine. Janine hingegen fühlte sich pudelwohl und stellte frei heraus – sie war gerne eine Quasselstrippe, wenn sie voll in ihrem Element war – dutzende Fragen, weil sie so neugierig war. Ich konnte nicht behaupten, dass einer dieser Personen unhöflich war, aber primär war halt ihre Mentalität das Problem, mit dem ich zu kämpfen hatte. Zudem war der exzessive Alkoholkonsum eine Sorge meinerseits, die sich garantiert als Falte auf meiner Stirn erkenntlich zeigte. Ich wollte nicht, dass Janine sich davon mitreißen ließ.
Als wir gegen frühen Abend gingen, fragte sie mich: „Mensch, du warst ja die ganze Zeit richtig still, wieso hast du denn nicht einfach auch mitgeredet?“ Mit einem Moment Verzögerung antwortete ich: „Weil ich kein wirkliches Interesse daran hatte.“ – „Aber so kannst du die ja gar nicht richtig kennen lernen!“ – „Wollte ich das bisher jemals?“ – „Du bist gemein!“ – „Ich bin nicht gemein, aber es ist, denke ich, kein Verbrechen, wenn ich kein Interesse an bestimmten Menschen habe. Schließlich interessiert dich ja nun auch nicht gleich jeder Mensch, nur, weil du ihn ein oder zwei Mal gesehen hast.“ – „Ja, das stimmt schon. Aber trotzdem spüre ich, dass du sie nicht magst.“ – „Und das kann ich nicht abstreiten.“ – „Wieso das?“ – „Weil mir ihre Mentalität nicht passt. Die kommen mir so rüber, als wenn sie keinerlei Verpflichtungen hätten und ein halbwegs geregeltes Leben völliger Mist ist.“ – „Na ja, die fühlen sich so halt wohl und kommen damit durchs Leben bisher.“ – „Ja… bisher, du sagst es. Wer weiß, wie es in Zukunft aussehen wird. Es scheint sie gar nicht wirklich zu interessieren, wie ihre Zukunft aussieht, aber ich weiß, wie meine aussieht. Ich möchte sie mit dir verbringen.“ – „Das möchte ich doch auch.“ – „Ich weiß, aber ich mache mir halt Sorgen, dass du, wenn du dich regelmäßiger mit denen triffst, die gleiche Haltung wie sie annimmst. Ich will nicht, dass du genauso bedenkenlos durchs Leben gehst, wie die das bereits tun.“ – „Das werde ich doch aber nicht. Ich habe auch schon Pläne für die Zukunft, und einer der Hauptteile meiner Zukunft, das bist du.“ – „Das hast du schön gesagt. Aber das ändert halt nichts daran, dass ich die Leute nicht mag.“
Es herrschte für eine Minute lang Stille und Janine fragte: „Was machen wir denn jetzt?“ – „Wir werden sehen, lass mich noch ein bisschen über die nachdenken.“ – „Okay…“ Nach einigen weiteren Metern fragte sie mich plötzlich: „Du?“ Wir gingen von da an wieder eng umschlungen zur U-Bahn. „Hast du dir eigentlich schon überlegt, was du nach der Schule machen willst?“ – „Na ja, ich weiß, dass ich in Richtung Programmierung oder Medienbearbeitung gehen will, irgendwie so was in dem Dreh. So ganz genau weiß ich das noch nicht.“ – „Aber was du genau machen willst, weißt du nicht, oder?“ – „Na ja, ich muss das noch sehen. Ich muss mich eigentlich langsam hinsetzen und schauen, welche Studiengänge und Ausbildungen es gibt.“ – „Das ist ja wenigstens schön, dass du eine Richtung hast.“ – „Du etwa nicht?“ – „Doch, ich weiß auch, was ich machen will, sofern es klappt.“ – „Garantiert hängt das irgendwie mit Sprachen zusammen, oder?“ – „Na ja, ich könnte mir vorstellen, Jura zu studieren. Ich finde es unheimlich spannend, mich mit Recht und so zu beschäftigen. Das ist so komplex, aber irgendwie finde ich das gerade auch cool.“ Ich war echt erstaunt, dass sie sich ihre Ziele so hoch gegriffen hatte und fragte sie daher: „Boah, meinst du, ob du das schaffen kannst?“ – „Na ja, vom Schnitt her ist das sicher kein Problem, in Jura reinzukommen. Wenn du dich so mit deinen Noten hältst, kommst du bestimmt auch überall einen Studiums- oder Ausbildungsplatz!“ – „Glaube ich auch. Ich hoffe einfach nur, dass wir das hinbekommen… und vor allem irgendwann auch zusammenleben.“
Nach ein paar Momenten weiterer Stille fragte mich Janine: „Ich habe das Gefühl, dass du wirklich sehr gern fest mit mir zusammenwohnen würdest, oder?“ – „Ja, im Laufe der Zeit wird mein Empfinden danach immer stärker. Findest du das etwa schlimm?“ – „Nein, natürlich nicht. Nur ist das halt alles nicht so einfach, glaube ich. Bis wir zusammenziehen können, wird es wohl noch einige Jahre dauern, leider.“ – „Na ja, mir ist schon klar, dass das noch eine Zeit lang dauern wird, aber ich freue mich schon sehr auf den Tag, an dem es heißt: Dies ist der erste Tag, den wir nun richtig zusammenleben werden. Ich freue mich einfach darauf, du bist der wichtigste Mensch in meinem Leben und ich will dich nicht immer hergeben müssen, selbst wenn es meist nur für ungefähr einen Tag ist. Mir würde das Leben so viel besser gefallen, wenn du so gut wie immer in meiner Nähe sein könntest.“ – „Das klingt so toll, wenn du das so sagst, Bärchie. Weißt du, ich kann ja bald wieder fragen, ob wir beide nicht Zeit im Garten verbringen könnten. Das ist zwar noch ziemlich kalt, aber wenn wir es uns dort warm machen, kann man die Zeit dort auch verbringen.“ – „Ja, das stimmt. Diese eine Woche, die wir in eurem Garten verbracht haben, die war einfach wunderschön. Ich finde, das hat uns einfach nur noch mehr aneinandergeschweißt.“ – „Das stimmt. Weißt du, dass wir eigentlich so gut wie nur schöne Erinnerungen bisher haben?“ – „Ja, mir gefallen eigentlich die Erinnerungen, wenn man von der langen Phase absieht, in der ich mich an das alles erst irgendwie gewöhnen musste und natürlich dem Stress, den wir hatten, obwohl der gar nicht hätte sein müssen.“ – „Aber die Zeit ist ja nun um und das ist auch gut so.“ – „Wenn wir die Möglichkeit hätten… Würdest du mit mir zusammenziehen oder würdest du es erst mal nicht wollen?“ – „Ich weiß es nicht. Wenn wir allein mit dem Ganzen klarkommen müssten, würde ich wohl eher noch nein sagen. Weißt du, wir müssten uns ja um alles allein kümmern, halt die ganzen Dinge, die dabei anfallen. Aber ich glaube, wenn wir die Unterstützung meiner Mutter und von Petra hätten, könnte ich mir das schon gut vorstellen, dass wir unser Leben so viel wie möglich zusammen verbringen.“ – „Das finde ich schön, ich denke genauso darüber.“
Janine und ich kamen bei mir zu Hause an und an diesem Tag passierte nicht mehr besonders viel. Nachdem der Freitag herum war, begann wieder ein schönes Wochenende, welches wir – um es abwechselnd zu halten – bei ihr verbrachten.
Am Montag war wieder Schule und zugleich begann der März. In der Schule war ich einfach überrascht, wie schnell die Zeit rannte. Seitdem ich glücklich mit Janine zusammen war, bemerkte ich überhaupt nicht mehr, wo die Zeit blieb. Es war irgendwie so, als hatte jemand per Schalter den Turbo bei mir gezündet, obwohl ich dies überhaupt nicht wollte. Am Dienstag meinte Janine zu mir in der Pause: „Du, weißt du, was mir gerade aufgefallen ist?“ – „Nein, was denn?“ – „Na ja, wir haben ja jetzt schon wieder März und in zwei Monaten ist auch schon wieder dein Geburtstag.“ – „Ach ja, stimmt.“ Ich hatte meinen eigenen Geburtstag aus den Augen verloren. „Tja, so verrennt halt die Zeit, nun bin ich bald schon wieder ein Jahr älter.“ – „Das klingt so, als würdest du dich gar nicht wirklich auf deinen Geburtstag freuen.“ – „Na ja, es ist halt ein Geburtstag. Zwar ist jeder Geburtstag einmalig, aber das, was mich am meisten auf der Welt glücklich macht, das habe ich ja und das bist du.“ Wir küssten uns darauf etwas inniger und sie meinte: „Ich bin mir sicher, dass du wieder nicht feiern willst, oder?“ – „Ich hatte eigentlich bisher nicht vor, großartig zu feiern. Ich muss auch ehrlich sagen, dass ich bisher gar nicht daran gedacht habe, dass ja bald wieder mein Geburtstag ist. Na ja, ich werde mir Gedanken dazu machen, aber du kannst ziemlich sicher davon ausgehen, dass es hauptsächlich in kleinem Rahmen bleiben soll. Also ich geh davon aus, dass es nur Anna, Tim, du und ich sein werden, vermutlich hole ich auch noch Felix dazu.“ – „Ja, das ist zwar etwas schade wegen einer Feier, aber kann man nicht ändern.“ – „Ach ja, bevor ich es vergesse.“ – „Hm?“ – „Tue mir bitte den Gefallen und organisiere nicht wieder eine Feier für mich, obwohl ich vorher deutlich gesagt hatte, dass ich keine Feier will.“ – „Aber deine Feier war doch nicht schlecht damals!“ – „Nein, schlecht war sie auch nicht. Sie war auch recht lustig, wenn ich von der… Sache da absehe.“ – „Ich weiß schon, was du meinst, du brauchst mich nicht immer an meinen Ausrutscher zu erinnern.“ – „Das wollte ich auch gar nicht. Also tue mir bitte den Gefallen und plane dieses Mal keine Feier, zumindest nicht, ohne mich vorher zu fragen, ob ich damit einverstanden bin. Ok?“ – „Ja, ist ok.“
Janine sagte mir am Mittwoch, dass Jeremias sich gemeldet hätte und uns zu seiner Geburtstagsfeier eingeladen hätte. Es war zwar nett von ihm, dass er uns einlud, aber ich traute ihm trotzdem keineswegs. Ich wusste nicht, woher mein prinzipielles Misstrauen kam. Vielleicht war es auch einfach Eifersucht wegen Janine, aber ich war mir irgendwie sicher, dass man ihm nicht trauen durfte. Janine blieb von Freitag zu Samstag bei mir und wir vergnügten uns am Abend ausgiebig.
Am Samstag gingen wir abends zu der Feier von Jeremias, die – ich hatte es befürchtet und erwartet – hauptsächlich auf Alkohol ausgelegt war. Aber ich redete mit Janine vorher darüber, dass auch weiterhin meine Forderung bestand. Sie war zwar alles andere als zufrieden damit, aber ich sagte ihr, dass ich das, wenigstens, während ich dabei war, fordern konnte. Man sollte miteinander über solche Themen reden können und da meine mehrmaligen Bitten und Wünsche einfach nicht von ihr beachtet wurden, gab es keine andere Möglichkeit mehr, als mit Forderungen zu ihr durchzudringen, was bisher eigentlich ganz gut funktionierte. Ich war mir sicher, dass sie wieder gern was getrunken hätte, aber sie hielt sich wegen mir zurück, was ich lieb fand. Die Feier an sich war die reinste Langeweile, weil ich betrunkenen Leuten, die irgendwelche Partyspiele nur mangelhaft absolvieren konnten, auch im Fernsehen oder im Internet beobachten konnte, ohne wirklich dabei sein zu müssen. Janine jedoch amüsierte sich scheinbar prächtig, was mich echt verwunderte.
An diesem Abend nutzte ich auch die Möglichkeit, mich mit Jeremias persönlich unterhalten zu können. Bei diesem Gespräch war Janine nicht mit dabei, und sie sollte durch mich auch davon nichts erfahren, weil es mir einfach wichtig war, einen Eindruck von Jeremias zu bekommen. Es ging auch darum, dass ich sehen wollte, ob ich Janine allein zu den Treffen lassen konnte. Ich wollte keinesfalls riskieren, dass Jeremias sich vielleicht an sie heranmachte, indem er einfach ausnutzte, dass ich nicht mehr mit bei war und auf eine eventuelle Unsicherheit Janines spekulierte. Zudem ging es mir auch darum, dass sie nach heil nach Hause kommen konnte, wenn ich womöglich nicht mit dabei war – sprich, dass jemand sich vielleicht die Mühe machte, sie bis zu ihrer Haustür zu bringen.
In dem Gespräch zwischen Jeremias und mir stellte ich fest, dass er zumindest nicht so ein übler Kerl war, wie ich anfangs zumindest einschätzte. Unter vier Augen mit ihm zu reden, war etwas anderes, als wenn man in einer Gruppe mit ihm redete. Warum dies so war, konnte ich mir nicht so richtig erklären. Nach dem Gespräch war meine Meinung über ihn ein Stück weit positiver. Was Janine an sich betraf, traute ich ihm noch immer nicht so ganz, aber er erzählte beiläufig von einer Fast-Freundin, mit der wohl laut seiner eigenen Aussage nicht mehr viel fehlte, um mit ihr zusammenzukommen. Inwieweit das der Realität entsprach, konnte ich natürlich nicht sagen, aber seine Aussagen klangen für mich durchaus glaubwürdig und plausibel.
Als wir an dem Abend gegen Mitternacht gingen und uns auf dem Rückweg zu ihr nach Hause befanden, redeten wir noch ein wenig über die Feier. Ich meinte an einer Stelle zu ihr: „Ich habe vorhin mit Jeremias gesprochen. Er scheint zumindest halbwegs in Ordnung zu sein. Ich weiß, dass du mir treu bist, genauso, wie ich es dir bin, und ich würde dir nie unterstellen, dass du mir irgendwann fremd gehst, aber ich möchte dich zumindest vor ihm warnen. Ich kann ihm nämlich nicht so richtig ganz trauen… Er mag zwar ein netter Kerl so weit sein, aber ich weiß nicht, ob er sich noch an seine Vorsätze hält, wenn er betrunken ist. Ich will nichts dagegen sagen, dass du dich weiter mit denen triffst, aber du musst akzeptieren, dass ich nicht immer mit dabei sein werde. Wie gesagt, die Leute interessieren mich nicht und ich bin kein Fan davon, nur rumzusitzen und überhaupt nichts zu machen. Das ist einfach nicht mein Ding. Ich möchte lieber irgendwas Aktives machen. Aber selbst das machen die ja nicht, die sitzen eigentlich nur herum, albern herum und lassen Musik gerne zu laut laufen. Das ist aber auch schon alles.“ – „Ja, gewissermaßen hast du ja Recht. Aber ich mag halt die Leute, darum wäre ich auch in Zukunft gerne da.“ – „Na ja, du musst halt damit klarkommen, dass ich selten bis gar nicht mehr dabei bin. Wie ich gerade schon sagte, passe bitte auf dich auf, wenn du dahin gehst, gerade, wenn du spät nach Hause fährst. Wir können auch darüber reden, dass ich dich nach Möglichkeit von Treffen abhole, damit ich wenigstens weiß, dass du heil nach Hause kommst.“ – „Du bist einfach nur toll, Bärchie.“ Es folgte ein langer Kuss.
„Ich will dir nur sagen, dass ich mir halt auch Sorgen darum mache, dass du vielleicht etwas machst, was du später bereuen könntest. Natürlich rede ich davon, wenn du betrunken bist.“ – „Du hast also nichts dagegen, wenn ich da auch mal was trinke?“ – „Ich kann und werde es dir nicht vorschreiben, ob du irgendwo was zu trinken hast. Ich bitte dich immer darum oder ich fordere es von dir, wofür du ja auch immer eine gewisse Gegenleistung bekommst… Zum Beispiel halt die, dass ich mit zu Treffen komme, die mich eigentlich nicht so sehr interessieren. Wenn du da bei diesen Veranstaltungen was trinkst, bekomme ich es ja nicht mit, oder?“ – „Stimmt. Da hast du Recht. Und du hast wirklich nichts dagegen?“ – „Nein, habe ich nicht. Aber bitte versuche es wirklich unter Kontrolle zu halten. Trinke doch einfach an einem Abend beispielsweise nur ein Bier. Du reagierst ja schon bei wenig Alkohol extrem und das weißt du aber auch. Darum passe einfach auf, dass du nicht einfach wieder so viel trinkst, sodass du dich nicht mehr unter Kontrolle hast.“ – „Ja, ich werde darauf achten.“ – „Ich habe vorhin auch mit Jeremias gesprochen, dass er auf dich achtet, wenn du zu viel getrunken hast, und er soll dich nach Hause bringen, damit du zumindest da heil ankommst.“ – „Das hast du mit ihm besprochen? Wieso fragst du mich nicht einfach, ob ich damit einverstanden bin?“ Sie war von einem Moment auf den anderen extrem angefressen, sodass ich mich direkt schlecht fühlte. „Weil ich es eigentlich geheim halten wollte, darum. Er soll halt natürlich nur eingreifen, wenn es wieder aus dem Ruder geraten ist und falls ich dich nicht von einem Treffen abholen können sollte.“ – „Weißt du, wie scheiße mich das dastehen lässt, wenn du einfach hinter meinem Rücken mit ihm über so was sprichst?“ Ich wusste nicht, was ich erwidern sollte, denn: Sie hatte Recht. „Du stellst mich dar wie eine Drogenabhängige, die mit ihrem Leben nicht mehr klarkommt!“ – „Es tut mir leid. Entschuldigung. Du hast Recht, ich habe vorhin einfach nicht richtig darüber nachgedacht, als ich mit ihm sprach.“ Wir schwiegen eine ganze Weile lang und ich fühlte mich wirklich mies, bis Janine sagte: „Entschuldigung angenommen. Ich muss dir immerhin zugutehalten, dass du es ja nur gut meintest und versuchst, Lösungen zu finden. Aber bitte erzähl so etwas von mir nicht einfach weiter, das ist echt mies und lässt mich in einem richtig schlechten Licht dastehen.“ – „Tut mir wirklich leid, mache ich nicht nochmal.“ Janine zog mich plötzlich zu sich heran: „Komm her. Ich liebe dich, Schatz.“ Wir küssten uns – mitten auf dem Gehweg in der Nacht – inniger und kamen kurze Zeit später bei Janine zu Hause an.
Ich machte meiner Süßen am nächsten späten Vormittag das Frühstück. Ich weckte sie sanft und aß mit ihr, während sie mir von ihrem Nachhilfeschüler erzählte, der sich ganz schön gewandelt haben sollte. Janine: „Weißt du, ich finde es niedlich, zu sehen, wie er langsam erwachsen wird. Er ist zwar vor kurzem erst 16 geworden, aber er ist wie ein richtiger Gentleman, zumindest benimmt er sich neuerdings wie einer. Das find ich echt extrem. Den Charme, den er hat, den zeigt er bei mir auch durchaus.“ – „Wie soll ich das verstehen?“ – „Na ja, er machte halt eine charmante Aussage, dass ich meine Arbeit als Nachhilfelehrerin gut machen würde und ein anderes Mal sagte er mir, wie dankbar er mir sei, dass sich seine Noten so deutlich verbessert und auch stabilisiert hatten. Und sein höfliches Benehmen… Das zeigt er einfach, indem er mir immer die Tür aufhält, den Stuhl hervorzieht, wenn ich mich hinsetzen möchte, und ansonsten immer den Gastgeber macht, obwohl genauso gut auch seine Eltern mir ein Getränk anbieten könnten. Auf jeden Fall finde ich das beeindruckend und interessant zu sehen.“ Nach ihrer genauen Beschreibung fühlte ich mich irgendwie ein wenig komisch, weil sie ihn so bewunderte und es irgendwie danach klang, dass ich nicht charmant und ein Gentleman sein konnte. Daher sagte ich soweit auf ihre Aussagen nichts weiter, sodass Janine mich fragte: „Was ist denn?“ – „Na ja, weißt du, du erzählst mir das so alles von ihm. Alles ist irgendwie positiv, das ist einfach im umgekehrten Sinne komisch für mich. Das klingt fast so, als würdest du ihn bewundern und ich wäre gar nichts dagegen.“ – „Hey, das wollte ich doch nicht. Du bist und bleibst für mich immer der Allerbeste, daran wird sich auch nie etwas ändern. Nimm es einfach nicht persönlich, wenn ich von ihm was erzähle. Nur, weil er diese Eigenschaften hat, heißt das nicht, dass du sie nicht hast. Du bist immer so charmant, wenn du mit mir Zeit verbringst, und ein Gentleman bist du auch. Aber es gibt mindestens eine Sache, die er – im Gegensatz zu dir – nicht hat.“ – „Und die wäre?“ – „Ich denke, dass er nicht romantisch sein kann, zumindest so, wie du es bist, wird er es garantiert nicht werden und falls doch, erst in ein paar Jahren. Und hey, du hast mich auf ein so fantastisches Wochenende eingeladen, das werde ich nie vergessen.“ Wir grinsten und ich meinte etwas verlegen: „Danke.“ – „Aber na klar, er ist nur mein Nachhilfeschüler und nicht mehr. Und selbst wenn wir jetzt nicht zusammen wären, käme es überhaupt nicht für mich in Frage, mit ihm irgendwie näher zu kommen, weil er mir einfach viel zu jung ist. Das geht ja gar nicht.“ – „Damit kann ich beruhigt sein.“ Wir küssten uns und das Thema war soweit abgeschlossen. Abstreiten konnte ich allerdings nicht, dass ich tatsächlich ein wenig eifersüchtig war. Die Eifersucht wurde vor allem in der nächsten Woche noch größer, weil der Nachhilfeschüler Janine in der folgenden Schulwoche fast täglich buchte, was Janine finanziell nun mehr als gelegen kam, ihr aber auch dementsprechend die nötige Zeit für ihre schulischen Vorbereitungen fehlte, sodass letztlich als Endergebnis keinerlei Übernachtungen innerhalb dieser Woche stattfinden konnten.