Vollständiges Vertrauen
Am nächsten Morgen weckte ich Janine sanft, aber zügig, da wir am Morgen nicht allzu viel Zeit hatten. Man sollte besser sagen, ich hatte morgens immer genug Zeit, allerdings brauchte Janine halt immer eine Weile im Bad, sodass ich auf sie Rücksicht nahm und im Bad noch schneller als üblich war. Auf dem Weg zur Schule begann zwischen uns das erste Gespräch des Tages, da mit uns, wenn wir früh aufstehen mussten, nicht so viel anzufangen war. Sprich, in der ersten Stunde nach dem frühen Aufstehen redeten wir oft nur wenige Worte miteinander… Nur das Nötigste, was unumgänglich war. Janine meinte: „Ich habe gar nicht mitbekommen, dass wir schlafen gegangen sind. Das war total komisch irgendwie.“ – „Na ja, wir haben uns hingelegt, das Licht ausgemacht und nach einer Minute hast du schon geschlafen. Du warst gestern scheinbar ziemlich… fertig.“ Sie meinte: „Ja, es gibt halt auch Dinge… oder Menschen, bei denen ich im Nachhinein ausgelaugt bin.“ Wir grinsten. Kurze Zeit später holte uns der Alltag wieder ein.
Der Freitag verging wieder ziemlich schleppend, aber ich konnte an diesem Tag bei Janine über Nacht bleiben. Melanie war zwar ebenfalls zu Hause, störte unsere Zweisamkeit natürlich aber nicht weiter, sodass es nach einer recht kurzen Zeit auf ein Petting zwischen uns hinauslief. Wir hielten uns eine Weile nahe an der Schwelle des Orgasmus, bis Janine für einen kurzen Moment von mir weg ging und die Tür verschloss. Direkt kam sie zu mir wieder, griff sich ein Kondom, zog es mir über den Penis – ich schaute dem Treiben einfach nur zu – und ich drang in sie ein, woraus sich ein fast zeitgleicher Orgasmus von uns ergab. Es war erstaunlich, dass es so schwer war, gemeinsam den Höhenflug der Gefühle zu haben. Außerdem war es das erste Mal, dass wir miteinander schliefen, während jemand im Nebenzimmer war. Es war mir verständlicherweise nicht so ganz geheuer, dass andere Bekannte von uns eventuell unsere Geräusche beim Geschlechtsverkehr hören konnten, aber so heiß, wie Janine mich machte, war mir dieser Aspekt an diesem Abend irgendwann ziemlich egal.
Wir kuschelten eine Weile und ich schloss währenddessen Janines Tür wieder auf, da sie eigentlich nicht verschlossen sein musste. Zugleich lief der Fernseher und als die aufgezwungene Werbung auftauchte, meinte meine Süße: „Du hast mich doch gestern gefragt, ob ich nicht auch ohne Kondom mit dir schlafen möchte, weil wir ja kein Kondom hatten.“ – „Ja, das habe ich, weil ich nicht wollte, dass unser Spaß an dem Nachmittag ein abruptes Ende hat.“ – „Und ich habe dir ja gesagt, dass ich noch nicht ohne Kondom mit dir schlafe. Erinnerst du dich auch noch, wieso?“ – „Na ja, du willst dich nicht mit Krankheiten anstecken, was ich ja auch verstehen kann.“ – „Ich muss dir sagen, ich wäre schon bereit dazu, ohne Kondom mit dir zu schlafen. Aber dafür verlange ich ja etwas.“ – „Ja, du meintest einen Test?“ – „Genau. Ich würde mir wünschen, dass du dich auf Krankheiten testen lässt.“ – „Meinst du etwa, ich bin schwer krank, oder wie?“ – „Nein, natürlich glaube ich das nicht, aber ich fühle mich einfach wohler, wenn ich hundertprozentig weiß, dass du gesund bist.“ – „Apropos… Ich denke, ich sollte es schon wissen, ob ich AIDS habe oder nicht. Da keine meiner beiden Elternteile HIV-positiv ist bzw. war, werde ich wohl kaum HIV-positiv sein – da ich noch nie mit einem Menschen vor dir geschlafen habe, kann ich mich rein logisch gar nicht damit angesteckt haben…“ – „Na ja, da hast du schon Recht, aber wenn du dich schon untersuchen lässt, kannst du das ja einfach mittesten lassen.“ – „Hast du dich schon gefragt, ob ich mir vielleicht Gedanken darüber mache, welches Risiko für mich ohne Kondom besteht? Logischerweise besteht ja nun für mich das gleiche Risiko…“ – „Aber im Gegensatz zu dir habe ich mich schon testen lassen. Das ist noch nicht so lange her, aber ich kenne meine Testergebnisse und ich bin kerngesund.“ – „Du hast dich testen lassen?“ – „Ja, das habe ich. Das habe ich dir doch im Garten erzählt, weißt du noch? Ich wollte einfach nur sicher gehen und die Ergebnisse habe ich auch schriftlich.“ Sie richtete sich auf, ging an eine ihre Schubladen des Schreibtisches und holte einen Zettel heraus, den sie mir in die Hand drückte. Ich las die Bescheinigung des Arztes durch und sah das, was Janine mir zuvor gesagt hatte. Nachdem ich das Blatt einige Momente intensiv angeschaut hatte, gab ich ihr den Zettel wieder und sie meinte: „Wenn du dich testen lässt und die Ergebnisse, wie ich eigentlich schon vermute, ganz normal ausfallen, brauchst du nicht jedes Mal ein Kondom drüberzuziehen. Sollte ich allerdings meine Pille vergessen haben oder irgendwas anderes sein, zum Beispiel, wenn ich andere Medikamente einnehmen muss oder so, musst du natürlich wieder eins drüberziehen, weil ich natürlich noch kein Kind möchte. Ich bin dafür noch viel zu jung.“ – „Das sehe ich ganz genauso. Na gut, ich werde in den nächsten Tagen diese Tests machen lassen.“ – „Das ist lieb!“ Wir küssten uns etwas inniger und irgendwie freute ich mich darauf, wenn ich die Ergebnisse hatte und hin und wieder kein Kondom mehr über den Penis ziehen musste. Wir verbrachten den Freitagabend nur noch damit, dass wir miteinander kuschelten und es uns gut gingen lassen. Neben kleinen Massageeinheiten von uns kitzelten wir uns manchmal ein wenig, was mir aber richtig gut gefiel.
Am Samstagvormittag erwachte ich gegen neun. Janine schlief noch, sodass ich in aller Ruhe die Augen geschlossen hielt und mich total entspannte. Im Gedanken ging ich die ganzen Szenarien im Gedanken durch, die uns im Laufe der Jahre, die wir uns nun kannten, verband. Ich erinnerte mich an das allererste Treffen, bei dem Janine zu mir nach Hause kam, als wir gemeinsam an dem Vortrag arbeiteten. Es war komisch, weil meine Eltern zu diesem Zeitpunkt noch lebten. Auch wenn Janine das selten sagte, war es sicherlich für sie auch sehr komisch, meine Eltern noch kurz kennengelernt zu haben. Vermutlich ging es ihr so ähnlich wie mir mit ihrem Vater, weil es immer wieder ein unangenehmes Gefühl war, dass dieser Mensch einfach nicht mehr da war und man aber in der Wohnung die Erinnerung an diese Menschen immer wieder spürte.
Ich war Janine so dankbar, dass sie bereits damals so sehr zu mir hielt, trotz meiner schwierigen Umstände sogar mit mir zusammen sein wollte und es einfach so akzeptierte. Ich war lange Zeit so tieftraurig und vermutlich wirklich labil durch den Verlust meiner Eltern, dass ich vermutlich viele Menschen einfach vergrault hätte. Umso mehr beeindruckte mich Janine, die absolut uneingeschränkt an meiner Seite blieb, erst freundschaftlich und später partnerschaftlich.
Nach unserem Streit über Jonas‘ Feier und unserer Versöhnung war es total merkwürdig, zu wissen, dass es eine Person gab, die in einen verliebt war. Es war ein komisches Gefühl – einerseits fühlte ich mich wirklich sehr geehrt, dass ich von dieser Person geliebt wurde, andererseits musste man immer darauf bedacht sein, das Gegenüber nicht durch irgendwelche Aktionen zu verletzen. Das zeigte sich zum Beispiel allein daran, wie ich gewisse Dinge formulierte, wenn ich mit Janine sprach, da ich mich definitiv dabei ertappte, Dinge vorsichtiger zu formulieren, als wenn ich zum Beispiel mit Tim darüber gesprochen hätte.
Zu Beginn der Beziehung – in diesen Momenten musste ich total breit grinsen – fand ich selbst das Küssen mit Janine gewöhnungsbedürftig. Ich konnte mich noch daran entsinnen, wie ich nach dem Volksfest zu ihr sagte, dass ich das alles noch nicht so können würde. Aber sie hatte es eigentlich mehr oder weniger ignoriert und ich musste rückblickend feststellen: Es war gut, dass sie meine Sorgen oft eher leicht ignorierte. Wäre sie immer auf meine Forderungen eingegangen, hätten wir vermutlich noch immer keine größere Intimität zueinander entwickelt. So hätte ich wohl auch die andere Seite von mir selbst und vor allem die andere Seite von Janine – die wilde Seite – nie oder noch immer nicht kennen gelernt.
Ich konnte wirklich sagen, dass ich total glücklich mit Janine war. Es gab zwar immer wieder ein paar Entdeckungen, auf die sie oder ich noch komisch reagierten – ich erinnerte mich nur an die Kondome und ihre Mutter -, aber je länger wir zusammen waren, desto fester war ihr Platz in meinem Innern. Ich liebte sie über alles und ein Verlust von ihr würde wohl auch zum Verlust von mir führen, weil ich mir sicher war, dass ich es nicht hätte ertragen können, wenn ihr irgendwas zustoßen würde.
Mir fiel auf, dass es noch etwas weniger als einen Monat dauerte, bis wieder Weihnachten war. Wie schnell die Zeit verrannte, fiel mir gar nicht so wirklich auf. Wahrscheinlich hing dies aber auch mit der Beziehung zusammen. Weil ich Janine so liebte, stand für mich fest, dass ich ihr etwas Besonderes zu Weihnachten schenken würde. Ich wusste anfangs noch nicht so ganz, was ich ihr kaufen und schenken sollte. Schöner, vornehmer Schmuck war natürlich immer eine tolle Idee, aber so ganz kreativ war diese Idee auch eher nicht. Mir war klar, dass ich noch etwas dazu brauchte, etwas Persönliches, das sie von keinem Menschen dieser Welt geschenkt bekommen würde. So kam ich auf eine Idee, mit der Janine bestimmt nicht rechnen würde: Ich schrieb ihr ein Gedicht! Ja, ein Gedicht fand sie bestimmt toll. Wahrscheinlich wirkte es noch besser, wenn ich es auswendig am Heiligabend – oder zu welcher Zeit auch immer unsere persönliche Bescherung stattfand – aufsagen würde, weil damit einfach der Effekt noch größer war. Das aufgeschriebene Gedicht konnte ich ihr ja später immer noch geben.
Nach diesen ganzen Überlegungen drehte sich Janine zu mir und streckte sich plötzlich, was ich an der Hand in meinem Gesicht spürte. Als ich die Augen öffnete und meine Süße mich anschaute, meinte ich leise: „Guten Morgen, mein Schatz.“ Diesen Spitznamen hatte ich bisher bei ihr nicht oft verwendet, weil ich ihn auch nicht gerade kreativ fand. Auch „Süße“ war alles andere als kreativ, doch hatten wir uns so daran gewöhnt, dass wir es gar nicht schlimm fanden.
Darauf sie: „Du hast mich ja wieder anders genannt… Hehe.“ Sie lächelte, worauf ich grinsend meinte: „Es gibt Momente, in denen andere Worte manchmal viel besser passen als sonst.“ – „Das heißt, ich bin nur gerade für dich ein Schatz?“ – „Nein, natürlich bist du immer für mich ein Schatz. Um genau zu sein, bist du mein größter. Aber manchmal, wenn man gute Laune hat, sagt man halt auch was anderes. Du verstehst schon, was ich meine.“ – „Na klar verstehe ich das. Du bist süß.“ Wir küssten uns und sie meinte: „Irgendwie will ich noch gar nicht richtig aufstehen. Bin noch total müde.“ – „Wir können ja auch noch liegen bleiben. Es drängelt uns ja keiner, aufzustehen.“ – „Da hast du schon Recht. Wie spät ist es eigentlich?“ – „Kurz nach halb zehn.“ – „Na ja, da bleib ich noch kurz liegen.“ – „Lass uns doch einfach ein bisschen…“ Ich ging nahe an sie, berührte sie an den Hüften und wurde von Janine ebenfalls umklammert, sodass wir eng umschlungen auf dem Bett lagen. Janine ergänzte: „… intensiver miteinander kuscheln, das wolltest du doch sagen?“ Wir grinsten und ich zwinkerte.
Um kurz vor elf standen wir auf und aßen gemeinsam Frühstück am Küchentisch. Melanie war wieder aus dem Haus. Es war ziemlich typisch für Melanie, und so konnte man den Eindruck gewinnen, dass sie entweder dem Glück von Janine und mir nicht im Wege stehen wollte oder einfach so eifersüchtig auf unsere Beziehung war, dass sie es zu Hause nicht ertrug. Allerdings glaubte ich nicht, dass sie eifersüchtig war. So oft, wie sie uns schon Annehmlichkeiten beriet, schloss ich diese Möglichkeit eher aus. Nach dem schönen Frühstück und einer Knutscherei inklusive Petting verabschiedete ich mich gegen halb zwei von meiner Süßen. Es war wieder eine richtig schöne gemeinsame Zeit.
Zu Hause angekommen bemerkte ich, dass Felix versucht hatte, mich auf dem Handy zu erreichen. Durch die intensive Zeit mit Janine hatte ich diesen Anruf gar nicht wahrgenommen. Ich schrieb ihm eine Nachricht, in der ich ihn fragte, ob er was dagegen hätte, wenn man sich noch am selben Tag treffen würde. Wenige Minuten später kam die Antwort, in der er zustimmte. Wir trafen uns um 17 Uhr, wo wir wieder Bowling in der Anlage seines Vaters spielen gingen. Ich plauderte lange Zeit mit ihm und er erzählte mir, dass er den Durchbruch mit seiner Freundin endlich geschafft hatte. Er war sich sicher, dass es wohl nicht mehr lange bis zum Sex zwischen den beiden dauern würde, und daher fragte er mich, ob ich einen Tipp für ihn hatte, wie er es darauf hinauslaufen lassen konnte. So erzählte ich ihm in sehr groben Zügen, dass es bei Janine und mir aus einer total romantischen Situation heraus entstanden war und außerdem sagte ich ihm, dass man das gar nicht so richtig planen konnte.
Nach unseren Spielen verabschieden wir uns und ich spürte, dass er mir ziemlich dankbar war, selbst wenn ich eigentlich kaum geholfen hatte. Kaum war ich zu Hause, rief mich Janine an und fragte mich, warum ich denn innerhalb der letzten zwei Stunden nicht an mein Handy herangegangen war. Erst war ich erstaunt, dass sie mir so lange versuchte, hinterher zu telefonieren. „Na ja, ich habe die letzten Stunden mit Felix verbracht, wir waren Bowling spielen und haben wieder über seine Freundin gequatscht.“ Darauf Janine: „Wieso hast du mich denn nicht gefragt, ob ich vielleicht mitkommen will?“ – „Ich hatte dich deswegen nicht gefragt, weil du doch bisher nie großartiges Interesse an Felix gezeigt hattest. Und da dachte ich halt, dass es auch heute so ist, und darum bin ich mit ihm allein gegangen. Aber-“ Darauf warf Janine ein: „Hm, ich find das nicht so toll.“ Von der Seite kannte ich bisher Janine nicht. Wenn es eine andere Frau gewesen wäre, mit der ich mich getroffen hätte, wäre Eifersucht ein Stück weit für mich nachvollziehbar gewesen, aber es war nur Felix. Ich sagte: „Hey… Das tut mir leid, aber ich glaube, das war wirklich nur ein Gespräch von Mann zu Mann. Ich weiß nicht, ob es so praktisch gewesen wäre, wenn du da mit dabei gewesen wärst.“ – „Weißt du, er ist ja nun genauso wenig ein Mann wie du!“ Mit diesem Satz provozierte sie mich tatsächlich ein wenig, aber ich ließ mich nicht aus der Fassung bringen und konterte: „Ich finde, mit 18 kann man sich auch noch nicht Frau nennen!“ Nach diesem Satz hörte ich nur das Besetzt-Zeichen… Sie hatte aufgelegt.
Ich saß da, musste einerseits schmunzeln, dass Janine aus dieser popligen Sache solch ein Drama machte, andererseits machte ich mir ein paar kleine Vorwürfe, weil ich ihr auch recht fies gekontert hatte. Ehrlich gesagt fand ich es ziemlich übertrieben, welches Problem Janine daraus machte, und ehe ich noch weiter darüber nachdenken konnte, klingelte erneut mein Smartphone. Ich ging direkt heran. Janine sagte: „Und, schockiert, dass ich aufgelegt habe?“ Sie sagte dies mit einem Lachen, sodass mir bewusstwurde, dass Janine nach meinem Konter gar nicht sauer war. Nach einer kleinen Erleichterung meinte ich: „Ja. Ich war ziemlich erschrocken!“ – „Ich wollte eigentlich auch nur noch sagen, dass ich dir nicht böse bin. Aber fragen hättest du mich ja trotzdem können.“ – „Na gut, dann mache ich das in Zukunft. Ich weiß ja, dass Felix nichts gegen dich hat.“ – „Habt ihr etwa über mich gesprochen?“ – „Nein, nicht direkt. Er meinte, dass er uns als Pärchen schön und dich total nett findet.“ – „Er ist auch wirklich lieb, das ist mir ja schon das letzte Mal aufgefallen. Du hast ja auch Recht, so ein großes Interesse hatte ich bisher für ihn wirklich nicht, aber ich sehe ja, dass ihr euch gut versteht. Entschuldige.“ – „Ist schon okay. Abgesehen davon hatte sich das Treffen wirklich absolut spontan ergeben, das war ja bis heute Morgen noch gar nicht geplant.“ Nach dem Gespräch ließ ich es mir gut gehen und entspannte mich beim Fernsehen.
Am Sonntag erledigte ich meine sonstigen Pflichten, traf mich zum Billard spielen mit Tim – Janine hatte ich dieses Mal vorher gefragt, damit sie mir nicht erneut den Vorwurf machen konnte, aber sie verneinte – und entspannte zu Hause einfach bei dem miserablen, nassen Wetter, das draußen herrschte.
Am Montag rief ich nach meinem heftigen Schultag bei meinem Hausarzt an und machte für den Tag danach einen Termin aus. Ein bisschen nervös war ich vor dem Termin – nicht, weil ich Furcht vor meinem Arzt hatte, ganz im Gegenteil, er kannte meine Familie und mich bereits seit vielen Jahren. Unsicher war ich vor allem eher deswegen, weil ich nicht wusste, ob ich wirklich vollständig gesund war. Ich hatte nie Symptome verspürt und auch, als ich mit Janine nun so oft nähergekommen war, spürte ich nie irgendwelche Anzeichen von Krankheit oder dergleichen. Der Termin war mir aber wichtig, da es ja nicht nur um meine Gesundheit, sondern auch um ihre ging. Ich fühlte mich sogar leicht schlecht, dass ich selbst nicht schon viel früher auf die Idee gekommen war, mich durchchecken zu lassen, weil ich Janine natürlich nicht noch unabsichtlich Schaden zufügen wollte, falls ich wirklich irgendeine Krankheit in mir tragen sollte, von der ich bisher nichts wusste.
Als ich am Dienstag beim Arzt ankam, ging der gesamte Termin ziemlich schnell herum. Die Untersuchungen waren überhaupt nicht schlimm. Klar war es komisch, dass man an sehr vielen Stellen abgetastet, abgehorcht und untersucht wurde und man bekam einige Fragen zu seinen Gewohnheiten aller Art gestellt, aber insgesamt war das auf jeden Fall eine lohnende Sache. Neben einer Blutprobe musste ich noch eine Urinprobe abgeben, doch mein Arzt glaubte bereits vorher, dass ich kerngesund war. Erleichtert ging ich nach Hause zurück und telefonierte mit Janine, der ich von meinem Termin erzählte. Sie war stolz auf mich, dass ich mich dem Test unterzogen hatte.
Am Freitag verbrachten wir einen richtig schönen Abend gemeinsam, an dem wir zusammen kochten und ich wieder überrascht davon war, wie gut Janine kochen konnte. Janine sagte mir aber völlig ehrlich, dass sie von meinen Kochkünsten mittlerweile auch angetan war. Ich tat das bei meiner grundlegenden Bescheidenheit wieder ab, aber sie betonte das an diesem Abend immer wieder, wie gut ich mittlerweile kochen würde. Sie sagte auch ehrlich, dass sie beim Kochen weiter als ich war, weil sie bereits viel mehr als ich ausprobiert hatte, aber sie bekräftigte auch, dass ich ein Gefühl für das Kochen besaß. Gar nicht so lang nach unserem gemeinsamen Kochen und Essen schliefen wir erneut miteinander und unsere Stimmung war wirklich gut.
Ich fuhr am Samstag wieder nach Hause, weil wir für Klausuren lernen mussten. Trotzdem hatte ich am Sonntag Lust, mit ihr ein wenig zu telefonieren, sodass ich sie in einem günstigen Moment anrief. Sie freute sich sehr über meinen Anruf, da sie vom Lernen ein wenig frustriert war und einfach keine Lust mehr hatte, aber sicher noch einige Stunden brauchen würde. Ich war also eine gelungene Pausenabwechslung.
An diesem Abend wünschte ich Janine per Nachricht noch eine gute Nacht und hing ein „Ich liebe dich“ an die Nachricht, was sie mir wenige Minuten später auch zurückschickte.
Janine erzählt:
Als ich am nächsten Morgen am U-Bahnhof bei Marc ankam, war er nicht da. Ich wartete eine Viertelstunde in der Hoffnung, dass er noch kommen würde. Aber er kam nicht und eine Mitteilung hatte er mir auch nicht geschickt. Ich rief ihn direkt an, aber es ging nur seine Mailbox heran, was eigentlich so gut wie nie vorkam. Ich war verwirrt, weil ich nicht wusste, was auf einmal los war. Ich erinnerte mich viele Monate zuvor spontan an den Tag, an dem Marc nicht in die Schule kam, genau in der Phase, als wir beim Zusammenkommen waren. Ich hatte ziemliche Sorgen um ihn, weil er solch ein Verhalten sonst nie an den Tag legte. Ich schrieb Petra daraufhin auch eine Nachricht, die sie aber offenbar morgens auch nicht las. Vielleicht schlief sie durch ihre wechselnden Schichten gerade auch einfach. Aber wäre sie nicht wach, falls es Marc wirklich schlecht gehen sollte?
Marc tauchte schlagartig kurz vor der dritten Stunde auf. Wir sahen uns nur ganz kurz, weil wir zügig zu unserem jeweiligen Unterricht mussten. Aber ich bemerkte, dass alles eigentlich ganz normal war. Bei meiner Frage, wo er denn die ersten beiden Stunden gewesen war, sagte er: „Das weißt du doch: Ich war noch beim Arzt.“ Er hatte mir nicht davon erzählt, dass er noch zum Arzt gehen musste. Ich fand es halt nicht so toll, dass er mir überhaupt nicht Bescheid gegeben hatte. Aber ich verzieh ihm dies, da es mir selbst auch schon passiert war. Dass er nicht an sein Smartphone heranging, lag einfach daran, dass er vergessen hatte, es aufzuladen und es sich abgeschaltet hatte. Im Laufe des Tages sahen wir uns zu unseren gewohnten Zeiten in den Pausen und es war eigentlich so normal wie immer.
Marc erzählt:
Nach meinem heftigen Montag mit zehn Unterrichtsstunden, an dem ich abends nur kurz mit Janine zum Nachtsagen telefonierte, stand ich morgens ziemlich gerädert auf. Ich saß die halbe Nacht noch an Hausaufgaben, die zu diesem heutigen Tag fertig sein mussten. Als wir uns morgens in der Schule sahen und in den Unterricht gingen, sprachen wir kaum miteinander, weil wir so heftig müde waren. Selbst Tim, mit dem wir den Unterricht zusammen hatten, meinte in einem günstigen Moment leise zu mir: „Was ist los mit euch? Habt ihr euch gestritten?“ Ich grinste ihn nur an und meinte: „Ne, ich bin einfach hundemüde. Janine offenbar geht es auch nicht viel besser.“ Janine hatte Tims leise Frage auch gehört und hörte mit, als er sagte: „Warum das? Habt ihr so heftig rumgemacht?“ Janine gab ihm hinter meinem Rücken einen leichten Schlag gegen die Schulter, ich wuschelte absichtlich intensiv durch seine Haare, um seine Frisur für den Tag zu zerstören. Janine und ich klatschten uns ab und Tim meinte grinsend: „Ok, ihr habt gewonnen. Also was war los?“ – „Nichts. Ich musste einfach noch meine Hausaufgaben für heute machen. Der Tag gestern war einfach wieder zu heftig.“ Janine ergänzte: „Na ja, ich konnte irgendwie nicht gut schlafen in dieser Nacht, keine Ahnung warum. Mir war irgendwie die ganze Nacht über zu warm.“ Tim meinte zu uns: „Haltet gut durch. Ich habe auch wirklich überhaupt keine Lust auf diesen Tag.“
Janine und ich küssten uns kurz vor dem Stundenbeginn und ich meinte: „Es gibt noch etwas, was ich dir sagen muss.“ – „Was denn?“ – „Ich war doch gestern früh beim Arzt wegen meiner Testergebnisse.“ – „Stimmt. Das wollte ich dich gestern eigentlich noch fragen! Und?“ – „Also, es ist wie erwartet: Ich bin kerngesund und…“ Ich sagte dies ganz leise: „… HIV-infiziert bin ich natürlich auch nicht.“ – „Das ist schön!“ Ich zeigte ihr unauffällig die ausgedruckten Testergebnisse meines Arztes. Während sie anschließend quer durch den Raum schaute, sah ich ein verschmitztes Lächeln in ihrem Gesicht, was mich sehr erfreute. Sie flüsterte: „Du weißt ja, was das bedeutet…“ – „Ja, ich verstehe, was du meinst. Hehe.“
Aus reiner Spontanität verabredete ich mich mit Janine noch an diesem Tag. Ich war zwar nach der Schule weiterhin hundemüde, aber ich brauchte Zerstreuung und lud sie ein, mit mir ins Spaßbad zu gehen, was sie annahm. Dort verbrachten wir eine Weile und tollten herum, wobei es öfters darauf hinauslief, dass wir abtauchten und uns in einer geringen Tiefe uns vor allem durch Küsse nahekamen. Wir konnten uns halt natürlich nicht so richtig streicheln oder miteinander schmusen, weil dies ein normales, öffentliches Schwimmbad war und einige andere dies auch hätten sehen können, was uns nicht sonderlich lieb war. Ich hatte aber genauso wie Janine das Gefühl, dass es uns trotzdem irgendwie anmachte, sodass wir uns auf den Rest des Tages freuten, da Janine ausnahmsweise bei mir über Nacht bleiben wollte.
In meinem Zimmer kümmerten wir uns – typisch für Janine – zuerst um die Hausaufgaben, mit denen wir knapp zwei Stunden verbrachten. Kaum, dass wir fertig waren, fielen wir übereinander her. Nach dem intensiven Petting wollte ich nach einem Kondom greifen, was ich mir extra an eine leicht erreichbare Stelle gelegt hatte, doch in dem Moment, als ich danach griff, meinte Janine zu mir ganz leise: „Lass gut sein. Du kannst das da ruhig versteckt lassen.“ Es wurde damit der erste Sex, den wir ohne Kondom hatten. Es war ein komisches, aber trotzdem unheimlich schönes Gefühl, das durch meinen Körper jagte. Am nächsten Tag gingen wir glücklich – das konnte man uns definitiv ansehen – zur Schule.